Vorbemerkung:
Bereits im vergangenen Jahr hatte ich eine Diskussionsvorlage für den „AK Fortgeschrittener Prostatakrebs“ zum Thema „Zirkulierende Tumorzellen“ ausgearbeitet. Nachdem nun in einem Parallelthread von Hans-J. und LowRoad das Thema ebenfalls tangiert wurde, schien es mir angebracht, die Vorlage auch hier ins Forum einzubringen. Viele Betroffene unterschätzen die Rezidiv- und Metastasierungsgefahr, weil sie sich ein falsches Bild über die zugrunde liegenden biologischen Prozesse beim Tumorgeschehen machen. Auch ist es mein Anliegen, die Bedeutung des Immunsystems hervorzuheben und damit die Beiträge von Hans-J. und anderer hier im Forum zu unterstützen.
Über DCTs und CTCs
1.
DTCs (disseminated tumor cells) sind einzelne Zellen, die sich aus dem Primärtumor abgesondert haben und im Knochenmark, in den Lymphknoten oder im Blut nachweisbar sind. Bei Vorkommen im Blut werden sie CTCs (circulating tumor cells) genannt. Tumorzellen im Knochenmark (KM), also DTCs, gelten heute in weitgehender Übereinstimmung als prognostische Größe. Ihr Vorhandensein wird mit einer schlechten Prognose verknüpft. Beim Mammakarzinom gilt der Knochenmark-Status als prognostischer Marker erster Kategorie. Er wurde sogar in das TNM-Schema aufgenommen (z.B. Status pM0 (i)=keine Fernmetastasen aber Tumordissemination im Knochenmark). Beim Prostatakrebs indessen hat die Überprüfung des KM-Status noch keine adäquate Anerkennung gefunden, obwohl die Relevanz mittlerweile von mehreren Untersuchungen belegt wurde und auch Rezidivraten eine andere Sprache sprechen.
2.
Durch konventionelle bildgebende Verfahren können weder DTCs noch CTCs erkannt werden. Bei den DCTs gilt nach der Aspiration einer Knochenmarksprobe der immunzytochemische Nachweis als ein Standardverfahren. Die Exprimierung von Zytokeratinen (CK) durch Tumorzellen wird dabei genutzt, um sie mit Hilfe von Antikörpern erkenntlich zu machen. Eine zweite Standardmethode ist das molekular-biologische Verfahren RT-PCR (Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion) zur Erkennung tumorspezifischer (m)RNAs. Im Knochenmark gilt es unter ca. 1 Million Zellen 1 bis 10 Zellen als Tumorzellen zu erkennen.
Technisch schwieriger als bei DCTs im Knochenmark ist der Nachweis von CTCs, den zirkulierenden Tumorzellen im Blut. Dort ist unter ca. 10 bis 100 Millionen Leukozyten (weiße Blutzellen) nur 1 Tumorzelle zu finden. Aber die technologischen Möglichkeiten, diese Zellen zu detektieren und zu analysieren haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten rapide verbessert, auch wenn die Sensitivität der Erkennungsmethoden noch nicht perfekt ist und die Ergebnisse teilweise auch mit der gewählten Methode schwanken.
Von der FDA wurde das System „CellSearch“ als Testverfahren zum Nachweis von CTCs beim Mammakarzinom zugelassen. Dieses System ermöglicht hochreproduzierbare Ergebnisse, eine wesentliche Voraussetzung für dessen Tauglichkeit. Bei metastasiertem PC finden sich in 1 Milliliter Blut 16 bis 292 CTCs. Als cutoff-level gelten 5 CTCs/7,5 ml Blut, über den hinaus ein signifikant schlechteres Überleben gegeben ist. Die prognostische Relevanz nicht nur von DCTs im Knochenmark, sondern auch von CTCs im Blut beim metastasiertem Mammakarzinom wurde inzwischen in mehreren Untersuchungen nachgewiesen.
3.
Das Auftreten einzelner Tumorzellen im Blut ist einerseits plausibel, da auch ein Tumor über Blut- und Lymphgefäße mit dem körperlichen Versorgungs- bzw. Entsorgungssystem verbunden ist. Andererseits ist dies verwunderlich, denn in der Regel haben Tumorzellen eine Lebensdauer von maximal 24 Stunden. In dieser Zeit müssen diese einen hindernisreichen Weg überwinden, bevor sie irgendwo im Knochenmark oder in Zielorganen landen, wo sie sich dann zu gefährlichen Metastasen entwickeln können. Weil sie häufig erst nach Jahren zu Metastasen führen, geht die Wissenschaft heute zunehmend von einem Schlafzustand dissemitierter Tumorzellen im Knochenmark aus. Die Mechanismen, die zu einem späteren Auftreten von Rezidiven und Metastasen führen, sind noch völlig unbekannt. Nur relativ Allgemeines ist auch über den Prozeß der Dissemitierung selbst bekannt.
Der Weg indessen läßt sich beschreiben und ist wahrhaft abenteuerlich. Nemeroff hat in seinem Aufsatz im LEF-Magazin 12/2009 diesen anschaulich beschrieben. Zunächst muß sich die einzelne Tumorzelle aus dem Zellverband lösen. Dies kann auch durch Verwundungen, vielleicht auch durch eine Biopsie, sicherlich aber bei einer Operation geschehen, bei der Tumorzellen ausgeschwemmt werden. Die Loslösung partikularer Zellen vom Primärtumor scheint ein dauernder Vorgang zu sein, solang dieser existent ist. Um nun auf Wanderschaft gehen zu können ist die Durchdringung des umgebenden Gewebes und die Aufspürung von Gefäßen des Blut- oder Lymphsystems zu vollbringen. Danach muß in die Gefäßwand eingedrungen werden. Dies verlangt ein Absondern von Enzymen, um die Membran des Gefäßes überhaupt zugänglich zu machen. Das Erreichen des Blutstroms ist lebensnotwendig für die Zelle, denn dies ist der Haupttransportweg in die entfernten Lokalisationen, wo sich dann die Metastasen bilden. Im Blutstrom selbst lauern beständige Gefahren für die Tumorzelle. Nicht nur die Turbulenzen im Blut können die Zelle beschädigen und zerstören. Vor allem trifft die metastasierende Zelle hier auf das Immunsystem, gegen das sie sich durchsetzen muß. Die zahlreichen weißen Blutkörperchen und Killerzellen (Makrophagen) warten nur darauf, die Zelle aufzuspüren und zu erledigen. Nun gilt es, an geeigneter Stelle an der Zellwand anzuhaften, diese zu durchdringen und das Gefäßsystem zu verlassen. Schließlich muß sich die Tumorzelle durch das umgebende Gewebe durcharbeiten um dann am Zielorgan sich festzusetzen. Dort kann sie sich dann vermehren und eine neue Krebskolonie, eine Metastase, gründen.
Es ist unschwer zu vermuten, dass diese Odyssee nur einige wenige dieser CTCs überleben. Es wird geschätzt, dass nur etwa 0,01 % aller im Blut befindlichen Tumorzellen in der Lage sind, Metastasen herauszubilden.
4.
Die Kategorisierung „lokal begrenzter Tumor“ beschreibt möglicherweise richtig die Ausdehnung des Haupttumors. Die Suggestion jedoch, als sei damit die Krankheit selbst begrenzt, halte ich für fatal. Wenn bei 30% der Patienten nach einer RPE der Krebs innerhalb von 10 Jahren wiederauftritt, hat nicht die Therapie versagt. Sie erledigte, was chirurgisch getan werden konnte. Nein, es hat die Diagnose und damit die Prognose versagt. Letztlich hat auch das Immunsystem versagt, weil es ihm nicht gelungen ist, die im Blut zirkulierenden Tumorzellen (CTCs) abzufangen und zu eliminieren, so dass sie sich schließlich in den Lymphknoten oder im Knochenmark festsetzen konnten.
DCTs im Knochenmark nach einer Ektomie sind ein Warnsignal und verlangen weitere therapeutische Schritte. Das belegen die Studien. Dennoch hat diese Erkenntnis in der Alltagsdiagnostik keinen Eingang gefunden und selbst in der Diskussion erscheint dieses Thema unterbelichtet, auch wenn mit der Verbesserung der technologischen Möglichkeiten dem Thema etwas mehr Beachtung geschenkt wird. Eigentlich ist das geringe theoretische und diagnostische Interesse an diesem Sachverhalt verwunderlich, handelt es sich doch um nicht weniger als den Weg zur Metastasierung. Im Gegensatz zu vielen anderen Krebsarten stirbt der PK-Patient nicht an seinem Primärtumor, sondern an seinen Metastasen, die lebenswichtige Organe befallen.
Die vorliegenden Studien selbst sind hochinteressant. Eine Untersuchung von Todd M. Morgan u.a. wurde im Januar 2009 veröffentlicht. Bei 408 von 569 Patienten (72%) wurden vor der radikalen Prostataektomie DCTs festgestellt. In einer Kohorte von 98 Patienten mit scheinbarer Heilung nach RPE (NED-Patienten = no evidence of disease) waren 57% mit DCTs befallen. Diejenigen die ein biochemisches Rezidiv erlitten, hatten zu 86% DCTs im Knochenmark. Bei einer Kontrollgruppe mit gesunden Männern (PSA < 2,5 ng/ml) waren immerhin bei 8,8% DTCs im Knochenmark festgestellt worden. Der DCT-Befund korrelierte in dieser Untersuchung weder vor noch nach der RPE mit einem der standardmäßigen Risikofaktoren (PSA, Gleason, T-Stadium). Dies scheint doch eindeutig aufzuzeigen: Nahezu jeder Tumor hat gestreut und streut solange er existent ist, auch wenn es nur einzelne Tumorzellen sind. Selbst wo noch kein Prostatakrebs diagnostiziert wurde, können u.U. zirkulierende Prostatakrebszellen festgestellt werden.
In einer anderen Studie wurden 2007 die im Blut zirkulierenden Tumorzellen bei PC-Patienten überprüft. Bei Patienten mit fortgeschrittenem PCA wurden in 79% der Fälle CTCs gefunden (19 von 24). Auch beim lokalisiertem PCA vor RPE oder Brachytherapie waren es 79% (55 von 70). Ein Jahr nach der RPE konnten bei 23% der Patienten trotz Null-PSA CTCs festgestellt werden. Diese Ergebnisse sprechen ein deutliche Sprache und erklären den häufig mangelnden Erfolg einer lokalen Therapie.
Dr. Leibowitz hat schon vor vielen Jahren das Thema DTCs im Knochenmark aufgegriffen und bemerkt: „Diese Männer werden dann operiert, um den Prostatakrebs im ‚Frühstadium‘ zu erwischen. Der Urologe sagt Ihnen dann wahrscheinlich, es besteht die große Möglichkeit, Sie zu heilen. Aber wenn in 75% aller Fälle bereits PSA-Zellen in den Knochen vorhanden sind, dann kann man nach meiner Erfahrung nicht all zu viele Patienten heilen.“ (…) „Bei Dreiviertel aller Männer ist der Prostatakrebs zum Zeitpunkt der Diagnose bereits systemisch. Und, wenn man die Prostata operativ entfernt und dann bereits Krebszellen in den Knochen vorhanden sind, dann kann das eigentlich nach meiner Auffassung und Erfahrung nicht mehr sinnvoll, sondern eher schädlich sein.“ Kann man seinem Verständnis einer frühen systemischen Erkrankung noch zustimmen, so ist die Begründung seiner generellen Ablehnung einer RPE nicht unbedingt nachvollziehbar, denn immerhin 60-70% erleiden nach der RPE kein Rezidiv und keine Metastasierung – trotz evtl. weiter vorhandener Tumorzellen im Körper. Ob bei allen diesen Männern eine RPE wegen evtl. Insignifikanz auch notwendig war, sei mal dahingestellt.
5.
Bislang ging man von einer Streuung in einem relativ späten Stadium der Krebsentwicklung aus. Dieser Standpunkt ist nicht mehr haltbar und wird durch die neueren Erkenntnisse widerlegt. Die Dissemination von Tumorzellen erfolgt in einem frühen Stadium der Erkrankung, u.U. zu einem Zeitpunkt, wenn der Tumor noch sehr klein ist. Dies belegt auch die Beobachtung, dass im Gegensatz zum Primärtumor die CTCs und DCTs häufig heterogene Eigenschaften aufweisen, also vom Haupttumor unterschieden sind und scheinbar eine eigene Evolution hinter sich haben. Den Prostatakrebs als eine systemische Erkrankung zu sehen ist von daher durchaus begründet. Beim Brustkrebs sind all die Tatbestände unbestritten, bestens dokumentiert, wenn auch noch mit vielen offenen Fragen behaftet. Beim Prostatakrebs tut man sich schwerer, die Zusammenhänge anzuerkennen und in die Diagnostik aufzunehmen.
6.
Interessanterweise konnten im Knochenmark DCTs unabhängig von Gleason, PSA und Tumorvolumen festgestellt werden. Anders sieht es bei den CTCs im Blut aus. Hier war u.a. in einer Studie von Folkersma et al. (2010) eine Abhängigkeit von PSA und Tumorgröße festgestellt worden, nicht jedoch vom Gleason. Je kleiner PSA und Tumorgröße, umso geringer die Anzahl gefundener CTCs. Dies scheint logisch, denn ein größerer Tumor dürfte häufiger und heftiger disseminieren, unabhängig davon, aus welcher Malignität er sich zusammensetzt. Auch wenn die Feststellung einer nahezu generellen Dissemination, die von Tumoren ausgeht, erschreckend sein mag, so sollten doch einige wichtige zusätzliche Anmerkungen vor panischen Gedanken oder Reaktionen abhalten:
Bei Patienten mit lokalisiertem PC waren in der oben genannten Studie bei keinem mehr als 3 CTCs/7,5mL gefunden worden, also ein Status unterhalb des Risikolevels von 5 CTCs. Das Kriterium hier ist jedoch rein quantitativer Art. Zwar steigt das Risiko mit dem Anwachsen des PSA, von Bedeutung dürfte jedoch der biologische Charakter des Tumors und damit der im Blut zirkulierenden Tumorzellen sein. Die entscheidende Frage ist, ob die disseminierten Zellen vom Immunsystem erkannt und eliminiert werden können oder nicht, bevor sie sich als potentielle Metastasen einnisten können. Dieses Risiko scheint sich mit der Malignisierung zu erhöhen. In Tumorgeweben mit höherem Gleason scheinen robustere, mit mehr Virulenz behaftete Zellen vorhanden, die den abenteuerlichen Weg zum Überleben außerhalb des Primärtumors eher schaffen können. Die Statistiken zeigen denn auch ein Anwachsen des Rezidiv- und Metastasierungsrisikos mit dem Malignisierungsgrad.
Es gibt Untersuchungen beim kolorektalem Karzinom, bei denen die Patienten mit lokal begrenzter Tumorerkrankung und CTCs im Knochenmark einen schlechteren Verlauf hatten als Patienten mit Organüberschreitung und negativem Knochenmarkstatus. Es steht zu befürchten, dass auch beim Prostatakarzinom in vielen Fällen der Sachverhalt ähnlich liegen dürfte und die Formel vom lokal begrenzten Tumor als das enthüllt, was sie ist, nämlich eine u.U. fatale Selbsttäuschung. Dennoch gilt: Die meisten Tumorzellabsonderungen führen nie zu Metastasen, aber ohne diese gäbe es auch keine.
7.
Es stellt sich die Frage, welche biologischen Eigenschaften des Primärtumors eine hämatogene Dissemination begünstigen. Eine ganze Reihe von molekularbiologischen Markern wurden bislang entdeckt, die mit hohen Rezidivraten und Metastasierung nach einer RPE assoziiert werden. Es sind spezifische Gene und deren Funktionsmechanismus im Zellzyklus, von denen das Risiko abhängt und nicht einfach vom Gleason. Eine ungünstige Genkonstellation kann auch bei Gleason 3+4 vorliegen und die zirkulierenden Tumorzellen zur letalen Gefahr werden lassen. Es gibt genug Beispiele dafür. Aus meiner Sicht kann hier das Ergebnis einer Ploidiebestimmung u.U. weiteren Aufschluß geben und die Gleasonbestimmung differenzieren, denn bei einem diploiden Befund können soviel Gene nicht beschädigt sein, so dass das Metastasierungsrisiko gering ist, wenn auch nicht ausgeschlossen. Denn auch ein funktionsfähiges System von Botenstoffen und Signalwegen muss vorhanden sein, dessen Defekte sich nicht unbedingt im Gleason oder der Ploidie wiederspiegeln. Umfangreiche chromosomale Aberrationen bereits im Primärtumor andererseits bergen ein erhöhtes Risiko entscheidender Genveränderungen. Es ist immer die Frage, welche Gene oder Genprodukte betroffen sind.
Nur disseminierte Zellen mit bestimmten Charakteristika können Gefäßwände durchdringen und entgehen der natürlichen Immunabwehr. Aber selbst eine gelungene Ansiedlung einzelner DTCs im Knochenmark oder auch Lymphknoten bedeutet keineswegs zwingend die Ausbildung von Metastasen. In einer Untersuchung waren bei 20% von Prostatakrebspatienten 10 Jahre nach der RP DTCs im Knochenmark gefunden worden, ohne dass es Rezidivsymptome gab. Es sind also weitere biologische Determinanten nötig, die den Schritt zur Metastasierung induzieren. Die häufig jahrelange Persistenz dieser DTCs im Knochenmark deutet auf eine Art Schutzmechanismus hin. In der Literatur spricht man auch von „dormanten“ Zellen oder „Schläferzellen“. Hier haben die Krebsstammzellen-Hypothesen ihren Begründungszusammenhang und die Tatsache, dass 80% der Tumorzellen im Knochenmark keine Proliferation aufweisen, könnte die relative Chemoresistenz dieser Zellen erklären.
Eine interessante Untersuchung von Weckermann et. Al. (2009) konnte keine großen Unterschiede im Erbgut bei den DTCs im Knochenmark im Vergleich zu bei der RP isolierten Einzelzellen feststellen, auch nicht nach mehreren Jahren. Erst im Stadium der Metastasierung zeigten sich relevante chromosomale Abweichungen und zwar solche charakteristischer Art. So waren DNA-Gewinne auf den Chromosomen 8q und 7, sowie Verluste auf den Chromosomen 5q, 8p, 10q, 13q, 16q und 18q gefunden worden. Die Autoren stellen fest: „Um tatsächlich zu Metastasen auswachsen zu können, müssen DTC eine Reihe an charakteristischen Genomveränderungen anhäufen. Dieser Prozess läuft zumindest zum Teil erst nach der Streuung im Knochenmark ab. (…) Dieses Ergebnis legt nahe, dass neben der Streuung von Krebszellen ein zusätzlicher Auslöser nötig ist, der das Auswachsen von DTC zu klinisch manifesten Metastasen erst ermöglicht. Zukünftige Studien müssen zeigen, ob dieser Faktor vom Tumor selbst produziert wird oder ob die systemischen Effekte durch die Operation selbst einen Stimulus für gestreute Zellen darstellen.“
Die Immunhistochemie hat eine Reihe von Markern aufgespürt, die mit invasiven Tumoreigen-schaften korrelieren. So z.B. die Endothelmarker D2-40 und CD34, die bei Tumorzelleinbrüchen in die Lymph- oder Blutgefäße eine Rolle spielen. Für die Selektin-Adhäsionsmoleküle gibt es deutliche Beweise, dass sie bei der Regulierung der Anheftung nicht nur der Leukozyten, sondern auch der Tumorzellen an den Blutgefäßwänden von zentraler Bedeutung sind. Andererseits korrelieren hohe Expressionen von sog. Sialyl-Lewis-Liganden mit einer schlechten postoperativen Prognose. Desgleichen das Glykoprotein MUC-1 das in 90% von Lymphknotenmetastasen gefunden wurde. Hohe Thymosin beta-15-Werte im Tumorgewebe deuten auf ein erhöhtes Risiko hin Knochenmetastasen zu entwickeln. Ein weiterer Schlüsselmarker ist möglicherweise das Glykoprotein AZGP1. Unabhängig von PSA, Gleason und Tumorstadium korreliert eine fehlende Expression von AZGP1 signifikant mit Rezidivbildung und Metastasierung nach RP.
8.
Sehr viel verspricht sich die Wissenschaft von der Erhebung des CTC- und DCT-Status als Instrument der Verlaufskontrolle einer Therapie. De Bono et al. konnten 2008 in ihrer Studie mit HRPC-Patienten nicht nur den prädikativen Aussagewert von CTCs im Blut bei Anwendung von Chemotherapeutika nachweisen, sondern für das Überleben erwies sich dieser Marker eindeutig aussagekräftiger als der PSA-Wert. Zum selben Schluss kamen noch weitere Studien mit PC-Patienten unter Chemotherapie. Derzeit läuft u.a. auch eine große Phase-III-Studie, bei der CTC-Monitoring als Instrument der Wirkungskontrolle von MDV3100 getestet wird.
9.
Wenn wir das hohe Risiko in disseminierten Zellen im Knochenmark sehen müssen, dabei vielleicht annehmen dürfen, dass der Schritt zur Metastasierung noch einige spezifische Änderungen bedingt, so wäre es ermutigend, wenn wir diese DTCs noch im Prämetastsierungsstadium bekämpfen könnten.
Beim Mammakarzinom sind adjuvante systemische Therapien bei positivem Knochenmarksbefund Bestandteil der Leitlinien. Schindlbeck et al. konnten nachweisen, dass der Wirkstoff Zoledronat DTCs im Knochenmark bei Krebspatientinnen deutlich hat reduzieren können. Es gibt mittlerweile Studien, die prüften ob Bisphosphonate auch zur Vorbeugung von Metastasen von Bedeutung sind. Bereits auf der ASCO 2004 berichteten Rack et al, dass keine der mit Bisphosphonaten behandelten Patientinnen hinterher noch DTCs aufwiesen. 2008 stellten Solomayer et al eine Studie mit insgesamt 98 knochenmarkspositiven Brustkrebspatientinnen vor. Dabei zeigte sich durch Zoledronatgabe eine signifikante Reduktion der DTCs im Knochenmark.
Für das Prostatakarzinom hatte Köllermann hochinteressante Eigenstudien vorgenommen, dabei DCTs und CTCs in verschiedenen Stadien gemessen und die Wirkung eines Androgenentzugs auf diese zirkulierenden Tumorzellen beobachtet. Er kam dann zu folgendem aufschlußreichen Fazit: „Ein vorgezogener, präoperativer Einsatz der endokrinen Therapie bei geringerer Tumorlast könnte das antitumoröse Potential dieser Therapie möglicherweise besser nutzen und hierbei die lokale Resektion in sano verbessern als auch eventuell gleichzeitig vorhandene okkulte Tumorzelldisseminate, als mögliche Vorläufer späterer Metastasen eliminieren.“ Ein möglicherweise kluger Ansatz, wie ich meine. Aber solange in der Alltagspraxis keine Ratschläge erteilt werden, die das Risiko disseminierter Tumorzellen benennen und daraus Konsequenzen ziehen, sollte wenigstens jeder PK Patient den systemischen Charakter der Erkrankung im Blick haben, sein Immunsystem stärken, antikanzeröse Nutriotherapeutika einnehmen und vor allem seine Knochen vor den schleichenden Gefahren schützen.
Literaturauswahl
de Bono JS, Scher HI, Montgomery RB, et al. Circulating tumor cells predict survival benefit from treatment in metastatic castration-resistant prostate cancer. Clinical Cancer Research. 2008;14(19):6302–6309.
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Bereits im vergangenen Jahr hatte ich eine Diskussionsvorlage für den „AK Fortgeschrittener Prostatakrebs“ zum Thema „Zirkulierende Tumorzellen“ ausgearbeitet. Nachdem nun in einem Parallelthread von Hans-J. und LowRoad das Thema ebenfalls tangiert wurde, schien es mir angebracht, die Vorlage auch hier ins Forum einzubringen. Viele Betroffene unterschätzen die Rezidiv- und Metastasierungsgefahr, weil sie sich ein falsches Bild über die zugrunde liegenden biologischen Prozesse beim Tumorgeschehen machen. Auch ist es mein Anliegen, die Bedeutung des Immunsystems hervorzuheben und damit die Beiträge von Hans-J. und anderer hier im Forum zu unterstützen.
Über DCTs und CTCs
1.
DTCs (disseminated tumor cells) sind einzelne Zellen, die sich aus dem Primärtumor abgesondert haben und im Knochenmark, in den Lymphknoten oder im Blut nachweisbar sind. Bei Vorkommen im Blut werden sie CTCs (circulating tumor cells) genannt. Tumorzellen im Knochenmark (KM), also DTCs, gelten heute in weitgehender Übereinstimmung als prognostische Größe. Ihr Vorhandensein wird mit einer schlechten Prognose verknüpft. Beim Mammakarzinom gilt der Knochenmark-Status als prognostischer Marker erster Kategorie. Er wurde sogar in das TNM-Schema aufgenommen (z.B. Status pM0 (i)=keine Fernmetastasen aber Tumordissemination im Knochenmark). Beim Prostatakrebs indessen hat die Überprüfung des KM-Status noch keine adäquate Anerkennung gefunden, obwohl die Relevanz mittlerweile von mehreren Untersuchungen belegt wurde und auch Rezidivraten eine andere Sprache sprechen.
2.
Durch konventionelle bildgebende Verfahren können weder DTCs noch CTCs erkannt werden. Bei den DCTs gilt nach der Aspiration einer Knochenmarksprobe der immunzytochemische Nachweis als ein Standardverfahren. Die Exprimierung von Zytokeratinen (CK) durch Tumorzellen wird dabei genutzt, um sie mit Hilfe von Antikörpern erkenntlich zu machen. Eine zweite Standardmethode ist das molekular-biologische Verfahren RT-PCR (Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion) zur Erkennung tumorspezifischer (m)RNAs. Im Knochenmark gilt es unter ca. 1 Million Zellen 1 bis 10 Zellen als Tumorzellen zu erkennen.
Technisch schwieriger als bei DCTs im Knochenmark ist der Nachweis von CTCs, den zirkulierenden Tumorzellen im Blut. Dort ist unter ca. 10 bis 100 Millionen Leukozyten (weiße Blutzellen) nur 1 Tumorzelle zu finden. Aber die technologischen Möglichkeiten, diese Zellen zu detektieren und zu analysieren haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten rapide verbessert, auch wenn die Sensitivität der Erkennungsmethoden noch nicht perfekt ist und die Ergebnisse teilweise auch mit der gewählten Methode schwanken.
Von der FDA wurde das System „CellSearch“ als Testverfahren zum Nachweis von CTCs beim Mammakarzinom zugelassen. Dieses System ermöglicht hochreproduzierbare Ergebnisse, eine wesentliche Voraussetzung für dessen Tauglichkeit. Bei metastasiertem PC finden sich in 1 Milliliter Blut 16 bis 292 CTCs. Als cutoff-level gelten 5 CTCs/7,5 ml Blut, über den hinaus ein signifikant schlechteres Überleben gegeben ist. Die prognostische Relevanz nicht nur von DCTs im Knochenmark, sondern auch von CTCs im Blut beim metastasiertem Mammakarzinom wurde inzwischen in mehreren Untersuchungen nachgewiesen.
3.
Das Auftreten einzelner Tumorzellen im Blut ist einerseits plausibel, da auch ein Tumor über Blut- und Lymphgefäße mit dem körperlichen Versorgungs- bzw. Entsorgungssystem verbunden ist. Andererseits ist dies verwunderlich, denn in der Regel haben Tumorzellen eine Lebensdauer von maximal 24 Stunden. In dieser Zeit müssen diese einen hindernisreichen Weg überwinden, bevor sie irgendwo im Knochenmark oder in Zielorganen landen, wo sie sich dann zu gefährlichen Metastasen entwickeln können. Weil sie häufig erst nach Jahren zu Metastasen führen, geht die Wissenschaft heute zunehmend von einem Schlafzustand dissemitierter Tumorzellen im Knochenmark aus. Die Mechanismen, die zu einem späteren Auftreten von Rezidiven und Metastasen führen, sind noch völlig unbekannt. Nur relativ Allgemeines ist auch über den Prozeß der Dissemitierung selbst bekannt.
Der Weg indessen läßt sich beschreiben und ist wahrhaft abenteuerlich. Nemeroff hat in seinem Aufsatz im LEF-Magazin 12/2009 diesen anschaulich beschrieben. Zunächst muß sich die einzelne Tumorzelle aus dem Zellverband lösen. Dies kann auch durch Verwundungen, vielleicht auch durch eine Biopsie, sicherlich aber bei einer Operation geschehen, bei der Tumorzellen ausgeschwemmt werden. Die Loslösung partikularer Zellen vom Primärtumor scheint ein dauernder Vorgang zu sein, solang dieser existent ist. Um nun auf Wanderschaft gehen zu können ist die Durchdringung des umgebenden Gewebes und die Aufspürung von Gefäßen des Blut- oder Lymphsystems zu vollbringen. Danach muß in die Gefäßwand eingedrungen werden. Dies verlangt ein Absondern von Enzymen, um die Membran des Gefäßes überhaupt zugänglich zu machen. Das Erreichen des Blutstroms ist lebensnotwendig für die Zelle, denn dies ist der Haupttransportweg in die entfernten Lokalisationen, wo sich dann die Metastasen bilden. Im Blutstrom selbst lauern beständige Gefahren für die Tumorzelle. Nicht nur die Turbulenzen im Blut können die Zelle beschädigen und zerstören. Vor allem trifft die metastasierende Zelle hier auf das Immunsystem, gegen das sie sich durchsetzen muß. Die zahlreichen weißen Blutkörperchen und Killerzellen (Makrophagen) warten nur darauf, die Zelle aufzuspüren und zu erledigen. Nun gilt es, an geeigneter Stelle an der Zellwand anzuhaften, diese zu durchdringen und das Gefäßsystem zu verlassen. Schließlich muß sich die Tumorzelle durch das umgebende Gewebe durcharbeiten um dann am Zielorgan sich festzusetzen. Dort kann sie sich dann vermehren und eine neue Krebskolonie, eine Metastase, gründen.
Es ist unschwer zu vermuten, dass diese Odyssee nur einige wenige dieser CTCs überleben. Es wird geschätzt, dass nur etwa 0,01 % aller im Blut befindlichen Tumorzellen in der Lage sind, Metastasen herauszubilden.
4.
Die Kategorisierung „lokal begrenzter Tumor“ beschreibt möglicherweise richtig die Ausdehnung des Haupttumors. Die Suggestion jedoch, als sei damit die Krankheit selbst begrenzt, halte ich für fatal. Wenn bei 30% der Patienten nach einer RPE der Krebs innerhalb von 10 Jahren wiederauftritt, hat nicht die Therapie versagt. Sie erledigte, was chirurgisch getan werden konnte. Nein, es hat die Diagnose und damit die Prognose versagt. Letztlich hat auch das Immunsystem versagt, weil es ihm nicht gelungen ist, die im Blut zirkulierenden Tumorzellen (CTCs) abzufangen und zu eliminieren, so dass sie sich schließlich in den Lymphknoten oder im Knochenmark festsetzen konnten.
DCTs im Knochenmark nach einer Ektomie sind ein Warnsignal und verlangen weitere therapeutische Schritte. Das belegen die Studien. Dennoch hat diese Erkenntnis in der Alltagsdiagnostik keinen Eingang gefunden und selbst in der Diskussion erscheint dieses Thema unterbelichtet, auch wenn mit der Verbesserung der technologischen Möglichkeiten dem Thema etwas mehr Beachtung geschenkt wird. Eigentlich ist das geringe theoretische und diagnostische Interesse an diesem Sachverhalt verwunderlich, handelt es sich doch um nicht weniger als den Weg zur Metastasierung. Im Gegensatz zu vielen anderen Krebsarten stirbt der PK-Patient nicht an seinem Primärtumor, sondern an seinen Metastasen, die lebenswichtige Organe befallen.
Die vorliegenden Studien selbst sind hochinteressant. Eine Untersuchung von Todd M. Morgan u.a. wurde im Januar 2009 veröffentlicht. Bei 408 von 569 Patienten (72%) wurden vor der radikalen Prostataektomie DCTs festgestellt. In einer Kohorte von 98 Patienten mit scheinbarer Heilung nach RPE (NED-Patienten = no evidence of disease) waren 57% mit DCTs befallen. Diejenigen die ein biochemisches Rezidiv erlitten, hatten zu 86% DCTs im Knochenmark. Bei einer Kontrollgruppe mit gesunden Männern (PSA < 2,5 ng/ml) waren immerhin bei 8,8% DTCs im Knochenmark festgestellt worden. Der DCT-Befund korrelierte in dieser Untersuchung weder vor noch nach der RPE mit einem der standardmäßigen Risikofaktoren (PSA, Gleason, T-Stadium). Dies scheint doch eindeutig aufzuzeigen: Nahezu jeder Tumor hat gestreut und streut solange er existent ist, auch wenn es nur einzelne Tumorzellen sind. Selbst wo noch kein Prostatakrebs diagnostiziert wurde, können u.U. zirkulierende Prostatakrebszellen festgestellt werden.
In einer anderen Studie wurden 2007 die im Blut zirkulierenden Tumorzellen bei PC-Patienten überprüft. Bei Patienten mit fortgeschrittenem PCA wurden in 79% der Fälle CTCs gefunden (19 von 24). Auch beim lokalisiertem PCA vor RPE oder Brachytherapie waren es 79% (55 von 70). Ein Jahr nach der RPE konnten bei 23% der Patienten trotz Null-PSA CTCs festgestellt werden. Diese Ergebnisse sprechen ein deutliche Sprache und erklären den häufig mangelnden Erfolg einer lokalen Therapie.
Dr. Leibowitz hat schon vor vielen Jahren das Thema DTCs im Knochenmark aufgegriffen und bemerkt: „Diese Männer werden dann operiert, um den Prostatakrebs im ‚Frühstadium‘ zu erwischen. Der Urologe sagt Ihnen dann wahrscheinlich, es besteht die große Möglichkeit, Sie zu heilen. Aber wenn in 75% aller Fälle bereits PSA-Zellen in den Knochen vorhanden sind, dann kann man nach meiner Erfahrung nicht all zu viele Patienten heilen.“ (…) „Bei Dreiviertel aller Männer ist der Prostatakrebs zum Zeitpunkt der Diagnose bereits systemisch. Und, wenn man die Prostata operativ entfernt und dann bereits Krebszellen in den Knochen vorhanden sind, dann kann das eigentlich nach meiner Auffassung und Erfahrung nicht mehr sinnvoll, sondern eher schädlich sein.“ Kann man seinem Verständnis einer frühen systemischen Erkrankung noch zustimmen, so ist die Begründung seiner generellen Ablehnung einer RPE nicht unbedingt nachvollziehbar, denn immerhin 60-70% erleiden nach der RPE kein Rezidiv und keine Metastasierung – trotz evtl. weiter vorhandener Tumorzellen im Körper. Ob bei allen diesen Männern eine RPE wegen evtl. Insignifikanz auch notwendig war, sei mal dahingestellt.
5.
Bislang ging man von einer Streuung in einem relativ späten Stadium der Krebsentwicklung aus. Dieser Standpunkt ist nicht mehr haltbar und wird durch die neueren Erkenntnisse widerlegt. Die Dissemination von Tumorzellen erfolgt in einem frühen Stadium der Erkrankung, u.U. zu einem Zeitpunkt, wenn der Tumor noch sehr klein ist. Dies belegt auch die Beobachtung, dass im Gegensatz zum Primärtumor die CTCs und DCTs häufig heterogene Eigenschaften aufweisen, also vom Haupttumor unterschieden sind und scheinbar eine eigene Evolution hinter sich haben. Den Prostatakrebs als eine systemische Erkrankung zu sehen ist von daher durchaus begründet. Beim Brustkrebs sind all die Tatbestände unbestritten, bestens dokumentiert, wenn auch noch mit vielen offenen Fragen behaftet. Beim Prostatakrebs tut man sich schwerer, die Zusammenhänge anzuerkennen und in die Diagnostik aufzunehmen.
6.
Interessanterweise konnten im Knochenmark DCTs unabhängig von Gleason, PSA und Tumorvolumen festgestellt werden. Anders sieht es bei den CTCs im Blut aus. Hier war u.a. in einer Studie von Folkersma et al. (2010) eine Abhängigkeit von PSA und Tumorgröße festgestellt worden, nicht jedoch vom Gleason. Je kleiner PSA und Tumorgröße, umso geringer die Anzahl gefundener CTCs. Dies scheint logisch, denn ein größerer Tumor dürfte häufiger und heftiger disseminieren, unabhängig davon, aus welcher Malignität er sich zusammensetzt. Auch wenn die Feststellung einer nahezu generellen Dissemination, die von Tumoren ausgeht, erschreckend sein mag, so sollten doch einige wichtige zusätzliche Anmerkungen vor panischen Gedanken oder Reaktionen abhalten:
Bei Patienten mit lokalisiertem PC waren in der oben genannten Studie bei keinem mehr als 3 CTCs/7,5mL gefunden worden, also ein Status unterhalb des Risikolevels von 5 CTCs. Das Kriterium hier ist jedoch rein quantitativer Art. Zwar steigt das Risiko mit dem Anwachsen des PSA, von Bedeutung dürfte jedoch der biologische Charakter des Tumors und damit der im Blut zirkulierenden Tumorzellen sein. Die entscheidende Frage ist, ob die disseminierten Zellen vom Immunsystem erkannt und eliminiert werden können oder nicht, bevor sie sich als potentielle Metastasen einnisten können. Dieses Risiko scheint sich mit der Malignisierung zu erhöhen. In Tumorgeweben mit höherem Gleason scheinen robustere, mit mehr Virulenz behaftete Zellen vorhanden, die den abenteuerlichen Weg zum Überleben außerhalb des Primärtumors eher schaffen können. Die Statistiken zeigen denn auch ein Anwachsen des Rezidiv- und Metastasierungsrisikos mit dem Malignisierungsgrad.
Es gibt Untersuchungen beim kolorektalem Karzinom, bei denen die Patienten mit lokal begrenzter Tumorerkrankung und CTCs im Knochenmark einen schlechteren Verlauf hatten als Patienten mit Organüberschreitung und negativem Knochenmarkstatus. Es steht zu befürchten, dass auch beim Prostatakarzinom in vielen Fällen der Sachverhalt ähnlich liegen dürfte und die Formel vom lokal begrenzten Tumor als das enthüllt, was sie ist, nämlich eine u.U. fatale Selbsttäuschung. Dennoch gilt: Die meisten Tumorzellabsonderungen führen nie zu Metastasen, aber ohne diese gäbe es auch keine.
7.
Es stellt sich die Frage, welche biologischen Eigenschaften des Primärtumors eine hämatogene Dissemination begünstigen. Eine ganze Reihe von molekularbiologischen Markern wurden bislang entdeckt, die mit hohen Rezidivraten und Metastasierung nach einer RPE assoziiert werden. Es sind spezifische Gene und deren Funktionsmechanismus im Zellzyklus, von denen das Risiko abhängt und nicht einfach vom Gleason. Eine ungünstige Genkonstellation kann auch bei Gleason 3+4 vorliegen und die zirkulierenden Tumorzellen zur letalen Gefahr werden lassen. Es gibt genug Beispiele dafür. Aus meiner Sicht kann hier das Ergebnis einer Ploidiebestimmung u.U. weiteren Aufschluß geben und die Gleasonbestimmung differenzieren, denn bei einem diploiden Befund können soviel Gene nicht beschädigt sein, so dass das Metastasierungsrisiko gering ist, wenn auch nicht ausgeschlossen. Denn auch ein funktionsfähiges System von Botenstoffen und Signalwegen muss vorhanden sein, dessen Defekte sich nicht unbedingt im Gleason oder der Ploidie wiederspiegeln. Umfangreiche chromosomale Aberrationen bereits im Primärtumor andererseits bergen ein erhöhtes Risiko entscheidender Genveränderungen. Es ist immer die Frage, welche Gene oder Genprodukte betroffen sind.
Nur disseminierte Zellen mit bestimmten Charakteristika können Gefäßwände durchdringen und entgehen der natürlichen Immunabwehr. Aber selbst eine gelungene Ansiedlung einzelner DTCs im Knochenmark oder auch Lymphknoten bedeutet keineswegs zwingend die Ausbildung von Metastasen. In einer Untersuchung waren bei 20% von Prostatakrebspatienten 10 Jahre nach der RP DTCs im Knochenmark gefunden worden, ohne dass es Rezidivsymptome gab. Es sind also weitere biologische Determinanten nötig, die den Schritt zur Metastasierung induzieren. Die häufig jahrelange Persistenz dieser DTCs im Knochenmark deutet auf eine Art Schutzmechanismus hin. In der Literatur spricht man auch von „dormanten“ Zellen oder „Schläferzellen“. Hier haben die Krebsstammzellen-Hypothesen ihren Begründungszusammenhang und die Tatsache, dass 80% der Tumorzellen im Knochenmark keine Proliferation aufweisen, könnte die relative Chemoresistenz dieser Zellen erklären.
Eine interessante Untersuchung von Weckermann et. Al. (2009) konnte keine großen Unterschiede im Erbgut bei den DTCs im Knochenmark im Vergleich zu bei der RP isolierten Einzelzellen feststellen, auch nicht nach mehreren Jahren. Erst im Stadium der Metastasierung zeigten sich relevante chromosomale Abweichungen und zwar solche charakteristischer Art. So waren DNA-Gewinne auf den Chromosomen 8q und 7, sowie Verluste auf den Chromosomen 5q, 8p, 10q, 13q, 16q und 18q gefunden worden. Die Autoren stellen fest: „Um tatsächlich zu Metastasen auswachsen zu können, müssen DTC eine Reihe an charakteristischen Genomveränderungen anhäufen. Dieser Prozess läuft zumindest zum Teil erst nach der Streuung im Knochenmark ab. (…) Dieses Ergebnis legt nahe, dass neben der Streuung von Krebszellen ein zusätzlicher Auslöser nötig ist, der das Auswachsen von DTC zu klinisch manifesten Metastasen erst ermöglicht. Zukünftige Studien müssen zeigen, ob dieser Faktor vom Tumor selbst produziert wird oder ob die systemischen Effekte durch die Operation selbst einen Stimulus für gestreute Zellen darstellen.“
Die Immunhistochemie hat eine Reihe von Markern aufgespürt, die mit invasiven Tumoreigen-schaften korrelieren. So z.B. die Endothelmarker D2-40 und CD34, die bei Tumorzelleinbrüchen in die Lymph- oder Blutgefäße eine Rolle spielen. Für die Selektin-Adhäsionsmoleküle gibt es deutliche Beweise, dass sie bei der Regulierung der Anheftung nicht nur der Leukozyten, sondern auch der Tumorzellen an den Blutgefäßwänden von zentraler Bedeutung sind. Andererseits korrelieren hohe Expressionen von sog. Sialyl-Lewis-Liganden mit einer schlechten postoperativen Prognose. Desgleichen das Glykoprotein MUC-1 das in 90% von Lymphknotenmetastasen gefunden wurde. Hohe Thymosin beta-15-Werte im Tumorgewebe deuten auf ein erhöhtes Risiko hin Knochenmetastasen zu entwickeln. Ein weiterer Schlüsselmarker ist möglicherweise das Glykoprotein AZGP1. Unabhängig von PSA, Gleason und Tumorstadium korreliert eine fehlende Expression von AZGP1 signifikant mit Rezidivbildung und Metastasierung nach RP.
8.
Sehr viel verspricht sich die Wissenschaft von der Erhebung des CTC- und DCT-Status als Instrument der Verlaufskontrolle einer Therapie. De Bono et al. konnten 2008 in ihrer Studie mit HRPC-Patienten nicht nur den prädikativen Aussagewert von CTCs im Blut bei Anwendung von Chemotherapeutika nachweisen, sondern für das Überleben erwies sich dieser Marker eindeutig aussagekräftiger als der PSA-Wert. Zum selben Schluss kamen noch weitere Studien mit PC-Patienten unter Chemotherapie. Derzeit läuft u.a. auch eine große Phase-III-Studie, bei der CTC-Monitoring als Instrument der Wirkungskontrolle von MDV3100 getestet wird.
9.
Wenn wir das hohe Risiko in disseminierten Zellen im Knochenmark sehen müssen, dabei vielleicht annehmen dürfen, dass der Schritt zur Metastasierung noch einige spezifische Änderungen bedingt, so wäre es ermutigend, wenn wir diese DTCs noch im Prämetastsierungsstadium bekämpfen könnten.
Beim Mammakarzinom sind adjuvante systemische Therapien bei positivem Knochenmarksbefund Bestandteil der Leitlinien. Schindlbeck et al. konnten nachweisen, dass der Wirkstoff Zoledronat DTCs im Knochenmark bei Krebspatientinnen deutlich hat reduzieren können. Es gibt mittlerweile Studien, die prüften ob Bisphosphonate auch zur Vorbeugung von Metastasen von Bedeutung sind. Bereits auf der ASCO 2004 berichteten Rack et al, dass keine der mit Bisphosphonaten behandelten Patientinnen hinterher noch DTCs aufwiesen. 2008 stellten Solomayer et al eine Studie mit insgesamt 98 knochenmarkspositiven Brustkrebspatientinnen vor. Dabei zeigte sich durch Zoledronatgabe eine signifikante Reduktion der DTCs im Knochenmark.
Für das Prostatakarzinom hatte Köllermann hochinteressante Eigenstudien vorgenommen, dabei DCTs und CTCs in verschiedenen Stadien gemessen und die Wirkung eines Androgenentzugs auf diese zirkulierenden Tumorzellen beobachtet. Er kam dann zu folgendem aufschlußreichen Fazit: „Ein vorgezogener, präoperativer Einsatz der endokrinen Therapie bei geringerer Tumorlast könnte das antitumoröse Potential dieser Therapie möglicherweise besser nutzen und hierbei die lokale Resektion in sano verbessern als auch eventuell gleichzeitig vorhandene okkulte Tumorzelldisseminate, als mögliche Vorläufer späterer Metastasen eliminieren.“ Ein möglicherweise kluger Ansatz, wie ich meine. Aber solange in der Alltagspraxis keine Ratschläge erteilt werden, die das Risiko disseminierter Tumorzellen benennen und daraus Konsequenzen ziehen, sollte wenigstens jeder PK Patient den systemischen Charakter der Erkrankung im Blick haben, sein Immunsystem stärken, antikanzeröse Nutriotherapeutika einnehmen und vor allem seine Knochen vor den schleichenden Gefahren schützen.
Literaturauswahl
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