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Wissenschaft oder Dogmatik ?

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    Wissenschaft oder Dogmatik ?

    Ich mache diesen Diskussionsfaden im Teilforum "Fortgeschrittener Prostatakrebs" (FPK) auf, weil die Debatte darüber, was ist "wissenschaftlich erwiesen", was ist "evident" ist oder nicht, für FPK-Betroffene quasi lebens-entscheidend ist.

    Der Anlass für dieses posting ist der Ärger über das, was ich vorhin im Zusammenhang mit Schorschels Einlassung in dem Diskussionsfaden "AS als echte Therapieoption" gelesen habe.

    Da hacken fast alle auf einem einzigen herum.
    Schlimm genug, aber das kommt immer wieder vor und hatten wir hier im Forum weissgott häufiger.
    Aber was für eine Krebs-Diskussionsforum absolut inakzeptabel ist, ist der Dogmatismus, der in den Antworten auf Schorschel zum Ausdruck kommt.

    Da hält HorstK seine OP-Therapie-Entscheidung der Nicht-OP-Therapie-Entscheidung entgegen, mit dem Hinweis, er hätte sie bis jetzt noch nicht bereut.
    Da findet es DieterH haarsträubend, wie Schorschel damals seine Therapieentscheidung gemacht hat, benutzt dabei aber einen blinden Evidenz-Begriff, der für ihn nicht zur Debatte steht.
    Da verweist Strahlentherapeut Daniel Schorschels Rückgriff auf Zweitmeinungs-Parameter in den Bereich des Glaubens und hält die angeblich einzig wahre Evidenz der klinischen Routine an grossen Patientenkollektiven dagegen, ohne offenzulegen, worin sein eigener Glauben an diese eine wahre Wissenschaftsmethode begründet ist.

    Ich will hier nicht auf die "Evidenz" der Therapie-Option der AS eingehen.
    In dem unteren Bereich von Schildkröten- und auch Hasen-Krebsen gibt es viel Übertherapie, die durch aktive, nicht passive Überwachung durchaus abgemildert werden könnte. Aber der Streit in diesem Segment des PK endet oft ohne irgendein brauchbares Ergebnis, weil man alles mögliche als "kurativ" hinstellen kann, ohne es beweisen zu müssen oder zu können.

    Aber im Bereich des FPK gehts schlicht ums Überleben.
    Und da ist die Frage, was uns denn die 2-Monats-Überlebensvorteil-Evidenz der Taxotere-Studien oder jetzt die 5-Monats-Überlebensvorteil-Evidenz der Provenge-Studie tatsächlich sagen.

    Der Kern des Skandals der unzureichenden Behandlung des FPK (in Deutschland) besteht m.A. nach in dem unzureichenden Evidenz-Begriff der medizinisch-wissenschaftlichen Profession.
    Dass immer wieder gerade an der Frage der Biomarker und dort wieder gerade an der Arbeit von Prof. Bonkhoff ein Dauerstreit aufflammt, hat mit diesem Skandal zu tun.

    Ein Beispiel, das seit letztem Jahr nicht mehr vom Tisch zu wischen ist:
    Seitdem bei Autopsie-Studien durchweg bei allen am PK Verstorbenen eine Östrogen-regulierte Genfusion festgestellt worden ist, steht die Frage der Verschiebung der Hormonregulierung beim FPK und der Ausprägung von Östrogen-Rezeptoren erneut dringend auf der Tagesordnung. Die Erhebung des Rezeptor-Status bei PK als Bestandteil des Anfangs-Status, aber auch bei FPK-Entwicklung ist eine Untersuchung, die kriegsentscheidend sein kann und auch ohne randomisierte Doppelblind-Studien mit grossen Fallzahlen von therapeutischem Nutzen sein kann. Denn ob beispielsweise die Gabe von Östrogenen noch auf dem erhofften endokrinen Weg funktioniert oder nicht, hängt nicht unwesentlich davon ab, ob sich schon Östrogen-alpha-Rezeptoren gebildet haben.

    Das ist der Kern des Problems:
    Mit grossen Fallzahlen, doppelblind, randomisiert, kann man auch schwache Effekte aufspüren ( solch einer ist der Einsatz von Taxotere: es wirkt durchaus hier oder da, aber genauer weiss mans nicht, man muss es durchprobieren).
    Ich brauche diese Form der wissenschaftlichen Methodik aber nicht, wenn es sich nicht um schwache, sondern um starke Effekte handelt (die Exposition mit hohen Dosen radioaktiver Strahlung führt binnen kurzem zu Krebserkrankungen).

    Grundlegende, jederzeit für jeden, der wissenschaftlich arbeitet, wiederholbare Beobachtungen beispielsweise in der Biologie des PK, können "evident" sein und können eine grosse Bedeutung für die Therapie des PK haben. Die Entdeckung von Östrogen- und Progesteron-Rezeptoren beim PK ist solch eine Beobachtung. Sie hat für die therapeutische Überlegung, an der Hormonregulierung der PK-Zellen anzusetzen, die unmittelbare Bedeutung, dass ich meinen Blick von den Androgenen auf die Östrogene ausweiten muss.
    Dies ist auch dann zwingend, wenn es noch keine randomisierte Doppelblind-Studie mit grossen Fallzahlen gegeben hat, die nachgewiesen hat, dass die Gabe von Östrogenen bei denen, die den Östrogen-alpha-Rezeptor bereits ausgeprägt hatte, zu einem rapiden Ableben führt.

    Eine Evidenz-Debatte in der Medizin führen zu wollen, ist aber wahrscheinlich müssig. Zu sehr ist die Medizin in weiten Teilen ein Glaubenssystem. Allein die Idee, dass man glaubt, eine "evidenzbasierte" Medizin installieren zu müssen, zeigt, dass es eine nicht-evidenzbasierte Medizin gibt und man diesen Zustand überwinden will. Niemand käme auf den Gedanken, eine "evidenzbasierte" Physik auszurufen.

    Allzuoft und traditionell reagiert die offizielle Medizin zum Leidwesen der Betroffenen auf neue wissenschaftliche Entdeckungen (wann hat Bonkhoff den Östrogen-Rezeptor nachgewiesen?) und Konzepte ignorant, viel zu spät oder gar nicht.

    Eine Selbsthilfe-Organisation von Krebs-Betroffenen sollte die heutigen vielfältigen Informations-Möglichkeiten nutzen, um gerade auch in der Frage wissenschaftlicher Vorgehensweise sich in die Debatte einzuschalten.

    Grüsse,
    Rudolf

    #2
    Hallo Rudolf,

    schön, dass Du Dich in die Debatte einschaltest. Die „Evidenz“ hatte ich auch noch auf meiner Liste, da auch meiner Meinung nach das Forum in eine falsche Richtung driftet. Ich bin gespannt auf die Reaktionen.

    Gruß Knut.

    P.S. Ich werde später noch meine Gedanken und Vorstellungen zu diesem Thema vorstellen.

    Kommentar


      #3
      Wissenschaft oder Dogmatik ?

      Grüß Dich Rudolf,
      Rudolf: Der Anlass für dieses posting ist der Ärger über das, was ich vorhin im Zusammenhang mit Schorschels Einlassung in dem Diskussionsfaden "AS als echte Therapieoption" gelesen habe.
      Nicht alle sind gegen Schorschels "AS" und das ist gut so aber wer schweigt ist bekanntlich auch dagegen! Oder?

      Ich bin für ALLE Optionen gegen unseren Prostatakrebs, die Diskusionen über diese Optionen sollten eben sachlich objektiv behandelt werden und nicht gegeneinander -wie ursteinzeit Menschen mit Keulen- geführte werden und da bin ich ganz deiner Meinung!
      Rudolf: Da verweist Strahlentherapeut Daniel Schorschels Rückgriff auf Zweitmeinungs-Parameter in den Bereich des Glaubens und hält die angeblich einzig wahre Evidenz der klinischen Routine an grossen Patientenkollektiven dagegen, ohne offenzulegen, worin sein eigener Glauben an diese eine wahre Wissenschaftsmethode begründet ist.
      Damit auch Jene -die medizinisch nicht so bewandert sind- verstehen was mit medizinische Evidenz gemeint ist.
      An die randomisierte Doppelblindstudien erinnert mich immer an meinen Hausarzt, wenn ich ihn auf eine Behandlungsart darauf hin weise!

      Alles Gute für Dich,
      Helmut

      Kommentar


        #4
        Ich möchte jetzt etwas ein für allemal klarstellen, ich hoffe, dass einmal genügt:

        Ich bin nicht gegen Schorschels Therapiewahl a la Rustra-Interpretation:

        Zitat von Rustra
        Da findet es DieterH haarsträubend, wie Schorschel damals seine Therapieentscheidung gemacht hat, benutzt dabei aber einen blinden Evidenz-Begriff, der für ihn nicht zur Debatte steht.
        sondern ich finde es haarsträubend, wie Schorschel seine Therapiewahl als Beleg und Beweis heranzieht, dass die Bonkhoff-Zweitbefundung ausschlaggebend zu Therapiewahl AS war. Diese Argumentation ist haarsträubend, das grenzt sogar an vera...., um das Vokabular von Helmut aufzunehmen. Bitte in Zukunft keine Wortverdreherei!!!!

        Welche Therapiewahl Schorschel auch immer für sich selbst macht, lieber Rustra, das habe und werde ich selbstredend ihm selbst ganz alleine überlassen.

        Kommentar


          #5
          Zitat von RuStra
          Da hält HorstK seine OP-Therapie-Entscheidung der Nicht-OP-Therapie-Entscheidung entgegen, mit dem Hinweis, er hätte sie bis jetzt noch nicht bereut.
          Wie bekannt, ist die RPE (OP-Therapie-Entscheidung) nach der DHB (Nicht-OP-Therapie-Entscheidung) meine zweite Therapie gewesen.

          Ich weiß ziemlich genau wie beide Therapien in und an meinem Körper gewirkt haben.

          Und wenn es dann doch mal sein sollte werde ich mich zu gegebener Zeit mit einer dritten, vierten Therapie beschäftigen. Wie käme ich also dazu für andere Therapien nicht offen zu sein.

          Es soll ja Leute geben, die können sogar Gedanken lesen:-)


          Rudolf, was möchtest Du mir mit Deinem o.a. Zitat eigentlich zu rufen?

          Achtung: Bin kein (auch kein Hobby-) Wissenschaftler, Mediziner, Dogmatiker, Missionar oder Philosoph!

          Alles Gute und Grüße nach Hamburg,
          Horst

          Kommentar


            #6
            Zitat Rustra:
            Aber was für eine Krebs-Diskussionsforum absolut inakzeptabel ist, ist der Dogmatismus, der in den Antworten ... zum Ausdruck kommt.

            Hallo Rudolf,

            dieser unduldsame Dogmatismus ist unabhängig von der gewählten Therapie und hat Tradition nicht nur im Forum:

            +++++++++++++++++++++++++

            Re GeorgS
            26.02.____, 01:12

            Hallo Frank,

            herzlichen Glückwunsch zum Operationsverlauf und alle guten Wünsche für die Zukunft.
            Gerards 10-jahrige Erfahrung möge Dir Zuversicht geben.

            Zitat Frank:
            Ich habe mir lange überlegt, ob ich meine Geschichte hier veröffentlichen soll.

            Aber sicher doch!!
            Eine faszinierende Geschichte: Großer Chirurg am kleinen Krankenhaus.
            Wenn Du Ross und Reiter nennst, wäre es vielleicht für den SPIEGEL oder FOCUS interessant. Die Verbreitung der Erkenntnis, keine Nähte am Schließmuskel setzen, könnte vielen Männern die „Negativ-Wirkungen“ der OP ersparen.

            Zitat Frank:
            Es ist für mich – wenn ich die Leidensgeschichte anderer Operierter hier im Forum lese - nicht nachvollziehbar, daß seine Operationstechnik, die offenbar so manches Inkontinenz-Elend vermeiden kann, in Urologenkreisen nicht bekannter ist. Er hat sie selbstverständlich veröffentlicht. Warum sie nicht verbreitet angewandt wird ist mir ein Rätsel. ...

            Übrigens: In welcher Zeitschrift hat Dein Chirurg die OP-Technik veröffentlicht ?

            Herzliche Grüsse

            GeorgS

            PS. Es wäre schön, wenn Du ab und zu berichten könntest, wie es Dir geht, um Mitbetroffenen-Neulingen Mut zu machen und den Forumextrakt zu "füttern".

            ++++++++++++++++++++++++++++++++++

            Der Beitrag ist nicht an Frank alias BERNET gerichtet, der uns im Thread „Adenokarzinom-Neuling (49) ...“ zeitnah und ausführlich berichtet, sondern vor 3 Jahren, am

            26.02.2006, 01:12, an seinen Namensvetter FrankArmin.

            Mit diesem Beitrag habe ich als praktizierender WW-ler versucht, ihn dem Forum zu erhalten. Vergebens. Enttäuscht und verärgert über die Reaktionen einiger Mitstreiter, verabschiedete er sich für immer aus dem PK-Forum.

            Kurioserweise hat FrankArmin mit seinem Namensvetter Frank alias BERNET eine weitere Gemeinsamkeit: Sie hatten denselben Operateur.

            Nachdenkliche Grüsse

            GeorgS

            ---------------------------------
            PS.
            Mein „Leibarzt“ hat mir nahegelegt mit dem Hormonaugleich (natürliches Progesteron) anzufangen, sobald die neuen Laborwerte bekannt sind und dies indiziert sei – ohne randomisierte Doppelblind-Studie.
            Bei www.myProstate.eu ist meine Geschichte hier einsehbar.

            Kommentar


              #7
              Also gut, dann versuche ich mal etwas Hilfe zu verschaffen.

              Wissenschaftlich fundierte Erkentnisse dazu ob eine Therapie gut oder schlecht sind, sind aus dem Grund wirklich, weil es ja dabei um den Patientenschutz geht.

              In der Medizin ist es oft so, dass anfängliche Theorien und Hoffnungen auf neue Behandlungen nach den Studien wieder verschwinden.
              Man hat es immer wieder gesehen.

              Ein typisches Beispiel dafür ist die Hochdosischemotherapie bei metastasierten Mammakarzinompatientinnen.
              Wären wir jetzt im Jahre 1995 und wäre dies hier ein Mammakarzinom- (und nicht Prostatakarzinom) Forum, dann würden wir vermutlich unter "Fortgeschrittener Brustkrebs" zahlreiche Beiträge zur Hochdosischemotherapie finden.
              Diese Therapiemethode wurde in den 90er Jahre im grossen Stil bei tausenden von Frauen mit Metastasen von Brustkrebs erprobt. Man hat sich dabei erhofft, dass durch eine Hochdosischemotherapie mit anschliessender Knochenmarkstransplantation Frauen mit Metastasen heilen würde.
              In der Theorie war das es eine faszinierende Idee. Man hatte mittlerweile viele neue Chemotherapeutika und zahlreiche neue Mittel zur Vermeidung von Chemotherapienebenwirkungen auf den Markt gebracht und freute sich darauf, endlich diesen Frauen Hoffnung zu geben.
              Es sind insgesamt 3 sehr grosse randomisierte Studien dazu gelaufen.
              Die Hälfte der Patientinnen wurden normal mit einfacher Hormontherapie und milder Chemotherapie behandelt, die andere Hälfte erhielt Hochdosisbehandlung mit Knochenmarkstransplantation.

              Als diese Studien anliefen, haben zahlreiche andere Onkologen angefangen ihre Patientinnen mit der experimentellen Methode (also der Hochdosistherapie) zu behandeln. Sie hatten schon viele Hoffnungen auf die Behandlung angesetzt und wollten gar nicht bis zum Ende der Studien warten. Die Studien waren schon mit Patientinnen voll, also hat man die Patientinnen ausserhalb dieser behandelt.

              Was ist dann passiert?
              Einige Jahre später und während der ganze Enthusiasmus über die Hochdosistherapie anhielt und Patientinnen munter weiter aggressiv ausserhalb der Studien behandelt wurden, kamen die ersten Ergebnisse raus.
              Die Patientinnen mit der Hochdosisbehandlung liefen gleich schlecht wie die Patientinnen mit der Standardtherapie. Viele von den aggressiv behandelten Patientinnen sind an den Nebenwirkungen der Behandlung sehr früh verstorben, in der Regel viel früher als wenn man gar keine Behandlung gemacht hätte.
              Alle aggressiv behandelten Patientinnen litten extrem, musste Monate lang aud Isolierstationen mit Ausgangsverbot und Atemschutzmaske in Krankenkäusern verweilen. Sie haben alle viele Nebenwirkungen gehabt und die Metastasen zeigten sich in der Regel wenig beeindruckt von der ganzen Behandlung.
              Der grösste Skandal war aber, dass viele dieser Patientinnen ausserhalb der Studien so behandelt wurden, weil ihre Onkologen es für richtig gefunden haben, aggressiv zu behandeln. Sie wurden eher einseitig über die Behandlung aufgeklärt und vielen wurde auch viel Hoffnung gemacht.
              Es ist was Anderes wenn man als Patient in einer Studie ist und gerade den Studienarm erwischt der schlecht läuft und deswegen früher stirbt oder mehr Nebenwirkungen verspürt. Es ist letztendlich eine Studie und man macht ja nur freiwillig mit. Schlimm ist es aber, wenn einem eine Behandlung empfohlen wird, die bislang wissenschaftlich nicht fundiert ist und weitreichende Konsequenzen hat.

              Die Hochdosistherapie bei Brustkrebs ist glücklicherweise wieder gestorben als Thema und keine Patientin mehr wird so behandelt.

              Einige der Forumsteilnehmer werfen mir und anderen vor, wir wären "dogmatisch" und würden viel zu sehr auf die Evidenz achten.
              Ich habe den Eindruck, dass zurück im Jahre 1995 in einem Brustkrebsforum, dieselbe Mitglieder eine Hochdosistherapie befürworten würden, während ich eher zur Vorsicht raten würde.


              Es ist nun mal so, dass man eine Behandlungsempfehlung nur dann ausgeben darf, wenn diese wissenschaftlich fundiert ist. Bei einigen Krankheitsbildern hat man ja verschiedene erprobte Behandlungen.

              Aber soweit zu gehen und einem fitten 60jährigen mit einem frühen oder mittleren Stadium eines Prostatakarzinoms als erste Empfehlung die DNA-Zytometrie und bei günstiger Ploidie die DHB zu empfehlen geht meines Erachtens zu weit.
              Es gibt Richtlinien, es gibt Standards, es gibt Empfehlungen. Und entgegen dem, was einige Forumsteilnehmer denken schauen wir Ärzte nicht nur auf die Empfehlungen der deutschen Gesellschaften sondern auch was die Kollegen in anderen Ländern und Kontinenten tun.
              Viele werden sagen, diese Empfehlungen sind veraltet. Das kann mal sein, aber über die Empfehlungen hinaus lesen wir alle auch Fachliteratur, wo die neuesten Studienergebnisse präsentiert werden.
              Als Beispiel steht in den Strahlentherapieempfehlungen für Brustkrebs die Bestrahlung der Brust mit 50 Gy in 2 Gy Einzeldosis.
              Ich halte mich aber nicht immer daran fest, weil es ja auch randomisierte Studien gibt, wo andere Bestrahlungsschemata getestet worden sind, die genau so gut waren (z.B. 15x2,66 Gy).
              Es wird wahrscheinlich noch einige Jahren dauern, bis die Richtlinien diesbezüglch modifiziert werden, aber bis dahin werde ich das neue Schema meinen Patientinnen auch anbieten.

              Was wir uns Ärzte geschworen haben ist dem Patienten nie Schaden anzurichten. Das ist das oberste Gebot. Der Patient vertraut uns seine Gesundheit und als Erstes dürfen wir ihm nicht schaden. Als Zweites kommt die effektivste Therapie für ihn zu finden.
              Jede Therapie (oder sogar die Unterlassung einer Therapie) hat auch Nebenwirkungen und Konsequenzen. Somit können wir nur das empfehlen, was nach dem höchsten Stand der Wissenschaft die korrekte Therapie ist.

              Und wenn ich jetzt anfange einem Patienten einen Östrogenrezeptorblocker zu geben, z.B. Tamoxifen, dann muss ich auch wissen, dass dieser wirksam ist.
              Tamoxifen führt zu Thrombosen mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 7%. Was passiert, wenn ich anfange wild Tamoxifen aufzuschreiben, ohne zu wissen ob es was bringt.
              Spätestens mein 14. Patient wird eine Thrombose kriegen.
              Und wenn aus dieser Thrombose eine Lungenembolie wird und er tot umfällt? Ist es dann immer noch ok?
              Nein, ist es nicht.
              Erst müssen wir eine Studie mit einigen tausenden Patienten machen. Die eine Hälfte kriegt Tamoxifen, die andere nicht. Und dann schauen wir was passiert. Wenn die Tamoxifen, tatsächlich das Überleben steigert und keine grossen Nebenwirkungen auftreten, darf man auch brav das Medikament aufschreiben. So funktioniert Medizin.

              Und genauso, sollte man eine schöne Studie mit Patienten machen, die eine günstige Ploidie haben. Die eine Hälfte wird operiert und die anderte Hälfte mit Active Surveillance + bei Bedarf Hormontherapie behandelt. Schauen wir ob sie doch nicht beide gleich lange leben. Dann kann man nämlich AS+Hormontherapie für diese Subgruppe der Patienten als genauso effektive Methode deklarieren.
              Das Argument, das die interessierten Wissenschaftler (auch die beiden Profs mit ihren Mitarbeitern) niemanden finden, der mitmachen will und kein Geld dafür haben, finde ich nicht valide. Die Pharmaindustrieleute wären die Ersten, die Unterstützung anbieten würden. Und wenn das so schwer mit der Patientenrekrutierung ist, sollen sie doch die Selbsthilfegruppen ansprechen und entsprechende Infoveranstaltungen organisieren. Sehr viele Patienten suchen Rat bevor sie sich zu der einen oder anderen Methode entscheiden.

              Man darf behandeln wie man will, man muss bloss argumentieren können, warum es auch so richtig ist.
              Der Strahlentherapeut.

              Alle Angaben sind nur Empfehlungen und basieren auf die verfügbaren Informationen. Sie ersetzen keinesfalls eine persönliche Beratung und Betreuung durch den behandelnden Arzt. Keine Arzthaftung.

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                #8
                Sehr geehrter Daniel Schmidt

                Ihr Beitrag klingt für mich absolut logisch und nachvollziehbar, aber unabhängig davon gebührt Ihnen mein Respekt und meine Anerkennung, dass Sie sich überhaupt zu dieser Stunde Zeit genommen haben, um in dieser Ausführlichkeit auf diese Problematik einzugehen.

                Sie tun dies ohne Honorar und müssen sich hier auch noch dämlich kommen lassen.

                Noch einmal mein Dank; bleiben Sie uns möglichst lange erhalten !!

                Beste Grüsse

                spertel

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                  #9
                  Hallo Herr Schmidt,

                  Ihre Antworten werden sachlicher und was noch wichtiger ist, Sie liefern Gründe. Dies ist der große entscheidende Unterschied zu Ihrem früheren Verhalten, wo Sie uns Reagenzglasergebnisse, molekulare Zelllinien und ähnliche Begriffe um die Ohren geschlagen haben von oben herab in dogmatischer Weise.
                  Man darf behandeln wie man will, man muss bloss argumentieren können, warum es auch so richtig ist.
                  Mit Ihrem Schlusssatz bin ich einverstandenund möchte diesen um ein Zitat aus Wikepedia ergänzen

                  „Evidenzbasierte Medizin fordert vom Arzt nicht nur klinische Expertise (das heißt Fachwissen am Krankenbett), sondern auch das Wissen, wie er sich die Ergebnisse aktueller wissenschaftlicher Forschung aneignet, wie er sie interpretiert und anwendet.“

                  Vergleiche hinken und die schwere Chemo bei Brustkrebs ist wohl nicht als Argument gegen AS nach den Vorschlägen von Prof. Böcking geeignet oder für eine Therapieentscheidung Sondermarker von Prof. Bonkhoff nicht zu berücksichtigen. Dies sind ganz andere Risikoklassen und nicht jeder Fortschritt bedarf einer randomisierten Studie.
                  Evidenz heißt nicht, nur auf Leitlinien und Studienergebnisse zu warten. Evidenz gemäß obigem Zitat ist für Sie als Arzt eine tägliche Herausforderung, um diesem Anspruch gerecht zu werden.

                  Gruß Knut.

                  Kommentar


                    #10
                    Dass die Evidenz angesprochen wird, darauf warte ich schon länger. Evidenz steht auch auf meinem Zettel, jedoch anders als bei Rustra oder Knut Krüger.

                    Die Evidenz, die ich ins Licht rücken will, heißt:

                    Evidenz in der Selbsthilfearbeit

                    Dieser Zusammenhang liegt mir wie ein Stein im Magen, nicht erst seit dem bedauerlichen und viel zu frühen - und unnötig frühen - Tod von Werner Rösler, sondern schon geraume Zeit früher. Ich behaupte es hier, und ihr könnt mich dafür steinigen, dass Werner Rösler noch einige gute Jahre mehr hätte haben können, hätte er selbst und hätten vor allem die, auf die er gehört hat, ein wenig mehr Wert auf Evidenz gelegt.

                    Es ist im Fall Werner Rösler nichts mehr rückgängig zu machen, leider. Aber ich meine, dass wir in Zukunft auch in der Selbsthilfearbeit viel mehr darauf achten müssen, dass Evidente Medizin Grundsatz ist.

                    Kommentar


                      #11
                      Hallo Dieter aus Husum,

                      dies ist ein freies Forum, das ehrenamtlich geführt und vom BPS finanziell gesponsert und mit ein paar Spenden von privater Seite unterstützt wird. Es ist kein offizielles Sprachrohr oder Diskussionsplattform des BPS. Ich bin froh, dass es dies Forum gibt, dass der BPS durch seine finanzielle Unterstützung dies ermöglicht. Aber ich als nicht gebundenes Forumsmitglied fühle mich nicht berechtigt, ja ich fühle mich überfordert, Schuldzuweisungen wegen des Todes eines SHG-Leiters hier im Forum zu diskutieren.

                      Knut.

                      Kommentar


                        #12
                        Hallo Knut Krüger, bitte keinen falschen Zungenschlag: Wir wollen keine Schuldzuweisungen diskutieren! Wir sollten die Evidenz in der Medizin diskutieren, so wie es evtl. auf Deinem Zettel steht und wir können aber auch die Evidenz diskutieren, so wie sie auf meinem Zettel steht. Du kannst da und/oder dort mitmachen oder auch nicht, ganz wie es beliebt.

                        Werner Rösler hat wenig evidente Wege eingeschlagen und ist hauptsächlich deshalb, das ist meine Meinung, zu früh gestorben. Wenn das so stimmt, dann müssen wir daraus lernen.

                        Kommentar


                          #13
                          Hallo Dieter aus Husum,

                          dies ist nicht eine Frage des Zungenschlags sondern der Pietät.

                          Knut.

                          Kommentar


                            #14
                            Zitat von knut.krueger Beitrag anzeigen
                            Hallo Dieter aus Husum,

                            dies ist nicht eine Frage des Zungenschlags sondern der Pietät.

                            Knut.
                            Auf diesem Niveau solltest Du nicht argumentieren, Du machst Dich dadurch unglaubwürdig. Der falsche Zungenschlag bezieht sich unmissverständlich auf Schuldzuweisungen und nicht auf Pietät.

                            Pietät bedeutet Respekt und Ehrfurcht einem Toten gegenüber. Wenn wir, nachdem eine geraume Zeit seit dem Ableben von Werner Rösler verstrichen ist, über die Evidenz seiner Krebsbehandlung sprechen, dann hat das nichts mit Respektlosigkeit zu tun. Im Gegenteil!

                            Respekt und der Fürsorgegedanke gegenüber den lebenden Krebserkrankten gebietet es uns wie auch den Medizinern, die Evidenz und die Validität zu wahren. Das gilt in ganz besonderem Maß für uns in der Selbsthilfe.

                            Kommentar


                              #15
                              Vergleiche hinken und die schwere Chemo bei Brustkrebs ist wohl nicht als Argument gegen AS nach den Vorschlägen von Prof. Böcking geeignet oder für eine Therapieentscheidung Sondermarker von Prof. Bonkhoff nicht zu berücksichtigen. Dies sind ganz andere Risikoklassen und nicht jeder Fortschritt bedarf einer randomisierten Studie.
                              Evidenz heißt nicht, nur auf Leitlinien und Studienergebnisse zu warten. Evidenz gemäß obigem Zitat ist für Sie als Arzt eine tägliche Herausforderung, um diesem Anspruch gerecht zu werden.
                              Ich bin von der molekularbiologischen Untersuchungen beim Prostatakrebs nich überzeugt. Ich finde nicht, dass sie reif genug sind, damit man diese Ergebnisse zur Entscheidungsfindung nehmen kann.
                              Das ist meine Meinung und mit dieser Meinung repräsentiere ich die absolute Mehrheit meiner Kollegen.
                              Wenn Sie mich von den molekularbiologischen Markern überzeugen möchten, sollten Sie mir auch zeigen, wo diese bei Patienten getestet worden, wie sie zur Therapieentscheidung beigetragen haben und ob das so in Ordnung war.

                              Es gibt eine Gefahr, wenn man sich zu weit auf solche ungetestete Marker verlässt und Patienten je nach deren Konstellation behandelt:
                              Die Gefahr, dass man Patienten unterbehandelt und der letzten Funken auf Hoffnung auf Heilung verloren geht.
                              Es gibt hier Forumteilnehmer, die bei einem "cT3a, Gleason 5+4=9, PSA 24 ng/ml" Tumor mit ungünstiger Ploidie, gleich aufschreien würden:
                              "Systemische Erkrankung, unheilbar, nur Hormontherapie + Chemo, nicht an OP oder Strahlentherapie denken."
                              Und das ist schade.
                              Denn damit verliert dieser Patient auf absolut JEDE Hoffnung auf Heilung.
                              Sie ist zwar nicht gross bei der Konstellation, aber mit maximaler Behandlung (OP+Strahlentherapie+Hormontherapie) liegt sie vielleicht bei 10%.
                              Um diese 10% geht es. Die muss man dem Patienten in Aussicht stellen. Sie wären erstaunt, wenn Sie sehen würden wieviele Nebenwirkungen Patienten gerne in Kauf nehmen um ihre letzten 10% Hoffnung auf Heilung zu behalten.
                              Der Strahlentherapeut.

                              Alle Angaben sind nur Empfehlungen und basieren auf die verfügbaren Informationen. Sie ersetzen keinesfalls eine persönliche Beratung und Betreuung durch den behandelnden Arzt. Keine Arzthaftung.

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