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Meine 4 Phasen der psychischen Verabeitung

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    Meine 4 Phasen der psychischen Verabeitung

    Hallo Zusammen!

    Angeregt durch Helmuts Bericht http://forum.prostatakrebs-bps.de/sh...s-ein-Rckblick und durch ein Referat von PD Dr. Tschada, Chefarzt der Urologie im Diakoniekrankenhaus Mannheim, das er im Mai vor unserer SHG gehalten hatte, habe ich mir darüber Gedanken gemacht, wie es bei mir war und noch ist. Ich möchte hier nicht über Diagnosen und Therapien berichten, sondern über die psychische Verarbeitung meiner Erkrankung.

    1. Schockphase
    Im März 2009 traf mich die Diagnose fortgeschrittener Prostatakrebs vollkommen unerwartet. In unserer Familie ist Krebs unbekannt. Ich dachte, dass ich ev. einmal an einem Herzinfarkt sterbe wie mein Vater oder dass ich einen Unfall erleide, da ich viel mit dem Auto unterwegs bin und auch gerne das eine oder andere gefährliche Hobby betrieben hatte. Spaßeshalber habe ich früher immer gesagt, dass ich mit 90 durch einen eifersüchtigen Ehemann im Bett meiner Geliebten erdolcht werde.

    Doch nun: Krebs!

    "Die irren sich!" "Das kann nicht sein!" "Warum ich?" "Was habe ich falsch gemacht?" "Wann sterbe ich?" sind meine Gedanken.

    Schnell ist eine Patientenverfügung verfasst, die Finanzen für die Frau und die Kinder geordnet. Nachts, wenn ich nicht schlafen kann, verfasse ich meine eigene Grabrede. Ich versuche auszurechnen, wieviele Tage ich noch zu leben habe. Ohne Ergebnis. In Gedanken nehme ich schon Abschied.

    Meine Familie ist für mich da, bedingungslos und immer. Trotzdem fühle ich mich einsam und allein. Ich rede wenig. Dies ist "mein" Tod.

    2. Trotzphase
    Ich bin arbeitsunfähig. Genau 1 Tag sitze ich auf meiner Couch und denke über meine Situation nach. Dann kommt der Trotz durch. Ich habe nur 2 Möglichkeiten: entweder mich meinem Schicksal ergeben oder kämpfen. Und ich entscheide mich sofort fürs Kämpfen, da ich leben will. Die Alternative gefällt mir gar nicht.

    "Das regel ich schon!" "Diesem Sch....-Tumor zeige ich es" "Ich bekämpfe diesen Feind!" "Ich werde noch meine Enkel im Arm halten"

    Ich telefoniere mit allen Menschen, die mir im Leben etwas bedeutet haben und knalle ihnen meine Diagnose schonungslos an den Kopf. Auch sie sind geschockt, aber sie reagieren alle vorbildlich. Viele reagieren emotional, andere wieder sagen offen, dass sie dazu gar nichts sagen können, ausser, dass sie bei mir sind. Aber keiner redet dummes Zeug. Alle sind sie für mich, für uns, da.

    Ich erkenne auch, dass nicht ich allein erkrankt bin. Auch meine Frau und meine Kinder brauchen und erhalten Zuspruch. Es tut so gut in einer intakten Familie zu leben und wirkliche Freunde zu haben. Ich werde nicht nur für mich kämpfen, sondern auch für sie alle. Ich rede sehr viel über meine Krankheit, aber auch über meine Gefühle. Das tut in einer Weise gut, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Ich, der Ruhige, der große Schweiger, redet auf einmal.

    3. Suchphase
    Der Kampf beginnt. Tage- und nächtelang durchstöbere ich das Internet, lese Bücher zu diesem Thema, befrage Jeden, der auch nur ansatzweise etwas mit dem Thema Krebs zu tun hat. Ich besuche Kliniken, Urologen, Onkologen, Naturheilkundler, Kongresse. Ich hole mir Zweit-, Dritt- und Viert-Meinungen. Ich lerne Dr. Strum in Darmstadt kennen. Ich besuche eine SHG.

    "Da muss es etwas geben, das mir hilft" "Ich muss nur den Richtigen finden" "Die Schulmedizin weiß nicht alles"

    Doch die Fülle an Informationen zur Therapie ist riesig. Einerseits die evidenzbasierte Schulmedizin, die mir sagt, dass sie mich nicht mehr heilen kann, andererseits alle möglichen Institutionen und "Fachleute", die mir eine Heilung in Aussicht stellen. Manches davon ist verlockend, manches einfach absurd und gefährlich. Doch wie das Eine vom Anderen unterscheiden? Ich bin doch nur Laie. Sehr früh befasse ich mich auch mit der psychoonkologischen Seite. Ich lerne, dass die Psyche eine große Rolle spielt.

    In dieser Phase wird man gerne zum LEO (Leicht erreichbares Opfer). Der Druck, der auf mir lastet, verführt mich fast dazu, den vielen Versprechungen einfach zu glauben. Doch, wenn man tiefer in die Materie geht, bleibt oft nur heiße Luft. Bitte nicht falsch verstehen! Ich bin durchaus ein Freund der Komplimentär-Medizin und von NEM`s. Aber in meinem Fall bin ich zur Überzeugung gelangt, dass sie nur als Ergänzung zur Schulmedizin dienen können. In einem Fall wurde mir ein teures Medikament angetragen, das bei Tieren sensationelle Remissionen bewirken soll. Meine Recherche dazu ergibt allerdings: Null!

    4. Akzeptanzphase
    Ich akzeptiere meine Erkrankung. Ich akzeptiere nicht, dass sie mich töten könnte. Der Tumor ist nicht mehr ein tödlicher Feind, der mich von außen wie ein gefährlicher Virus befallen hat, sondern es sind meine eigenen Zellen, die sich aus noch nicht bekannten Gründen einfach bilden und durch das Immunsystem nicht beseitigt werden können. Dies erlaubt mir, meine Therapie zu finden, die bisher erfolgreich ist. Es erlaubt mir, mit meinen Tumorzellen zu reden, wie zu einem missratenen Kind, das man als liebender Vater wieder auf den Pfad der Tugend führen möchte. Ich versuche eine tödliche Krankheit in eine chronische Krankheit zu überführen. Ob es gelingt, kann nur die Zukunft zeigen.

    Ich komme langsam zur Ruhe und nehme meine Tätigkeit in einer SHG auf. Das in kurzer Zeit erlangte Wissen möchte ich an andere weitergeben und neues dazu gewinnen. Es ergibt für mich einen Sinn im Leben. Auch suche ich bewußt durch diese Tätigkeit den Kontakt zu Ärzten und Betroffenen, in der Hoffnung, sie könnten mir und anderen helfen. Ich finde in der SHG neue Freunde.

    Ich lerne zusammen mit meiner Frau, dass ein fast testosteronloser Mann, ein Neutrum, trotzdem Spaß am Sex haben kann. Aber ich leide darunter, dass mein früher so sportlicher Körper verweiblicht, aufschwemmt, fett wird. Die Kraft schwindet, die Gelenke schmerzen. Hier bezahle ich den größten Preis.

    Ich kann mir nun in Ruhe Gedanken machen, wie es nach Versagen der DHB weitergehen soll. Es gibt einige Optionen. Es beruhigt mich zu wissen, was in meinem Körper vorgeht und wie ich darauf reagieren kann. Die Zukunft ist wieder klarer und freundlicher geworden.

    Liebe Grüße
    Günter
    "Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen, man muss auch tun"
    Johann Wolfgang von Goethe

    Meine Geschichte unter myProstate

    #2
    Günter,
    vielen Dank für die Gliederung Deines Verlaufs. Das gibt Neubetroffenen sicher Hofnung, wenn sie erkennen, dass es auch wieder weiter geht...

    Bei mir waren diese Phasen etwas differenziert:

    1. Schockphase:
    Klar, hat jeder. Daraus musste ich mich, auch mit externer Hilfe, unter Mühen herausarbeiten um in die

    2. Suchphase
    zu kommen. Trotzphase ist ausgefallen! Wenn es nicht heilbar erscheint, war Kampf um des Kampfes Willen für mich unsinnig - vergeudete Kraft.
    Auch ich habe Dr. Strum in Darmstadt kennen gelernt und bin mit ihm über Dr.FE zumindest indirekt weiter in Kontakt geblieben. Sein Konzept scheint mir das für mich beste zu sein.
    So entsteht Wissen durch Suche und damit parallel Akzeptanz. Die Suche hört aber nie auf (hoffentlich ?!)

    Dir weiterhin alles Gute - wg. der Enkelkinder...

    Andi

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      #3
      Lieber Günter,

      vielen Dank für Deinen offenen und ausführlichen Bericht. Er macht Mut und zeigt wieder einmal mehr, wie wichtig die Berücksichtigung der Psyche beim Umgang mit unserer Krankheit ist. Besonders gefällt mir, was Du zur Akzeptanz des Tumors schreibst. Ich denke auch, dass es ganz entscheidend ist für die Behandlung und für unsere Lebensqualität ist, ob man/Mann ein Organ und einen Krankheitsprozess im eigenen Körper als Feind sieht, der mit allen Mitteln vernichtet werden muss oder ich die Erkrankung akzeptiere als etwas, was sich in mir - aus welchem Grund auch immer-entwickelt hat und mit dem ich umsichtig umgehen muss. Ich wünsche Dir, dass Du weiterhin Deine Kraft und Besonnenheit entfalten kannst.
      Alles Gute
      Peter

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        #4
        Hallo Günter!

        Mit großem Interesse habe ich Deine offene Darstellung gelesen und freue mich, festzustellen, dass es bei Dir im Ablauf der einzelnen Phasen große Parallelen zu meiner eigenen Entwicklung gab. Die Akzeptanz der Erkrankung als Bestandteil des eigenen Körpers scheint mit ein besonders wichtiger Punkt zu sein.

        Ich bin überzeugt, dass Berichte dieser Art für manchen Betroffenen hilfreich sein könnten, um Denken und Empfinden in eine andere, bessere Richtung zu lenken.

        Dir persönlich wünsche ich als 5. Phase das 10jährige Jubiläum der Diagnose, dann können wir weitere Erfahrungen austauschen!

        Viele Grüße
        Helmut

        Kommentar


          #5
          Fortsetzungen sollten folgen

          Hallo Guenter, angeregt durch Helmut (i) hast nun auch Du einen ganz erstaunlichen in vier Phasen eingeteilten Bericht ueber Deine Neu-Orientierung nach Kenntnisnahme der Tatsache an Prostatakrebs erkrankt zu sein, hier eingestellt. Man nimmt erstaunt wahr, welches bemerkenswerte Reservoir an Moeglichkeiten der Darstellung aehnlicher Ablaeufe doch etliche Forumsbenutzer Realitaet werden lassen koennen. So hoffe auch ich auf eine Fortsetzung dieser Moeglichkeit, sich die hier und da bestehenden Aengste von der Seele schreiben zu koennen, weil das wirklich helfen kann, so nach und nach auch die psychische Belastung, ausgeloest durch unseren gemeinsamen Feind, etwas zu reduzieren. Helmut (i) hat das ja in seiner unnachahmlichen Ausdrucksweise unter Beweis gestellt. Man nimmt ihm foermlich ab, dass ihm das Schreiben geholfen hat, sich mit seiner Krankheit abzufinden, ja sich regelrecht mit ihr zu arrangieren. Wer dazu in der Lage ist, ist auch faehig, das Leben noch so zu geniessen, als gaebe es die Krankheit nicht wirklich. Allen Optimisten und natuerlich auch den Pessimisten wuensche ich frohe Pfingsten verbunden mit einem morgendlichen Gruss aus dem sonnigen Kroatien,

          "Mensch: das einzige Lebewesen, das erröten kann. Es ist aber auch das einzige was Grund dazu hat"
          (Mark Twain)

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            #6
            Hallo Günter,

            ich habe Deinen Bericht mit sehr großem Interesse gelesen, gestern schon, gleich mehrfach. Und ich habe mich zwischenzeitlich gefragt, ob es nicht "meine" Situation ist, die Du dort beschreibst. Als ich es vorhin meiner Frau gezeigt habe, fragte sie spontan auch, ist es "Günter" oder ist es "Detlev".

            Es gibt riesige Parallelen: der gleiche Jahrgang, zwei Kinder, die Plötzlichkeit der Diagnose, die Art der Diagnose, der hohe PSA-Wert, die Knochenmetastasen, und vor allem gewisse Gemeinsamkeiten in der psychischen Verarbeitung, Gemeinsamkeiten in der Therapie.

            Mein Eindruck: hier öffnet sich jemand, der begriffen hat, dass die Verarbeitung dieser schlimmen Diagnose offener Worte in allen Belangen bedarf. Was in den vielen Berichten (Threads) sich sehr oft nur auf die reine Diagnose und auf die reine Therapie(-wahl) beschränkt, und nur allgemein mit Schock und Angst bezeichnet wird, hast Du sehr treffend in verschieden Bereiche gegliedert und sie differenziert in Deinem Empfinden dargestellt (ähnlich Helmut's (i) Rückblick zu seinem 10-jährigem Diagnose-Jubiläum). Ich finde auch, dass diese offene Darstellung der Art der Bewältigung besonders hilfreich ist.

            Deshalb möchte ich auch Deinen Thread dazu nutzen, noch etwas ausführlich auch auf meine Geschichte einzugehen (schon alleine der Parallelen willen, aber auch Hutschi's Anregung folgend), da ich denke, dass sich solch offene Darstellungen und persönliche Einschätzungen für andere sehr positiv in ihrer Bewältigung bemerkbar machen können.

            Phase 1 = Schock
            Wie zutreffend! 6. August 2009, die ganze Situation ist wie ein Film in meinem Kopf eingebrannt. Bei mir war es nicht die Tatsache des PK's an sich, da mein Vater schon PK hatte und ich damit rechnen konnte. Es war die plötzliche Schwere der Diagnose. Nichts gemerkt zu haben. Keine Prostata-Beschwerden. Keine Anzeichen. Die Diagnose durch die Hintertür zu bekommen, weil etwas mit den Knochen nicht stimmte, war brutal. Ich war gerade zu paralysiert, überließ die Therapieentscheidung völlig den Ärzten, nicht aus Vertrauen ihnen gegenüber, nicht aus der Unkenntnis des Krankheitsbildes, sondern einfach weil ich wie gelähmt war. Ich hatte Glück, dass sie anscheinend richtig entschieden haben.
            Gleichzeitig aber dann das Bewusstsein, wenn ich in meiner psychischen Struktur nicht zerbrechen wollte (umfangreiche persönliche Erfahrungen lagen 4 Jahre zurück -Depression, Suizid), dann musste ich mir sofort Hilfe holen. Noch in der Klinik während der Diagnosephase rief ich meinen Psychiater an und bat um einen sehr kurzfristigen Termin.

            Drei Wochen dauerte diese Schockphase. Auf der einen Seite wollte ich nichts über "meine" Krankheit wissen, nur die groben Details der Medikamente (Trenantone, Zometa - was machen sie, Nebenwirkungen) interessierten mich, der Rest schien "irgendwie beschlossene Sache" zu sein. Hoffnung in eine Zukunft zu haben fand bei mir nicht statt. Es war alles so unwirklich.
            Ohne meine Frau und dem Rat des Psychiaters, sofort mit einer Psychotherapie (hauptsächlich Angststörung + Traumatisierung) zu beginnen, hätte ich es nicht bewältigt. Apropos Psychotherapie: es hat noch fast 11 Wochen gedauert, bis ich diese dann beginnen konnte, Termine sind auf Monate ausgebucht, erst beim 10. Therapeuten bin ich fündig geworden, und Münster ist keine kleine Statt und hat sehr, sehr viele Therapeuten. Und bis dahin fühlt man sich immer wieder sehr alleine.

            Trotz, der Krankheit ein Schnippchen zu schlagen, hatte ich nicht. Auch Wut oder Ohnmacht oder ähnliches habe ich nicht empfunden. Ich war irritiert von meinem Körper, haderte mit der offenbar verloren gegangenen Fähigkeit, an ihm zu bemerken, was mit mir los ist. Immer konnte ich ihm Vertrauen. Wenn früher etwas nicht stimmte, signalisierte er es mir. Jetzt war es anders. Zwar hatte ich eine sehr schmerzhafte Episode an der Lendenwirbelsäule, aber die vermutete ich ja in Bandscheibenproblemen ausgelöst. Von den Knochenmetastasen spürte ich gar nichts. Als ich das Röntgenbild meines Oberarmes sah, dachte ich, das kann nicht sein, dass sich diese Veränderung nicht bemerkbar macht. Ich zwickte in meine Haut, es tat weh. Ich drückte auf die Schadhafte Stelle an meinem Arm, ich spürte nichts. Die Ärzte sahen es als so kritisch an, dass sie über eine sofortige Stabilisierung nachdachten. Irgendetwas heben durfte ich ab da nicht mehr.
            Und warum spürte ich nichts an der Prostata? Sie ist ein einziger Tumor. Alle 10 Stanzen positiv, nur eine einzige hatte gerade einmal 20% Infiltration, ansonsten 80, 90, 100%. Ich verstand es nicht. Der pathologische Befund eher mäßig (Gleason 3+4=7). Es ist auch unerheblich, ob der Pathologe sich geirrt hat, am Gesamtbefund ändert sich gar nichts. Bis heute habe ich nicht begriffen, was da in mir los ist. Der halbe Körper Metastasen und keine Anzeichen.
            Schlaflosigkeit, Angstzustände, Hilflosigkeit. Meine Familie, meine Freunde, meine Bekannten, überall erfahre ich Zuspruch, und trotzdem habe ich wie Du, Günter, oft das Gefühl, allein zu sein. Immer wieder frage ich mich, was in aller Welt führt dazu, dass es in den letzten Jahren so knüppeldick kommt. Finanzielle Pleite beim Hausbau, Ehekrise, kaputte Bandscheibe, psychiatrische Klinik, berufliche Herabstufung, Scheidung, Unfall, jetzt Krebs!
            Ich erkenne, wie schwer die psychische Belastung ist, mache etwas, um da heraus zu kommen, aber es ist ein sehr mühevoller Weg.
            Und ich erfahre, wie es ist, mit einem Rückschlag fertig zu werden. Der PSA bleibt eine zeitlang auf einem bestimmten Wert stehen, schon wieder hadere ich mit dem Schicksal, sehe meine Therapieoptionen durch die Finger rinnen. Bin 8 Wochen depressiv, davon drei Wochen so massiv, dass ich nicht arbeite, sondern hänge nur rum.

            Die Schockphase zu überwinden verdanke ich drei Umständen:
            1. Meiner Frau (!). Dankbarkeit dafür ist viel zu wenig. Sie hat mich wieder aufgebaut. Ihr Interesse an meiner Krankheit, Ihre Recherche im Internet haben auch mich schließlich animiert.
            2. Meine persönliche "schlechte" psychische Erfahrung 4 Jahre zuvor. Ich wusste sofort, dass ich mich um meinen psychischen Zustand kümmern musste! Und ich wusste, dass ich ganz offen damit umgehen musste. Damit hatte ich vier Jahre vorher auch gute Erfahrungen gemacht. Auch ich habe meine Familie, alle meine Verwandten und Bekannte, den Arbeitgeber, die Arbeitskollegen offen mit "meiner" Diagnose konfrontiert. Habe offen zugegeben, wenn ich nach meinem Befinden gefragt wurde, wie "beschi..." ich mich fühlte. Und ich habe genau dieselben Reaktionen erfahren, wie Du, Günter, sie beschrieben hast. Und es war keine einzige schlechte Reaktion dabei. Da meine Diagnosephase gut 8 Tage Klinikaufenthalt bedeutete, habe ich ein paar Tage länger nicht gearbeitet. Aber dann ging es auch sofort weiter.
            3. Anfang September gab mir ein Arbeitskollege die neue Spiegelausgabe, in der über die "Bewältigung" der Krebserkrankung (Zungengrundkrebs) eines sehr renommierten und angesehenen Spiegel-Journalisten, Jürgen Leinemann, mehrfach für seine schriftstellerische Qualität ausgezeichnet, geschrieben wurde. Titel: "Und gestern wollte ich wieder sterben". Dieser Titel entsprach genau meinen Gedankengängen, wie ich sie fast täglich in den Grübelphasen hatte. Der Artikel brachte mich dazu, (und auch die Animation meines Psychiaters), wie ich es Verarbeiten sollte, brachte mich dazu, meine Krankengeschichte und mein Leben damit, der Umgang mit der Krankheit, meine Gedanken dazu, in Form eines Tagebuches aufzuschreiben. Mein psychischer Druck fand ein Ventil. Mittlerweile habe ich schon fast 200 Seiten (!!!) niedergeschrieben, und ich bin noch lange nicht fertig. Anfang Oktober kaufte ich sein gerade erschienenes Buch (der Anlass zu der Spiegel-Titel-Story) "Das Leben ist der Ernstfall" (ISBN 978-3-455-50122-3, erschienen im Hoffmann und Kampe Verlag, Hamburg, 2009. Das Buch ist phantastisch. Schonungslos offen berichtet Jürgen Leinemann über sein Leiden mit dem Krebs, seine Therapie, sein Leben, nüchtern, analysierend, aber gerade auch über seine Psyche. Ich finde mich dort wieder, nicht mit der Art der Diagnose, nicht mit der Krankengeschichte, aber in meiner Psyche. Und wer es liest, wird mir zustimmen, literarisch einfach nur klasse. Es bestärkt mich, auf die gleiche Art und Weise, schreibend, ohne Tabus, meine Situation anzugehen.

            Phase 2 = Informationsphase, Aktivitätsphase
            Das Internet wird mein "Zuhause"! Ich sauge alles in mich auf, was ich finden kann. Das Forum wird mein ständiger Begleiter, die S3-Leitlinien lese ich in einer Nacht. Ich führe Buch über die Medikation, über die Blutwerte. Ich stelle mich kritisch der Therapie, frage im Forum nach Erfahrungen, bin erleichtert, als ich feststelle, dass die Therapiewahl meiner Ärzte gut zu sein scheint. Diskutiere mit meinem Urologen und den Onkologen über Alternativen, werde mein eigener Fachmann. Von Anfang an gehe ich sehr nüchtern diese Angelegenheit an, aber dafür umso intensiver. Meiner Frau ist es manchmal zu viel. Sie möchte nichts über Prognosen wissen, will nur, dass es mir gut geht.
            Ich stelle fest, dass man die Informationen sehr stark filtern muss.
            Betroffene berichten manchmal auf ihre eigene Situation bezogen einseitig. Das ist zwar ganz normal, aber oft nicht besonders hilfreich. Schon gar nicht, wenn es unsinnige Auseinandersetzungen über Formulierungen gibt. Aber ich begreife irgendwie auch, dass es dazu gehört. Jeder ist in sich selber auch gefangen. In den Threads muss man sehr auf die Details achten. Pro und Kontra analysieren. Und sich nicht verrückt machen lassen. Trotzdem, ich bin für jede Äußerung dankbar. Ich merke, dass ich nicht mehr "alleine" bin.
            Ärzte haben oft nur die rein medizinische Sicht und ihre Standards, sind in ihrer Disziplin gefangen. Seine eigene Meinung einbringen kostet sehr viel Kraft und Durchhaltevermögen, Ärzte sind manchmal empfindlich, wenn man an ihrer Kompetenz zweifelt, und sei es auch nur, in dem man eine Alternative ins Spiel bringt.
            Da die Psychoonkologie bei mir von Anfang an da ist, verspüre ich im Vergleich zu anderen Betroffenen einen Vorteil, manchmal reizt es mich, in Bezug auf diesen Aspekt mich ins Forum einzubringen (wie jetzt!). - Ich kann jedem, der mit seinen psychischen Probleme kämpft, ohne sie offen zuzugeben, nur empfehlen, sich professionelle Hilfe zu holen.

            Ich erarbeite mir ein Spektrum von Alternativen, um demnächst besser auf - unvorhergesehene - Ereignisse vorbereitet zu sein, um dann mit den Ärzten die Entscheidung treffen zu können. Nicht wieder einen Schock zu bekommen.
            Noch bin ich nicht so weit, um mit meinen Erfahrungswerten anderen helfen zu können. Nur gelegentlich, in für mich besonderen Fällen, ergreife ich eine Initiative. Ich weiß aber, dass wir Betroffene durchaus auch die Aufgabe haben, unsere Erfahrungen weiter zu geben. Viele ähnliche Situationen treten auf, warum nicht darauf hinweisen, wie wir damit umgegangen sind, was geholfen hat, was nicht geholfen hat. Ich glaube auch, in dem eigenen betroffenen Bereich aktiv zu werden hilft gelassener mit sich selbst umzugehen.

            Phase 3 = Akzeptanzphase
            Dies sehe ich etwas anders als Du, Günter. Meinen Tumor akzeptiere ich nicht. Er ist für mich ein Biest, ein Scheusal, etwas sehr bedrohliches. Niemals möchte ich ihn für mich anerkannt haben (akzeptiert haben). Er wird mich irgendwann töten. Nüchtern, statistisch, klinisch evaluiert irgendwann in 3 bis 10 Jahren. Ich werde mich mit Händen und Füßen wehren, solange ich mich mental und körperlich dazu in der Lage sehe. Nicht um jeden Preis. Meiner Frau habe ich im November 2009 bei der Hochzeit versprochen, 44 Ehejahre mit ihr einzuhalten. Ich glaube, dass es möglich ist. Realistisch ist es nicht! Ich habe keine Angst vor dem Tod. Die Art und Weise,, wie es stattfinden soll, finde ich schlecht. Und für diese Art und Weise ist der Tumor verantwortlich. Es sind degenerative bösartige Zellen, die ich nicht haben will. Man kann sie nicht mehr herausschneiden, ich muss mit ihnen weiterleben. Aber haben will ich sie nicht. Auch wenn ich es mir vielleicht selbst zuzuschreiben habe, meine Lebensweise, die Gene, egal: ich akzeptiere diese Zellen nicht. Vielleicht wird es irgendwann eine erfolgreiche Methode geben, sie zu zerstören. Dann bin ich dabei!

            Alles andere daraus akzeptiere ich. So wie ich meine kaputte Bandscheibe akzeptiere, wie ich das meine Brustwirbelsäule stabilisierende Instrumentarium von Stangen und Schrauben akzeptiere, meine psychische Labilität akzeptiere, meine Therapie und deren Konsequenzen akzeptiere. Ich akzeptiere, dass ich mich einschränken muss, akzeptiere den körperlichen Wandel (schon wieder diese Gemeinsamkeit: mehr Bauch, mehr Busen, weniger Leistungsfähigkeit, Häufig Müdigkeit), auch wenn ich weis, dass ich dagegen etwas mehr tun kann. Ich akzeptiere die Nebenwirkungen, rege mich nicht über die Hitzewallungen auf, über die Schweißausbrüche, auch wenn es peinlich ist, wenn es gerade in einem vollen Bus und direkt neben einem Nachbarn oder einer Nachbarin am Sitzplatz passiert und sich die Schweißtropfen bilden, obwohl durch den Winter es im Bus nicht gerade warm ist!
            Ich akzeptiere, dass ich keine Prognose von den Ärzten bekomme, obwohl aus meiner Sicht für mich dies eine riesige Motivation wäre, den Prognosezeitraum überstehen zu wollen. Ich wäre begeistert, wenn mich jemand auf ein realistisches Erreichen eines 10-jährigen Diagnose-Jubiläums hinweisen würde. So muss ich es für mich in kleinere Etappen gliedern.

            Ich akzeptiere, meinem Arbeitgeber nur noch eingeschränkte Leistungsfähigkeit anbieten zu können. Ich werde selbstbewusst genug, die Interessen bezüglich meines Körpers in den Vordergrund zu stellen, nehme die 5 Tage mehr Urlaub durch die Schwerbehinderung gerne für mich. Vor einem Jahr hätte ich noch gedacht, Schwerbehinderung kommt für mich nicht in Frage. Trotz kaputter Bandscheibe, trotz kaputter Brustwirbelsäule. Ich konnte mich halbwegs bewegen, das hat mir gereicht. Körperlich bin ich heute am selben Punkt, hinzugekommen ist nur, dass ich nichts mit Gewichten machen darf (durfte ich damals aber auch nicht, wusste es nur nicht). Ich nehme die Schwerbehinderung jetzt als Vorteil. weniger Steuern, Theaterbesuche werden preiswerter, meine Arbeitgeber gehen umsichtiger mit mir um!

            Ich begreife, dass sich mein Leben grundlegend verändert hat, obwohl ich möglichst viel Normalität dort sehen sollte. Ich konzentriere mich überwiegend auf das Alltagsgeschehen, versuche, dort die positiven Seiten viel bewusster aufzunehmen. Und die negativen ignorieren zu lernen. Plötzlich ist Zukunft für mich etwas sehr nahes, etwas, was morgen passiert. Und nicht in einem halben Jahr. Auch wenn man manchmal wie früher in Zukunftsträume verfällt und bei einem Besuch im Sauerland denkt, hier könnte man in seinem Rentnerdasein alt werden. Und es bei dem Stichwort alt ganz kurz düstere Schleier sich über die Gedanken legen. Oder sich vorstellt, im nächsten Jahr nach Kanada zu seiner Cousine zu fliegen und anschließend sich über dieses nächste Jahr ein Fragezeichen legt.

            Wie Du, Günter, begreife ich, dass Sexualität eine andere Qualität bekommt. Auch ohne Libido. Und das das Ansprechen dieser Situation gemeinsam mit der Partnerin gute und neue Erkenntnisse bringt, die man bei sich und seiner Frau ohne diese Krankheit nicht vermutet hätte und sie so auch nie Erfahren hätte. Ich lerne, dass (normales) männliches Begreifen von Sexualität ziemlich einseitig und egoistisch gewesen ist, gerade auch dann, wenn man von einer aktiven Rolle und der Wichtigkeit der Sexualität für einen selbst überzeugt war.

            Fazit
            Ich bin krank, aber das ist noch nicht "das Ende".
            Ich kann nur betonen, wie wichtig für die eigene Therapie und das Wohlfühlen der offene Umgang mit seiner eigenen Psyche ist. Klar, jeder muss es auf seine Weise machen, und es bringt relativ wenig, jemanden zu einem Weg zu zwingen. Ich denke, es ist unsere Aufgabe, Hinweise und Anregungen zu geben, aber wir sollten es nicht überinterpretieren, wenn andere darauf nicht eingehen, auch wenn eine "Ignoranz" des anderen einem in der Seele weh tut (ich beziehe mich da auf den Parallel-Thread von Helmut (I). Wir sind alle ganz individuelle Wesen, wir sollten vor dieser Individualität höchsten Respekt zeigen.
            Mein Vater hat mir, als ich noch klein war, immer wieder gesagt, die Freiheit eines Menschen hört da auf, wo die Freiheit des nächsten beginnt. Ich sehe es auch so. Später fand ich seine flapsige Formulierung "was du nicht willst, was du nicht willst, das willst auch nicht was andere willst" viel einprägsamer. Vielleicht ist es sehr plakativ, nicht differenziert genug, aber es hat seine Wahrheit!

            Dir Günter wünsche ich Alles Gute für den weiteren Weg. Ich möchte mich Helmut anschließen: Vielleicht tauschen wir uns in 9 Jahren ja über genau dieses Thema noch einmal aus, vielleicht dann auch wieder etwas weiser.

            Viele Grüße

            Detlev

            P.S. Ich werde jetzt Ende Mai der Selbsthilfegruppe in Münster beitreten. Ich habe sie im Januar Kennen gelernt, hatte aber durch die Depression zwischendurch und durch andere wichtige Termine noch keine Gelegenheit, dort hin zu gehen. Ob ich dort aktiv mitarbeiten werde lasse ich noch völlig offen. Die räumliche Entfernung und meine eingeschränkte Mobilität (kein Führerschein) wecken bei mir Zweifel, ob ich dies meinen Ansprüchen entsprechend umsetzen kann. Ich werde es sehen.

            Kommentar


              #7
              Hallo Detlev!

              Dank und Anerkennung für Deinen Bericht, der durch seine Offenheit und die klare Darstellung beeindruckt.

              Du untermauerst in vorbildlicher Weise meine These, dass der psychische Umgang mit der Erkrankung bei sensiblen Menschen eine zentrale Rolle spielen kann. Du bestätigst ferner, dass es hilfreich sein kann, darüber zu sprechen und zu schreiben.

              Es wäre wünschenswert, wenn sich diese Erkenntnis weiter verbreiten würde.

              Die Schilderung Deines Stadiums macht mich betroffen und mangels Erfahrung kann ich dazu nichts wirklich Sinnvolles sagen.

              Da Du selbst sehr intensiv recherchierst, wirst Du die PKG von jürgvw kennen, der seine ebenfalls im fortgeschrittenen Stadium befindliche Erkrankung seit rund 10 Jahren erstaunlich gut im Griff hat. Solche Beispiele machen Mut.

              So bleibt mir, Dir die erforderliche Kraft zu wünschen, die für eine erfolgreiche Strategie erforderlich ist.

              Herzliche Grüße
              Helmut

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                #8
                Hallo Günter
                Wenn ich Deine Chronologie lese, denke ich, mein Gott was hast du da noch vor dir. Ich habe am 20.07.10 mein Ergebnis von PSH 22 erhalten. Eigentlich nur mehr durch drängen meiner Frau habe ich einen solchen Test machen lassen. Ich hatte keine Beschwerden und hab es eigentlich als Spaß genommen. Jetzt, muss ich sagen, dass ich die Situation einfach furchtbar finde. Ja, ich habe auch wirkliche Angst. In 1 Woche wird eine Biopsie durchgeführt, und ich weiß nicht was für mich schlimmer ist, die Behandlung, das Ergebnis oder die Aussichten. Na ja, vielleicht finde ich auch einen Weg so wie Du, mit der Situation umzugehen.

                Alles gute
                DW Werner

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                  #9
                  Hallo Werner, wenn ich an meine Angst vor knapp 10 Jahren denke...
                  "Sie gehören in meine Top10" sagte der Urologe, "Ich rufe gleich beim Chefarzt an, den kenne ich, das soll er selber machen, Sie sind mir zu jung".
                  Ich hatte von nichts eine Ahnung und dachte: Weihnachten bist du tot.
                  Und im Forum waren nur die allerersten zaghaften Anfänge zu sehen.
                  Mir hat es fast den Kopf zerrissen vorm Computer.

                  Es kam alles ganz anders...

                  Gruss Ludwig
                  Wer nichts weiß ist gezwungen zu glauben.

                  https://drive.google.com/file/d/1IVQ...w?usp=drivesdk

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