Im Editorial des BPS-Magazins 3/2010 stellt der Bundesverband vor und wirbt für die geplante Studie „Präferenzbasierte randomisierte Studie beim Niedrig-Risiko-Prostatakarzinom“.
Auf den Seiten 12 – 14 des Magazins stellen Professor Dr. med. Michael Stöckle und Dr. Peter Albers die Einzelheiten der Studie und deren klinische Durchführung vor.
Ich hatte zunächst Mühe zu begreifen, welche Absicht hinter dem Fachjargon dieser Benennung sich verbergen würde, und als ich es begriffen hatte, mochte ich es nicht glauben. Hier sollen also nun bald unter Mitwirkung von Selbsthilfeleitern Patienten, bei denen ein Niedrig-Risiko-Karzinom (nach den Kriterien der Leitlinie) diagnostiziert wurde, dafür gewonnen werden, nicht wie bisher empfohlen und praktiziert auf der Grundlage individueller Besonderheiten und bestmöglicher neutraler Beratung für eine der möglichen Therapien sich zu entscheiden, sondern zum Zwecke der Gewinnung neuer „evidenz-basierter“ Erkenntnisse zum Nutzen künftiger Generationen soll ein Zufallsgenerator (randomisiert) ihm und dem behandelnden Urologen diese Entscheidung abnehmen.
Es fällt zunächst auf, dass nur vier der in diesen Fällen möglichen Therapien angeboten werden: die Brachytherapie, die perkutane Strahlentherapie, die Prostatektomie und die Aktive Überwachung. Die DHB, mit der ich nun schon im 10. Jahr nach meiner Diagnose lebe und zufrieden bin, bleibt ausgespart. Auch die HIFU ist nicht einbezogen, obwohl einige Universitätskliniken, z.B. die Berliner Charité und die Universitätsklinik Halle die HIFU als eine Standardtherapie anbieten und empfehlen.
Vordergründig geht es bei der Studie natürlich – wie immer - um das Wohl und die bestmögliche Versorgung der betroffenen Patienten. Was hintergründig die Initiatoren der Studie bewogen hat, diese sich auszudenken, das wissen wir nicht, werden es eines Tages aber wohl erfahren.
Die Studie ist nicht total randomatisiert sondern sieht vor in Teilstudien 2 - 11 den Ausschluss einer der Therapien oder von zwei Therapien, wenn z.B. der Patient auf keinen Fall die Prostatektomie will oder auf keinen Fall die Aktive Überwachung, oder auf keinen Fall die Bestrahlungstherapien, aber „offen“ sei für die anderen nicht ausgeschlossenen Therapien. Und natürlich ist die Teilnahme an der Studie freiwillig, aber was heißt schon „freiwillig“ in den ersten Wochen nach einem schockierenden Krebsbefund.
Die geeignete Zeit, Patienten für diese Studie zu rekrutieren, dürften die ersten Wochen nach deren Diagnose sein, in einer Phase der Uninformiertheit, wo die Angst noch vorherrscht und der Patient noch „offen“ ist für gute und - leider - auch schlechte Beratung. Jedoch werden die im Editorial genannten Personen, welche den BPS in der Studienkommission vertreten sollen, den Leitern von dem BPS angeschlossenen Selbsthilfegruppen wohl noch adäquate Beratungshilfen an die Hand geben.
Dass die Initiatoren dieser Studie hinsichtlich der Ethik derselben sich nicht ganz sicher waren, lässt sich unschwer an der Wortwahl und dem Bemühen erkennen, eine sehr breite Öffentlichkeit für deren Akzeptanz zu mobilisieren, denn nur die „Freiwilligkeit“ an der Teilnahme und die Möglichkeit des Ausschlusses einer oder zwei von vier möglichen Therapien und natürlich auch wie bei jeder anderen Studie die Möglichkeit des freiwilligen Ausscheidens hebt die Studie ab von einem Tierversuch. Stellen zumindest drei der vorgesehenen Therapien doch einen schweren, irreversiblen Eingriff in die Lebensqualität dar und es eine ethisch grenzwertige Sache ist, die Entscheidung hierüber einem Zufallsgenerator zu überlassen.
Zur Sinnhaftigkeit dieser Studie wird uns gesagt, dass „Wissenslücken“ geschlossen werden sollen, „weil bisher nicht belegt sei, ob eine der in Betracht kommenden Alternativen den anderen in irgendeiner Weise überlegen oder unterlegen wäre“. Und diese „Wissenslücke“ solle nun „mit dem Instrumentarium der Evidenzbasierten Medizin“ geschlossen werden. Das also ist es. - Hierzu ließe sich nun aber kritisch sagen, dass die in Frage stehenden Therapien in ihren Verfahren, ihren Erfolgsaussichten, ihren Nebenwirkungen und Risiken für eine Entscheidung hinreichend bekannt sind und die Überlegenheit oder Unterlegenheit einer der Therapien nur im Einzelfall durch individuelle Betrachtung aller Diagnosedaten einschl. der physischen und psychischen Beschaffenheit des Menschen , der voraussichtlichen Lebenserwartung und der vom Patienten genannten Präferenzen sich abzeichnen kann, nicht aber durch eine „mit dem Instrumentarium der evidenzbasierten Medizin“ ermittelten Bewertungsscala. Der Mensch, auf den dieser Mittelwert zuträfe, den gibt es nicht. Schließlich werden alle Therapien auch laufend verbessert, die Expertise der Therapeuten nimmt zu, Nebenwirkungen werden zunehmend vermeidbar und beherrschbarer. Es gibt einen ständigen Wandel. Am Ende der Versuchsperiode werden die letztendlich ermittelten Werte also schon wieder überholt sein bzw. in der Argumentation mit Leichtigkeit relativiert werden können.
Was sollen denn auch die Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen der Studie sein? Von der Brachytherapie abraten? Die Aktive Überwachung wieder abschaffen? Auf jeden Fall werden Therapieoptionen durch ein solches Ergebnis diskreditiert. Gesetzt auch den Fall, die Studie käme zu „evidenz-basierten“ Ergebnissen (oder was man dafür hält), dann muss im Einzelfall ja doch wieder aufgrund persönlicher Daten ganz individuell der Patient beraten und es muss von ihm entschieden werden, so dass dieser „evidenz-basierte“ Mittelwert laut Studie seine Bedeutung verliert oder gänzlich unbeachtet bleibt.
Man könnte zu dem Schluss kommen, dass die Initiatoren der Studie ihr Projekt nicht bis zum Ende durchdacht haben. Sie hatten aber den beruflichen Ehrgeiz, eine große Studie aufzulegen, mittels welcher die alte Streitfrage in der Urologie über „welche Therapie die bessere sei“ beantwortet werden kann. Um nun zu „evidenz-basierten“ Ergebnissen zu kommen, braucht man auch Patienten, die mitmachen. Dass dies nicht ganz leicht sein würde, wird im Editorial richtig erkannt. Man verspricht eine gute Behandlung und Nachbeobachtung auf hohem, standadisiertem Niveau. Was heißt hier aber „standardisiert“? Standardisiert ist nur das Kassenpatienten-Niveau. Und das ist miserabel. Es steht dort auch der Satz: „Sie werden zu nennen sein als diejenigen, die in Deutschland mitgeholfen haben, . . ..etc." Man achte auf den Tenor, der mich (Jahrgang 1932) an den noch miterlebten Krieg erinnert. Es werden Helden gesucht.
Und noch etwas anderes irritiert mich sehr. Ihr Einverständnis mit dieser Studie haben bekundet sämtliche vorgeblich der optimalen Versorgung und dem Schutz von uns Patienten verpflichteten Institutionen und Verbände: die Spitzenverbände und Medizinischen Dienste der Krankenkassen, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, der Patientenvertreter der Bundesregierung, die Deutsche Krebshilfe und die „Einrichtungen, die als Anwälte der Patienten wahrgenommen werden“. Abgenickt und durchgewunken!
Reinardo
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