Für Interesierte hier der Artikel aus den letzten "Zahnärztlichen Mitteilungen" vom 1.1.2007. Ist ein bißchen lang aber nicht uninteressant.
Gruß
Michael
Bisphosphonat-assoziierte Osteonekrose der Maxilla
Michael M. Bornstein et al.Abstract
1. Januar 2007 - In den letzten Jahren sind in der Literatur immer mehr Berichte über Nekrosen des Kieferknochens
im Zusammenhang mit intravenös verabreichten Bisphosphonaten bei Malignom-bedingten Osteolysen (zum Beispiel Knochenmetastasen bei Mamma- oder Prostatakarzinom sowie hämatologische Neoplasien) veröffentlicht worden. Nachdem die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde hierzu eine Stellungnahme (siehe auch zm 20/2006) abgegeben hat, erscheinen nun eine weitere Literaturübersicht sowie ein Patientenfall.
Bisphosphonate wurden vor über 40 Jahren als Analoga natürlich vorkommender anorganischer Pyrophosphate beschrieben (Bisphosphonate = Polyphosphate; P-C-P-Bindung anstelle der P-O-P-Bindung). Es konnte gezeigt werden, dass sie die Knochenresorption inhibieren und einen bedeutenden Effekt auf den Kalziumstoffwechsel ausüben [Rogers et al., 1997]. Die Knochenresorption wird vor allem durch eine direkte Einwirkung auf die Osteoklasten gehemmt: So wird die Rekrutierung der Osteoklasten und deren resorptive Aktivität auf der Knochenoberfläche inhibiert, zudem wird auch deren Lebensdauer insgesamt verkürzt [Rodan & Fleisch, 1996]. Als klinische Einsatzgebiete haben sich bei den Bisphosphonaten Malignom-bedingte Osteolysen (Knochenmetastasen bei Mamma- oder Prostatakarzinom, hämatologische Neoplasien, und mehr), Hyperkalzämien besonders bei Hyperparathyroidismus, der Morbus Paget und die Behandlung der Osteoporose bewährt [Hubner & Houston, 2005; Miller, 2005]. Dabei wird primär die bei diesen Erkrankungen typische Osteoklasten-gesteuerte Knochenresorption unterdrückt.
Die Medikamentenliste der Patientin umfasst insgesamt acht verschiedene Präparate zur pharmakologischen Therapie diverser Altersbeschwerden (Tabelle I). Darunter seit Mai 2004 das Bisphosphonat Actonel (Aventis Pharma AG, Zürich, Schweiz) in einer Dosierung von 35 Milligramm (mg) pro Woche (oral, als Tabletten) zur Vorbeugung von Knochenfrakturen bei einer Osteoporose.
Anlässlich der Erstuntersuchung an der Klinik für Oralchirurgie und Stomatologie zeigte sich eine geistig frische, aber körperlich reduzierte Patientin. Es fiel eine deutlich seitwärts gekrümmte Haltung auf, die Patientin war auf eine Gehhilfe angewiesen. Der Hausarzt bestätigte eine Wirbelsäulendeformation (Quasi-Exartikulation zwischen dem vierten und fünften Lendenwirbelkörper). Im Oberkiefer war die Patientin durch eine Totalprothese mit Metallverstärkung über dem Gaumen versorgt. Die Prothese wies keinen retentiven Halt auf und wurde von der Patientin lediglich mit Zungen- und Wangenmuskulatur mehr schlecht als recht stabilisiert. Im Unterkiefer zeigte sich beidseits eine verkürzte Zahnreihe, zudem waren sämtliche Unterkieferzähne überkront. Am Oberkieferalveolarfortsatz regio 14 bis 16 imponierte ein etwa 4 cm langer Knochensequester, der sich unter leichten Schmerzen bewegen ließ (Abbildung 1). Im Oberkiefer fanden sich darüber hinaus drei Wurzelreste (Zähne 24 und 27), die ebenfalls leicht mobil waren.
Das Orthopantomogramm zeigte den Sequester nur undeutlich (Abbildung 2). Bei 24 ließ sich zudem apikal eine etwa drei Millimeter (mm) lange, radioopake Struktur (Verdacht auf überfülltes Wurzelfüllmaterial) erkennen. Im Unterkieferalveolarfortsatz rechts fanden sich drei radioopake, runde Gebilde regio 36 bis 38. Das Aufbiss-Röntgenbild des Oberkiefers zeigte deutlich den Knochensequester. Zudem war zum Sinus maxillaris rechts nur eine fragliche, hauchdünne knöcherne Begrenzung zu erkennen (Abbildung 3).
Eine Woche nach der initialen Untersuchung wurde der Knochensequester in Lokalanästhesie (4 ml Ubistesin DS 4 Prozent, 3M Espe AG, Seefeld, Deutschland) unter perioperativer Antibiose (Dalacin C, Pfizer AG, Zürich, Schweiz; 3-mal täglich 300 mg für eine Woche) sowie Chlorhexidinspülung (Hibitane 0,1 Prozent, SSL Healthcare AG, Reinach, Schweiz; 2-mal täglich eine Minute) entfernt. Der Eingriff gestaltete sich unblutig; der Sequester ließ sich komplikationslos mit der Lüerzange entfernen. Es blieb eine epithelialisierte Bucht regio 14 bis 16 zurück.
Die Sondierung mit der Knopfsonde zeigte klinisch keinen exponierten Knochen und keine Perforation zur Kieferhöhle. Das entnommene Knochenstück wurde zur histopathologischen Begutachtung an das Institut für Pathologie der Universität Bern gesandt. Im selben Eingriff wurden die drei Wurzelreste aus dem Oberkiefer links entfernt. Zur Analgesie wurde postoperativ Paracetamol (Dafalgan 500, Upsamedica GmbH, Baar, Schweiz)
verordnet. Dazu wurde die Patientin über das Schneuz-/Niesverhalten instruiert (Vermeidung von Überdruck in Nasen- und Kieferhöhlen während drei Wochen). Zur Inhalation wurde Kamillin-Medipharm-Konzentrat (Iromedica AG, St. Gallen, Schweiz) abgegeben und die Mundspülung mit Hibitane sollte für eine Woche fortgeführt werden. Darüber hinaus wurde in der ersten postoperativen Woche eine Prothesenkarenz und weiche Kost verordnet.
Die histopathologische Untersuchung ergab ein vollständig nekrotisches Knochenstück ohne sichtbare vitale Osteozyten (Abbildungen 4, 5). In den Haver'schen Kanälen fehlten endotheliale beziehungsweise sichtbare Gefäßanteile. Es imponierte im ganzen Knochensequester, besonders auch oberflächlich, eine deutlich ausgeprägte mikrobielle Besiedelung.
Das mikrobiologische Spektrum reichte dabei von teils in aktinomyzesähnlichen Haufen angeordneten Gram-positiven und Gram-negativen Kokken und Stäbchen bis hin zu einigen Pilzelementen (Abbildungen 6, 7). Bei der ersten Nachkontrolle eine
Woche post operationem bemerkte die Patientin, dass ihr bei der Mundspülung immer etwas Flüssigkeit aus der Nase und den Rachen hinunter laufe. Klinisch zeigte sich in der Region des vormaligen Sequesters eine kleine, etwa 3 bis 4 mm messende, runde Öffnung (Abbildung 8). Der Verdacht auf eine Mund-Antrum-Verbindung wurde durch Sondierung mit der Knopfsonde bestätigt. Im Oberkiefer links regio 24 und 27 zeigte sich eine unauffällige Wundheilung.
Parallel zur Therapie an der Klinik für Oralchirurgie und Stomatologie wurde die Patientin zur Neuanfertigung der Totalprothese im Oberkiefer an die Klinik für Zahnärztliche Prothetik der Zahnmedizinischen Kliniken zugewiesen. Dr. Gerda Kessler-Liechti, Oberassistentin, gebührt herzlicher Dank für ihre Unterstützung bei der Therapie. Gemeinsam wurde besprochen, zunächst die prothetische Situation zu verbessern und die Mund-Antrum-Verbindung in einem zweiten oralchirurgischen Eingriff nach Rücksprache mit dem behandelnden Hausarzt zu verschließen. Der Hausarzt setzte nach diesbezüglicher Information die Osteoporose-Prophylaxe mit dem Bisphosphonat Actonel (Aventis Pharma AG, Zürich, Schweiz) aus.
Anlässlich der folgenden Kontrolltermine zeigte sich eine deutliche Verkleinerung der Fistelöffnung regio 15. Allerdings beklagte sich die Patientin immer noch darüber, dass ihr bei der Mundspülung Flüssigkeit aus der Nase laufe. Daher wurde gut vier Monate nach der Knochensequesterentfernung die persistierende Mund-Antrum-Verbindung in Lokalanästhesie plastisch verschlossen. Unter Aufklappung wurde die Fistel exzidiert und die knöcherne Begrenzung der Verbindung zur Kieferhöhle dargestellt (Abbildung 9). Diese wurde mit einer doppellagigen Bio-Gide-Membran (Geistlich Biomaterials, Wolhusen, Schweiz) und Fibrinkleber (Tissucol Duo S, Baxter Schweiz AG, Volketswil, Schweiz) bedeckt und der Mukoperiostlappen dicht mit Matratzen- und Einzelknopfnähten verschlossen (Abbildung 10).
Die postoperative Medikation entsprach derjenigen des Ersteingriffes. Die Wundheilung gestaltete sich bisher problemlos. Knapp fünf Monate nach der Operation ist keine Kommunikation zwischen Kiefer- und Mundhöhle nachweisbar.
Diskussion
Erstmalig wurde über einen möglichen Zusammenhang zwischen einer Bisphosphonatentherapie und einer in der Folge auftretenden Osteonekrose - wobei ausschließlich der Kieferknochen befallen zu sein scheint - im Jahre 2003 berichtet [Marx, 2003a]. In dieser Arbeit wurden 36 Fälle einer Osteonekrose in der Mandibula (29 Patienten/80,5 Prozent), der Maxilla (5 Patienten/14 Prozent) oder beiden Kiefern gleichzeitig
(2 Patienten/5,5 Prozent) beschrieben. Alle diese Patienten durchliefen eine Therapie mit intravenös verabreichten Bisphosphonaten, entweder mit Pamidronsäure/Pamidronat (Aredia; in der Schweiz vertrieben durch die Novartis Pharma AG, Bern) oder Zoledronsäure/Zoledronat (Zometa; Novartis Pharma AG, Bern). Bei 18 Patienten war die Indikation zur Bisphosphonatengabe eine Hyperkalzämie als Folge eines multiplen Myeloms, bei 17 Patienten eine Hyperkalzämie wegen Knochenmetastasen bei einem Mammakarzinom und bei einem Patienten eine Osteoporose. Keiner dieser 36 Patienten wies außerhalb des Kieferbereiches freiliegenden, nekrotischen Knochen auf, auch konnte ein solches vorhergehendes Ereignis anamnestisch nicht eruiert werden. Der Autor erklärte sich dieses Phänomen, das heißt den ausschließlichen Befall der Kiefer, durch die Zähne, genauer durch die Tatsache, dass der Kieferknochen über die Zähne beziehungsweise das Parodont mit der Mundhöhle (also dem externen Milieu) kommuniziert und parodontale Infektionen, dentogene Abszesse oder auch Wurzelkanalbehandlungen zur Infektion des Kieferknochens und einem erhöhten Knochenumsatz führen. Diese Theorie wurde dadurch untermauert, dass bei 28 Patienten (77 Prozent) die Osteonekrose mit einer vorhergehenden Zahnextraktion in Zusammenhang gebracht werden konnte. Nur bei acht Patienten war die Knochennekrose des Kiefers spontan aufgetreten.
Im gleichen Jahr wurde in einem Brief an den Herausgeber des Journal of Clinical Oncology [Migliorati, 2003] über fünf Patienten berichtet, bei denen es unter Bisphosphonatentherapie (Pamidronsäure oder Zoledronsäure) zu intraoralen Nekrosen des Kieferknochens gekommen war. Pathogenetisch schrieben Marx und Migliorati [Marx, 2003 a und b; Migliorati, 2003] diese Osteonekrose einer Inhibition der endothelialen Zellen zu. Dadurch könnte die intraossäre Angiogenese gestört werden, was dann zu einer avaskulären Nekrose des betroffenen Kieferknochens führt. Der so geschädigte Knochen ist dann nicht mehr fähig auf Infekte oder (chirurgische) Traumata zu reagieren, es kommt zur klinisch manifesten
Osteonekrose. Die Reduktion der endothelialen Zellproliferation und die Stimulierung von Apoptosereaktionen durch Bisphosphonate wurden in experimentellen Arbeiten nachgewiesen [Fournier et al., 2002; Wood et al., 2002]. In den Jahren 2004 und 2005 häuften sich die Berichte in der Literatur über Osteonekrosen der Kieferknochen unter Bisphosphonatentherapie. In einer retrospektiven Untersuchung (Februar 2001 bis November 2003) wurden 63 Patienten mit Bisphosphonat-induzierten Osteonekrosen des Kieferknochens identifiziert [Ruggiero et al., 2004]. Bei 24 Patienten war die Maxilla, bei 40 die Mandibula und bei 15 Patienten waren gar alle vier Quadranten betroffen. Die Bisphosphonatentherapie wurde bei sieben Patienten aufgrund einer Osteoporose durchgeführt, bei den übrigen Patienten wurde sie wegen ossärer Komplikationen bei malignen Prozessen (Mamma-, Prostata-, Lungenkarzinom, multiples Myelom, Leukämie, und mehr) eingesetzt. Bei 57 Patienten wurde Pamidronsäure (Aredia) oder Zoledronsäure (Zometa) inravenös in monatlichen Intervallen verabreicht, bei sechs Patienten mit bekannter Osteoporose wurde Alendronsäure (Fosamax) oder Risedronsäure (Actonel) peroral eingenommen. In dieser Arbeit konnte die von Marx [Marx, 2003a] vorgeschlagene Theorie der Zahnpathologien als Auslöser und allfälligem Grund für die Prävalenz der Osteonekrosen im Kieferbereich unter Bisphosphonatentherapie bestätigt werden: Bei 54 Patienten (86 Prozent) konnte die Osteonekrose mit einer vorhergehenden Zahnextraktion oder einem anderweitigen zahnärztlich-chirurgischen Eingriff in Zusammenhang gebracht werden. Auch eine aktuelle Fallserie berichtete bei allen 9 untersuchten Patienten über vorgängige Extraktionen parodontal geschädigter Zähne [Ficcara et al., 2005]. In einem anderen Fallbericht wurde gar ein möglicher Zusammenhang zwischen endodontischen Therapien und dem Beginn einer Bisphosphonat-assoziierten Knochennekrose beschrieben. In einer anderen Arbeit wurde über vier Fälle mit Nekrosen des Kieferknochens
berichtet, ohne dass bei diesen Patienten ein vorhergehender dento-alveolärer Eingriff stattgefunden hatte [Merigo et al., 2005]. Alle vier Patienten hatten eine intravenöse Therapie mit Bisphosphonaten bei bekannten Knochenmetastasen (drei Patienten) und einem multiplen Myelom. Eine weitere Fallserie berichtete über 17 Patienten, die entweder Pamidronsäure oder Zoledronsäure zur Therapie von Knochenmetastasen beziehungsweise Alendronsäure bei bekannter Osteoporose nahmen [Migliorati et al., 2005a]. Ähnliche Daten lieferte eine retrospektive Untersuchung der Patientendaten (September 2003 bis Dezember 2004) mit bisher ungeklärter Osteonekrose des Kieferbereichs des Washington Medical Centers (Washington, USA), bei denen elf Patienten mit Bisphosphonat-induzierter Kiefernekrose identifiziert wurden [Melo & Obeid, 2005]. In einer weiteren Arbeit aus dem Jahre 2006 wurden 23 Patienten mit Bisphosphonat-bedingten Kieferknochennekrosen diagnostiziert [Farrugia et al., 2006]. Alle wurden mit Zoledronsäure, Pamidronsäure oder Alendronsäure (bei fünf Patienten mit Osteoporose oder Morbus Paget) therapiert. Klinisch imponiert die Bisphosphonat-assoziierte Osteonekrose charakteristischerweise durch freiliegenden gelblich-weißen Knochen in der Maxilla und/oder Mandibula. Auf eine Sondierung des exponierten Knochens kommt es nicht zu einer Blutung und der Patient verspürt im Allgemeinen auch keinerlei Schmerzen [Migliorati et al., 2005a]. Sekundär kann es aber bei großflächigeren denudierten Knochenarealen zur Infektion mit nachfolgender Entzündung, Eiterbildung und Schmerzentwicklung kommen [Marx, 2003b]. Bei bezahnten Patienten scheint die Osteonekrose mitunter zu Beginn einer Parodontitis marginalis zu gleichen, wobei es nach der Extraktion zu Wundheilungsstörungen mit fortschreitender Knochenexposition kommt. Bei zahnlosen Patienten sind häufig krestale Alveolarfortsatzanteile im Ober- und/oder Unterkiefer betroffen, die dem direkten Kaudruck der Totalprothesen ausgesetzt sind. Diese beschriebenen klinischen Merkmale bestätigen sich auch beim vorliegenden Fallbericht, in welchem nicht der Sequester in der Maxilla selber schmerzhaft war, sondern die aus der Mobilität des betroffenen nekrotischen Knochenareales bedingte Inkongruenz zwischen Prothese und Maxilla Beschwerden, vor allem bei der Nahrungsaufnahme, bereitete.
Die sogenannte Osteoradionekrose als schwere Komplikation nach Strahlentherapie im Kiefer-Gesichtsbereich hat klinisch einige Ähnlichkeiten zur Bisphosphonat-induzierten Kieferknochennekrose. Bei beiden Erkrankungsformen liegt der
Kieferknochen ohne entsprechende Symptomatik teils großflächig frei, zudem scheinen oft vorhergehende dento-alveoläre Eingriffe Auslöser für die Entstehung dieser Prozesse zu sein. Pathogenetisch gibt es nach dem derzeitigen Wissensstand auch einige Gemeinsamkeiten: Bei der Osteoradionekrose kommt es als Folge der Strahlentherapie zu einer radiogenen Gefäßschädigung, die über Endarteriitis, Hyalinisierung und Thrombosierung zur Gefäßfibrose führt [Marx, 1983; Wangerin et al., 1986]. Kommt es demnach während und nach der Strahlentherapie zu einer Infektion durch eine lokale Eintrittspforte über operative Eingriffe, Extraktionen [Filippi, 1994], apikale und marginale Parodontitiden oder Prothesendruckstellen [Filippi, 1993], kann dies zu nicht heilenden Wunden führen. Die Infektion greift auf den vorgeschädigten Knochen über und kann sich dort ungehindert ausbreiten [Bornstein et al., 2001a und b]. Ein bedeutender Unterschied zwischen beiden Erkrankungen liegt aber in dem Verhältnis des Befalls der Mandibula beziehungsweise Maxilla. Die Mandibula ist bei der Osteoradionekrose im Gegensatz zur Bisphosphonat-assoziierten Knochennekrose deutlich häufiger betroffen als die Maxilla [Reuther et al., 2003]. In einer Übersichtsarbeit [Perrier & Moeller, 1994] betrug das Verhältnis der Häufigkeit einer Osteoradionekrose zwischen Mandibula und Maxilla 24:1, was an den fehlenden Kollateralgefäßen, der dichteren Knochenstruktur und der daraus resultierenden schlechteren Vaskularisierung des Unterkiefers zu liegen scheint. Bei der Bisphosphonat-assoziierten Osteonekrose kann die Maxilla bei bis zu 48 Prozent der Fälle betroffen sein [Farrugia et al., 2006].
Eine effektive Therapie der Bisphosphonat-assoziierten Nekrose der Kieferknochen ist bisher nicht bekannt. In den Fallserien wird immer wieder über Rezidive und Therapie-resistente Knochenareale berichtet, wobei das Therapiespektrum von konservativen Maßnahmen wie lang dauernder Antibiotikagabe, regelmäßiger Desinfektion der betroffenen Knochenareale oder Débridement der nekrotischen Oberfläche [Ficcara et al., 2005; Schirmer et al., 2005; Vanucchi et al., 2005] bis hin zu radikalchirurgischen Eingriffen wie Kasten- oder Kontinuitätsresektionen reicht [Ruggiero et al., 2004; Abu-Id et al., 2006]. Auch der Einsatz und Erfolg der hyperbaren Sauerstofftherapie (allein/in Kombination mit anderen konservativen Therapiemethoden oder adjuvant zu chirurgischen Eingriffen) ist in diesem Zusammenhang nicht geklärt [Migliorati et al., 2005b]. Im hier vorgestellten Fallbericht kam es nach Sequestrotomie im Oberkiefer zunächst auch zu einer Wundheilungsstörung mit Bildung einer oro-antralen Fistel. Diese konnte aber in einem Zweiteingriff plastisch verschlossen werden. Ob das Absetzen des
Bisphosphonates nach der ersten Operation hier zum Erfolg des Zweiteingriffes beitrug, kann nicht eindeutig beantwortet werden. In der Literatur wird der Einfluss des Sistierens intravenöser und auch oraler Bisphosphonatgaben auf die Therapieresultate bei manifester Osteonekrose als eher fraglich und ungewiss beschrieben [Migliorati et al., 2005b]. Ein Grund dafür könnte die lange Halbwertszeit (Jahre!) der Bisphosphonate im menschlichen Körper darstellen. Auf der Basis der ungewissen Resultate der konservativen und/oder chirurgischen Behandlung von Osteonekrosen wird von verschiedener Seite empfohlen, generell vor Beginn einer Bisphosphonatentherapie eine Zahnsanierung im Sinne einer Fokussanierung und auch danach regelmäßige dentale und stomatologische Kontrollen durchzuführen, um etwaige Knochennekrosen frühzeitig zu erkennen [Migliorati et al., 2005b; Abu-Id et al., 2006].
Die Osteoporose ist eine Knochenerkrankung, die durch eine Verminderung des Knochengewebes bei erhaltener Knochenstruktur und damit einhergehendem erhöhtem Risiko von pathologischen Frakturen charakterisiert wird [Fleisch, 2000]. Allein in den Vereinigten Staaten von Amerika sind mehr als zehn Millionen Personen über dem 50. Lebensjahr von einer Osteoporose betroffen, über 33 Millionen haben eine Osteopenie und gehören somit in die Risikogruppe potentieller Osteoporotiker mit den entsprechenden Komplikationen [Gass & Dawson-Hughes, 2006]. In der Therapie der Osteoporose werden Bisphosphonate, zusätzlich zu Kalzium- und Vitamin D-Präparaten, zur Verminderung des Frakturrisikos verschrieben. Drei verschiedene Bisphosphonattypen werden dabei typischerweise empfohlen: Alendronsäure (in der Schweiz als Präparat zugelassen: Fosamax, Tabletten zu 10 und 70 mg; Dosierung eine Wochentablette zu 70 mg oder eine Tablette zu 10 mg täglich), Risedronsäure (Actonel, Tabletten zu 5 und 35 mg; Dosierung eine Wochentablette zu 35 mg oder eine Tablette zu 5 mg täglich) und Ibandronsäure (Bonviva, Tabletten zu 150 mg; Dosierung eine Tablette zu 150 mg monatlich/am selben Datum jeden Monats). Im hier beschriebenen Fall nahm die Patienten seit etwa eineinhalb Jahren eine Wochentablette Actonel (35 mg) bei bekannter Osteoporose ein. Interessanterweise wurden die Osteonekrosen des Kieferknochens zunächst im Zusammenhang mit intravenös verabreichten Bisphosphonaten bei der Therapie Malignom-bedingter Osteolysen beschrieben [Marx, 2003 a und b; Melo & Obeid, 2005; Merigo et al., 2005]. Da bei diesen Patienten neben einer Bisphosphonatentherapie auch zytostatische Chemotherapeutika, Glukokortikoidgaben und auch tumorbedingte Anämien beziehungsweise Immunsuppressionen die Regel sind, wurde die Monokausalität der Bisphosphonate bei Osteonekrosen der Kiefer mitunter in Frage gestellt [Ruggiero et al., 2004; Schirmer et al., 2005; Abu-Id et al., 2006]. Immer mehr häufen sich aber Berichte über Kieferknochennekrosen bei chronischer oraler Bisphosphonatengabe, speziell bei der Osteoporose, aber auch bei Morbus Paget und anderen Osteopathien [Ruggiero et al., 2004;
Migliorati et al., 2005a; Farrugia et al., 2006]. Bedenkt man nun, dass die Alendronsäure das wohl am meisten verschriebene Bisphosphonat und auch eines der verbreitetsten Medikamente weltweit ist [Hellstein & Marek, 2005], könnte sich in Zukunft aus dieser Tatsache ein Problem von noch unklaren Ausmaßen für das Gesundheitswesen im Allgemeinen und auch die Zahnmedizin im Speziellen ergeben.
Der Zusammenhang zwischen einer medikamentösen Therapie mit Bisphosphonaten und dem Auftreten von Kieferknochennekrosen in der Mandibula und Maxilla, oft ausgelöst durch zahnärztlich-chirurgische Eingriffe, lässt sich anhand der Fülle neuer Literatur aus den letzten drei Jahren nicht mehr von der Hand weisen. Da die Therapie einmal aufgetretener Osteonekrosen langwierig, invasiv und mit einer fraglichen Erfolgsaussicht versehen ist, muss die Prävention verbessert werden. Hierzu könnte eine Einteilung der Patienten unter Bisphosphonattherapie in zwei Risikogruppen hilfreich sein [Abu-Id et al., 2006]:
Hochrisikopatienten mit intravenöser Bisphosphonattherapie und zusätzlicher Chemo-, Strahlen- oder Kortikosteroidtherapie
Niedrigrisikopatienten mit oraler Bisphosphonattherapie ohne begleitende Chemo-, Strahlen- oder Kortikosteroidtherapie
Besonders bei der ersten Gruppe sollte eine Zahnsanierung vor Therapiebeginn erfolgen, was eine Abstimmung zwischen Zahnärzten und behandelnden Onkologen nötig macht, wie dies bereits aus der Fokussuche und -sanierung vor geplanter Radio-/Chemotherapie im Kopf-Hals-Bereich oder potentiellen Transplantationspatienten bekannt und etabliert ist.
Bei der zweiten Patientengruppe mit oraler Bisphosphonattherapie ergeben sich für zukünftige zahnärztliche Therapien und Eingriffe einige ungelöste Fragen. Bisher galt nämlich beispielsweise eine Osteoporose nicht als Kontraindikation zur Implantattherapie [Baxter & Fattore, 1993; DAO et al., 1993; Buser et al., 2000]. In Zukunft
sollte eine Osteoporose, die medikamentös mit Bisphosphonaten zur Frakturprophylaxe behandelt wird, bei geplanter Implantattherapie eher als Risikofaktor gelten. Da es aber über Misserfolge und Komplikationen bei implantologischer Sanierung in diesem Zusammenhang noch kaum Daten gibt [Starck & Epker, 1995], sollten prospektive kontrollierte Studien zu diesem Themenkreis begonnen werden. Auch in der Parodontologie gilt es vor einem in der Forschung viel diskutierten Therapieansatz zu warnen, dem Einsatz von Bisphosphonaten zur Prävention und Therapie eines fortschreitenden Knochenverlustes bei aktiver Parodontitis [Tenenbaum et al., 2002; Reddy et al., 2003; Palomo et al., 2006]. Solange die Mechanismen und Zusammenhänge des Einsatzes von Bisphosphonaten und der Kieferknochennekrose nicht besser verstanden sind und auch erfolgreiche Therapieansätze bei manifester Osteonekrose fehlen, sollte auf einen klinischen Bisphosphonateinsatz zur parodontalen Therapie verzichtet werden. In der dentalen Traumatologie wurde wiederholt über antiresorptive Eigenschaften von Bisphosphonaten bei der Therapie avulsierter Zähne berichtet [Levin et al., 2001, Lutosa-Pereira et al., 2006]. Auch hier gilt, wie für die Parodontologie, dass unter dem derzeitigen Wissensstand von einem klinischen Einsatz der Bisphosphonate abgesehen werden sollte.
Zusammenfassung
In den letzten Jahren sind in der Literatur immer mehr Berichte über Nekrosen des Kieferknochens im Zusammenhang mit intravenös verabreichten Bisphosphonaten bei Malignom-bedingten Osteolysen (zum Beispiel Knochenmetastasen bei Mamma- oder Prostatakarzinom sowie hämatologische Neoplasien) veröffentlicht worden. Auch bei oral eingenommenen Bisphosphonaten zur Therapie/Prävention von Knochenfrakturen bei bekannter Osteoporose ist in letzter Zeit über Osteonekrosen der Mandibula und/ oder Maxilla berichtet worden. Therapeutisch haben sich diese Osteonekrosen des Kieferknochens als chirurgisch schwer beeinflussbar erwiesen, oft kommt es zu Rezidiven oder gar zur Progression der Erkrankung. Anhand eines Fallberichtes einer Bisphosphonat-assoziierten Knochennekrose der Maxilla bei einer Osteoporosepatientin soll die aktuelle Literatur zur Thematik aufgezeigt und diskutiert werden. Darüber hinaus soll auch auf offene Fragen sowie potentielle Probleme für den zahnmedizinischen Praxisalltag eingegangen werden.
Dr. Michael M. Bornstein, OA
Kaspar Oberli
Daniel Buser
Klinik für Oralchirurgie und Stomatologie
Zahnmedizinische Kliniken
der Universität Bern
Freiburgstrasse 7
CH-3010 Bern
michael.bornstein@zmk.unibe.ch
Edouard Stauffer
Institut für Pathologie
Universität Bern
Dieser Artikel erschien zuerst in der Schweizer Monatsschrift für Zahnmedizin, 116: 1035-1047 (2006), der freundlicherweise zum Nachdruck zur Verfügung gestellt wurde.
Literaturverzeichnis
Gruß
Michael
Bisphosphonat-assoziierte Osteonekrose der Maxilla
Michael M. Bornstein et al.Abstract
1. Januar 2007 - In den letzten Jahren sind in der Literatur immer mehr Berichte über Nekrosen des Kieferknochens
im Zusammenhang mit intravenös verabreichten Bisphosphonaten bei Malignom-bedingten Osteolysen (zum Beispiel Knochenmetastasen bei Mamma- oder Prostatakarzinom sowie hämatologische Neoplasien) veröffentlicht worden. Nachdem die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde hierzu eine Stellungnahme (siehe auch zm 20/2006) abgegeben hat, erscheinen nun eine weitere Literaturübersicht sowie ein Patientenfall.
Bisphosphonate wurden vor über 40 Jahren als Analoga natürlich vorkommender anorganischer Pyrophosphate beschrieben (Bisphosphonate = Polyphosphate; P-C-P-Bindung anstelle der P-O-P-Bindung). Es konnte gezeigt werden, dass sie die Knochenresorption inhibieren und einen bedeutenden Effekt auf den Kalziumstoffwechsel ausüben [Rogers et al., 1997]. Die Knochenresorption wird vor allem durch eine direkte Einwirkung auf die Osteoklasten gehemmt: So wird die Rekrutierung der Osteoklasten und deren resorptive Aktivität auf der Knochenoberfläche inhibiert, zudem wird auch deren Lebensdauer insgesamt verkürzt [Rodan & Fleisch, 1996]. Als klinische Einsatzgebiete haben sich bei den Bisphosphonaten Malignom-bedingte Osteolysen (Knochenmetastasen bei Mamma- oder Prostatakarzinom, hämatologische Neoplasien, und mehr), Hyperkalzämien besonders bei Hyperparathyroidismus, der Morbus Paget und die Behandlung der Osteoporose bewährt [Hubner & Houston, 2005; Miller, 2005]. Dabei wird primär die bei diesen Erkrankungen typische Osteoklasten-gesteuerte Knochenresorption unterdrückt.
Bei Patienten mit Knochenmetastasen oder auch mit einem multiplen Myelom kommt es über eine erhöhte Osteoklastenaktivität zur fortlaufenden Knochendestruktion. Typische Folgeerscheinungen betroffener Patienten sind Schmerzen, pathologische Frakturen, Spinalkanalkompressionen und eine Hyperkalzämie [Hortobadyi et al., 1998]. Die klassischen Symptome eines solchen Hyperkalzämie-Syndroms reichen von Benommenheit und Lethargie über Verstopfung, Übelkeit, Erbrechen bis hin zu Herzrhythmusstörungen und Nierenversagen [Wenzel et al., 2004].
Die Osteoporose hat sich in den letzten Jahren, bedingt durch demografische Faktoren, zu einem bedeutenden weltweiten Gesundheitsproblem entwickelt [Mathoo et al., 2004]. Bei der Osteoporose (speziell der postmenopausalen Form) haben sich besonders zwei Bisphosphonattypen bewährt [Mathoo et al., 2004; Delmas 2005]: Alendronsäure/Alendronat (Fosamax; Merck Sharp & Dohme-Chibert AG, Glattbrugg, Schweiz) und Risedronsäure/Risedronat (Actonel; Aventis Pharma AG, Zürich, Schweiz). Bei beiden wird das Risiko einer pathologischen Fraktur (Wirbelsäule, Hüfte, und mehr), abhängig vom Patientenprofil, um etwa 20 bis 50 Prozent gesenkt. Als neuerer Wirkstoff ist zudem Ibandronsäure/Ibandronat (Bonviva; F. Hoffmann-La Roche AG, Basel, Schweiz) kommerziell erhältlich. Bisphosphonate wirken in der Osteoporosetherapie über eine Verringerung des Knochenumsatzes und somit auch des Knochenverlustes sowie über eine Erhöhung der Knochenmineralisation [Fleisch, 2000]. Noch immer sind aber einige Fragen offen: So ist die optimale Dauer einer Bisphosphonatentherapie noch nicht geklärt und auch der genaue Mechanismus, über den die Bisphosphonate zur Stärkung der Knochen beitragen, ist nicht im Detail bekannt.
Im vorliegenden Fallbericht soll über eine Bisphosphonat-assoziierte beziehungsweise -induzierte Osteonekrose in der Maxilla bei einer 82-jährigen Patientin mit bekannter Osteoporose berichtet werden. Klinisches, radiologisches sowie histopathologisches Erscheinungsbild und die Therapie dieser neueren Problematik sollen beschrieben und anhand der vorliegenden Literatur diskutiert werden.
Fallbericht
Die Patientin, eine 82-jährige Frau, wurde der Klinik für Oralchirurgie und Stomatologie der Universität Bern durch den sie im Altersheim betreuenden Privatzahnarzt zugewiesen. Dem Pflegepersonal des Altersheims war aufgefallen, dass die etwa 20 Jahre alte
Oberkiefer-Totalprothese der Patientin einen zunehmend schlechten Halt aufwies. Die dadurch eingeschränkte Fähigkeit zur Nahrungsaufnahme hatte bei der Patientin zu Gewichtsverlust und damit einhergehender Reduktion des Allgemeinzustandes geführt. Dem Privatzahnarzt fiel darüber hinaus ein etwa vier Zentimeter (cm) langer, beweglicher Knochensequester im Oberkiefer rechts in der Prämolaren-/Molarenregion auf. Dieser Sequester hatte zu einer Inkongruenz zwischen Prothesenlager und Prothesenbasis geführt. Darauf entschied der Privatzahnarzt, die Patientin an unsere Klinik zu überweisen.Die Patientin, eine 82-jährige Frau, wurde der Klinik für Oralchirurgie und Stomatologie der Universität Bern durch den sie im Altersheim betreuenden Privatzahnarzt zugewiesen. Dem Pflegepersonal des Altersheims war aufgefallen, dass die etwa 20 Jahre alte
Die Medikamentenliste der Patientin umfasst insgesamt acht verschiedene Präparate zur pharmakologischen Therapie diverser Altersbeschwerden (Tabelle I). Darunter seit Mai 2004 das Bisphosphonat Actonel (Aventis Pharma AG, Zürich, Schweiz) in einer Dosierung von 35 Milligramm (mg) pro Woche (oral, als Tabletten) zur Vorbeugung von Knochenfrakturen bei einer Osteoporose.
Anlässlich der Erstuntersuchung an der Klinik für Oralchirurgie und Stomatologie zeigte sich eine geistig frische, aber körperlich reduzierte Patientin. Es fiel eine deutlich seitwärts gekrümmte Haltung auf, die Patientin war auf eine Gehhilfe angewiesen. Der Hausarzt bestätigte eine Wirbelsäulendeformation (Quasi-Exartikulation zwischen dem vierten und fünften Lendenwirbelkörper). Im Oberkiefer war die Patientin durch eine Totalprothese mit Metallverstärkung über dem Gaumen versorgt. Die Prothese wies keinen retentiven Halt auf und wurde von der Patientin lediglich mit Zungen- und Wangenmuskulatur mehr schlecht als recht stabilisiert. Im Unterkiefer zeigte sich beidseits eine verkürzte Zahnreihe, zudem waren sämtliche Unterkieferzähne überkront. Am Oberkieferalveolarfortsatz regio 14 bis 16 imponierte ein etwa 4 cm langer Knochensequester, der sich unter leichten Schmerzen bewegen ließ (Abbildung 1). Im Oberkiefer fanden sich darüber hinaus drei Wurzelreste (Zähne 24 und 27), die ebenfalls leicht mobil waren.
Das Orthopantomogramm zeigte den Sequester nur undeutlich (Abbildung 2). Bei 24 ließ sich zudem apikal eine etwa drei Millimeter (mm) lange, radioopake Struktur (Verdacht auf überfülltes Wurzelfüllmaterial) erkennen. Im Unterkieferalveolarfortsatz rechts fanden sich drei radioopake, runde Gebilde regio 36 bis 38. Das Aufbiss-Röntgenbild des Oberkiefers zeigte deutlich den Knochensequester. Zudem war zum Sinus maxillaris rechts nur eine fragliche, hauchdünne knöcherne Begrenzung zu erkennen (Abbildung 3).
Eine Woche nach der initialen Untersuchung wurde der Knochensequester in Lokalanästhesie (4 ml Ubistesin DS 4 Prozent, 3M Espe AG, Seefeld, Deutschland) unter perioperativer Antibiose (Dalacin C, Pfizer AG, Zürich, Schweiz; 3-mal täglich 300 mg für eine Woche) sowie Chlorhexidinspülung (Hibitane 0,1 Prozent, SSL Healthcare AG, Reinach, Schweiz; 2-mal täglich eine Minute) entfernt. Der Eingriff gestaltete sich unblutig; der Sequester ließ sich komplikationslos mit der Lüerzange entfernen. Es blieb eine epithelialisierte Bucht regio 14 bis 16 zurück.
Die Sondierung mit der Knopfsonde zeigte klinisch keinen exponierten Knochen und keine Perforation zur Kieferhöhle. Das entnommene Knochenstück wurde zur histopathologischen Begutachtung an das Institut für Pathologie der Universität Bern gesandt. Im selben Eingriff wurden die drei Wurzelreste aus dem Oberkiefer links entfernt. Zur Analgesie wurde postoperativ Paracetamol (Dafalgan 500, Upsamedica GmbH, Baar, Schweiz)
verordnet. Dazu wurde die Patientin über das Schneuz-/Niesverhalten instruiert (Vermeidung von Überdruck in Nasen- und Kieferhöhlen während drei Wochen). Zur Inhalation wurde Kamillin-Medipharm-Konzentrat (Iromedica AG, St. Gallen, Schweiz) abgegeben und die Mundspülung mit Hibitane sollte für eine Woche fortgeführt werden. Darüber hinaus wurde in der ersten postoperativen Woche eine Prothesenkarenz und weiche Kost verordnet.
Die histopathologische Untersuchung ergab ein vollständig nekrotisches Knochenstück ohne sichtbare vitale Osteozyten (Abbildungen 4, 5). In den Haver'schen Kanälen fehlten endotheliale beziehungsweise sichtbare Gefäßanteile. Es imponierte im ganzen Knochensequester, besonders auch oberflächlich, eine deutlich ausgeprägte mikrobielle Besiedelung.
Das mikrobiologische Spektrum reichte dabei von teils in aktinomyzesähnlichen Haufen angeordneten Gram-positiven und Gram-negativen Kokken und Stäbchen bis hin zu einigen Pilzelementen (Abbildungen 6, 7). Bei der ersten Nachkontrolle eine
Woche post operationem bemerkte die Patientin, dass ihr bei der Mundspülung immer etwas Flüssigkeit aus der Nase und den Rachen hinunter laufe. Klinisch zeigte sich in der Region des vormaligen Sequesters eine kleine, etwa 3 bis 4 mm messende, runde Öffnung (Abbildung 8). Der Verdacht auf eine Mund-Antrum-Verbindung wurde durch Sondierung mit der Knopfsonde bestätigt. Im Oberkiefer links regio 24 und 27 zeigte sich eine unauffällige Wundheilung.
Parallel zur Therapie an der Klinik für Oralchirurgie und Stomatologie wurde die Patientin zur Neuanfertigung der Totalprothese im Oberkiefer an die Klinik für Zahnärztliche Prothetik der Zahnmedizinischen Kliniken zugewiesen. Dr. Gerda Kessler-Liechti, Oberassistentin, gebührt herzlicher Dank für ihre Unterstützung bei der Therapie. Gemeinsam wurde besprochen, zunächst die prothetische Situation zu verbessern und die Mund-Antrum-Verbindung in einem zweiten oralchirurgischen Eingriff nach Rücksprache mit dem behandelnden Hausarzt zu verschließen. Der Hausarzt setzte nach diesbezüglicher Information die Osteoporose-Prophylaxe mit dem Bisphosphonat Actonel (Aventis Pharma AG, Zürich, Schweiz) aus.
Anlässlich der folgenden Kontrolltermine zeigte sich eine deutliche Verkleinerung der Fistelöffnung regio 15. Allerdings beklagte sich die Patientin immer noch darüber, dass ihr bei der Mundspülung Flüssigkeit aus der Nase laufe. Daher wurde gut vier Monate nach der Knochensequesterentfernung die persistierende Mund-Antrum-Verbindung in Lokalanästhesie plastisch verschlossen. Unter Aufklappung wurde die Fistel exzidiert und die knöcherne Begrenzung der Verbindung zur Kieferhöhle dargestellt (Abbildung 9). Diese wurde mit einer doppellagigen Bio-Gide-Membran (Geistlich Biomaterials, Wolhusen, Schweiz) und Fibrinkleber (Tissucol Duo S, Baxter Schweiz AG, Volketswil, Schweiz) bedeckt und der Mukoperiostlappen dicht mit Matratzen- und Einzelknopfnähten verschlossen (Abbildung 10).
Die postoperative Medikation entsprach derjenigen des Ersteingriffes. Die Wundheilung gestaltete sich bisher problemlos. Knapp fünf Monate nach der Operation ist keine Kommunikation zwischen Kiefer- und Mundhöhle nachweisbar.
Diskussion
Erstmalig wurde über einen möglichen Zusammenhang zwischen einer Bisphosphonatentherapie und einer in der Folge auftretenden Osteonekrose - wobei ausschließlich der Kieferknochen befallen zu sein scheint - im Jahre 2003 berichtet [Marx, 2003a]. In dieser Arbeit wurden 36 Fälle einer Osteonekrose in der Mandibula (29 Patienten/80,5 Prozent), der Maxilla (5 Patienten/14 Prozent) oder beiden Kiefern gleichzeitig
(2 Patienten/5,5 Prozent) beschrieben. Alle diese Patienten durchliefen eine Therapie mit intravenös verabreichten Bisphosphonaten, entweder mit Pamidronsäure/Pamidronat (Aredia; in der Schweiz vertrieben durch die Novartis Pharma AG, Bern) oder Zoledronsäure/Zoledronat (Zometa; Novartis Pharma AG, Bern). Bei 18 Patienten war die Indikation zur Bisphosphonatengabe eine Hyperkalzämie als Folge eines multiplen Myeloms, bei 17 Patienten eine Hyperkalzämie wegen Knochenmetastasen bei einem Mammakarzinom und bei einem Patienten eine Osteoporose. Keiner dieser 36 Patienten wies außerhalb des Kieferbereiches freiliegenden, nekrotischen Knochen auf, auch konnte ein solches vorhergehendes Ereignis anamnestisch nicht eruiert werden. Der Autor erklärte sich dieses Phänomen, das heißt den ausschließlichen Befall der Kiefer, durch die Zähne, genauer durch die Tatsache, dass der Kieferknochen über die Zähne beziehungsweise das Parodont mit der Mundhöhle (also dem externen Milieu) kommuniziert und parodontale Infektionen, dentogene Abszesse oder auch Wurzelkanalbehandlungen zur Infektion des Kieferknochens und einem erhöhten Knochenumsatz führen. Diese Theorie wurde dadurch untermauert, dass bei 28 Patienten (77 Prozent) die Osteonekrose mit einer vorhergehenden Zahnextraktion in Zusammenhang gebracht werden konnte. Nur bei acht Patienten war die Knochennekrose des Kiefers spontan aufgetreten.
Im gleichen Jahr wurde in einem Brief an den Herausgeber des Journal of Clinical Oncology [Migliorati, 2003] über fünf Patienten berichtet, bei denen es unter Bisphosphonatentherapie (Pamidronsäure oder Zoledronsäure) zu intraoralen Nekrosen des Kieferknochens gekommen war. Pathogenetisch schrieben Marx und Migliorati [Marx, 2003 a und b; Migliorati, 2003] diese Osteonekrose einer Inhibition der endothelialen Zellen zu. Dadurch könnte die intraossäre Angiogenese gestört werden, was dann zu einer avaskulären Nekrose des betroffenen Kieferknochens führt. Der so geschädigte Knochen ist dann nicht mehr fähig auf Infekte oder (chirurgische) Traumata zu reagieren, es kommt zur klinisch manifesten
Osteonekrose. Die Reduktion der endothelialen Zellproliferation und die Stimulierung von Apoptosereaktionen durch Bisphosphonate wurden in experimentellen Arbeiten nachgewiesen [Fournier et al., 2002; Wood et al., 2002]. In den Jahren 2004 und 2005 häuften sich die Berichte in der Literatur über Osteonekrosen der Kieferknochen unter Bisphosphonatentherapie. In einer retrospektiven Untersuchung (Februar 2001 bis November 2003) wurden 63 Patienten mit Bisphosphonat-induzierten Osteonekrosen des Kieferknochens identifiziert [Ruggiero et al., 2004]. Bei 24 Patienten war die Maxilla, bei 40 die Mandibula und bei 15 Patienten waren gar alle vier Quadranten betroffen. Die Bisphosphonatentherapie wurde bei sieben Patienten aufgrund einer Osteoporose durchgeführt, bei den übrigen Patienten wurde sie wegen ossärer Komplikationen bei malignen Prozessen (Mamma-, Prostata-, Lungenkarzinom, multiples Myelom, Leukämie, und mehr) eingesetzt. Bei 57 Patienten wurde Pamidronsäure (Aredia) oder Zoledronsäure (Zometa) inravenös in monatlichen Intervallen verabreicht, bei sechs Patienten mit bekannter Osteoporose wurde Alendronsäure (Fosamax) oder Risedronsäure (Actonel) peroral eingenommen. In dieser Arbeit konnte die von Marx [Marx, 2003a] vorgeschlagene Theorie der Zahnpathologien als Auslöser und allfälligem Grund für die Prävalenz der Osteonekrosen im Kieferbereich unter Bisphosphonatentherapie bestätigt werden: Bei 54 Patienten (86 Prozent) konnte die Osteonekrose mit einer vorhergehenden Zahnextraktion oder einem anderweitigen zahnärztlich-chirurgischen Eingriff in Zusammenhang gebracht werden. Auch eine aktuelle Fallserie berichtete bei allen 9 untersuchten Patienten über vorgängige Extraktionen parodontal geschädigter Zähne [Ficcara et al., 2005]. In einem anderen Fallbericht wurde gar ein möglicher Zusammenhang zwischen endodontischen Therapien und dem Beginn einer Bisphosphonat-assoziierten Knochennekrose beschrieben. In einer anderen Arbeit wurde über vier Fälle mit Nekrosen des Kieferknochens
berichtet, ohne dass bei diesen Patienten ein vorhergehender dento-alveolärer Eingriff stattgefunden hatte [Merigo et al., 2005]. Alle vier Patienten hatten eine intravenöse Therapie mit Bisphosphonaten bei bekannten Knochenmetastasen (drei Patienten) und einem multiplen Myelom. Eine weitere Fallserie berichtete über 17 Patienten, die entweder Pamidronsäure oder Zoledronsäure zur Therapie von Knochenmetastasen beziehungsweise Alendronsäure bei bekannter Osteoporose nahmen [Migliorati et al., 2005a]. Ähnliche Daten lieferte eine retrospektive Untersuchung der Patientendaten (September 2003 bis Dezember 2004) mit bisher ungeklärter Osteonekrose des Kieferbereichs des Washington Medical Centers (Washington, USA), bei denen elf Patienten mit Bisphosphonat-induzierter Kiefernekrose identifiziert wurden [Melo & Obeid, 2005]. In einer weiteren Arbeit aus dem Jahre 2006 wurden 23 Patienten mit Bisphosphonat-bedingten Kieferknochennekrosen diagnostiziert [Farrugia et al., 2006]. Alle wurden mit Zoledronsäure, Pamidronsäure oder Alendronsäure (bei fünf Patienten mit Osteoporose oder Morbus Paget) therapiert. Klinisch imponiert die Bisphosphonat-assoziierte Osteonekrose charakteristischerweise durch freiliegenden gelblich-weißen Knochen in der Maxilla und/oder Mandibula. Auf eine Sondierung des exponierten Knochens kommt es nicht zu einer Blutung und der Patient verspürt im Allgemeinen auch keinerlei Schmerzen [Migliorati et al., 2005a]. Sekundär kann es aber bei großflächigeren denudierten Knochenarealen zur Infektion mit nachfolgender Entzündung, Eiterbildung und Schmerzentwicklung kommen [Marx, 2003b]. Bei bezahnten Patienten scheint die Osteonekrose mitunter zu Beginn einer Parodontitis marginalis zu gleichen, wobei es nach der Extraktion zu Wundheilungsstörungen mit fortschreitender Knochenexposition kommt. Bei zahnlosen Patienten sind häufig krestale Alveolarfortsatzanteile im Ober- und/oder Unterkiefer betroffen, die dem direkten Kaudruck der Totalprothesen ausgesetzt sind. Diese beschriebenen klinischen Merkmale bestätigen sich auch beim vorliegenden Fallbericht, in welchem nicht der Sequester in der Maxilla selber schmerzhaft war, sondern die aus der Mobilität des betroffenen nekrotischen Knochenareales bedingte Inkongruenz zwischen Prothese und Maxilla Beschwerden, vor allem bei der Nahrungsaufnahme, bereitete.
Die sogenannte Osteoradionekrose als schwere Komplikation nach Strahlentherapie im Kiefer-Gesichtsbereich hat klinisch einige Ähnlichkeiten zur Bisphosphonat-induzierten Kieferknochennekrose. Bei beiden Erkrankungsformen liegt der
Kieferknochen ohne entsprechende Symptomatik teils großflächig frei, zudem scheinen oft vorhergehende dento-alveoläre Eingriffe Auslöser für die Entstehung dieser Prozesse zu sein. Pathogenetisch gibt es nach dem derzeitigen Wissensstand auch einige Gemeinsamkeiten: Bei der Osteoradionekrose kommt es als Folge der Strahlentherapie zu einer radiogenen Gefäßschädigung, die über Endarteriitis, Hyalinisierung und Thrombosierung zur Gefäßfibrose führt [Marx, 1983; Wangerin et al., 1986]. Kommt es demnach während und nach der Strahlentherapie zu einer Infektion durch eine lokale Eintrittspforte über operative Eingriffe, Extraktionen [Filippi, 1994], apikale und marginale Parodontitiden oder Prothesendruckstellen [Filippi, 1993], kann dies zu nicht heilenden Wunden führen. Die Infektion greift auf den vorgeschädigten Knochen über und kann sich dort ungehindert ausbreiten [Bornstein et al., 2001a und b]. Ein bedeutender Unterschied zwischen beiden Erkrankungen liegt aber in dem Verhältnis des Befalls der Mandibula beziehungsweise Maxilla. Die Mandibula ist bei der Osteoradionekrose im Gegensatz zur Bisphosphonat-assoziierten Knochennekrose deutlich häufiger betroffen als die Maxilla [Reuther et al., 2003]. In einer Übersichtsarbeit [Perrier & Moeller, 1994] betrug das Verhältnis der Häufigkeit einer Osteoradionekrose zwischen Mandibula und Maxilla 24:1, was an den fehlenden Kollateralgefäßen, der dichteren Knochenstruktur und der daraus resultierenden schlechteren Vaskularisierung des Unterkiefers zu liegen scheint. Bei der Bisphosphonat-assoziierten Osteonekrose kann die Maxilla bei bis zu 48 Prozent der Fälle betroffen sein [Farrugia et al., 2006].
Eine effektive Therapie der Bisphosphonat-assoziierten Nekrose der Kieferknochen ist bisher nicht bekannt. In den Fallserien wird immer wieder über Rezidive und Therapie-resistente Knochenareale berichtet, wobei das Therapiespektrum von konservativen Maßnahmen wie lang dauernder Antibiotikagabe, regelmäßiger Desinfektion der betroffenen Knochenareale oder Débridement der nekrotischen Oberfläche [Ficcara et al., 2005; Schirmer et al., 2005; Vanucchi et al., 2005] bis hin zu radikalchirurgischen Eingriffen wie Kasten- oder Kontinuitätsresektionen reicht [Ruggiero et al., 2004; Abu-Id et al., 2006]. Auch der Einsatz und Erfolg der hyperbaren Sauerstofftherapie (allein/in Kombination mit anderen konservativen Therapiemethoden oder adjuvant zu chirurgischen Eingriffen) ist in diesem Zusammenhang nicht geklärt [Migliorati et al., 2005b]. Im hier vorgestellten Fallbericht kam es nach Sequestrotomie im Oberkiefer zunächst auch zu einer Wundheilungsstörung mit Bildung einer oro-antralen Fistel. Diese konnte aber in einem Zweiteingriff plastisch verschlossen werden. Ob das Absetzen des
Bisphosphonates nach der ersten Operation hier zum Erfolg des Zweiteingriffes beitrug, kann nicht eindeutig beantwortet werden. In der Literatur wird der Einfluss des Sistierens intravenöser und auch oraler Bisphosphonatgaben auf die Therapieresultate bei manifester Osteonekrose als eher fraglich und ungewiss beschrieben [Migliorati et al., 2005b]. Ein Grund dafür könnte die lange Halbwertszeit (Jahre!) der Bisphosphonate im menschlichen Körper darstellen. Auf der Basis der ungewissen Resultate der konservativen und/oder chirurgischen Behandlung von Osteonekrosen wird von verschiedener Seite empfohlen, generell vor Beginn einer Bisphosphonatentherapie eine Zahnsanierung im Sinne einer Fokussanierung und auch danach regelmäßige dentale und stomatologische Kontrollen durchzuführen, um etwaige Knochennekrosen frühzeitig zu erkennen [Migliorati et al., 2005b; Abu-Id et al., 2006].
Die Osteoporose ist eine Knochenerkrankung, die durch eine Verminderung des Knochengewebes bei erhaltener Knochenstruktur und damit einhergehendem erhöhtem Risiko von pathologischen Frakturen charakterisiert wird [Fleisch, 2000]. Allein in den Vereinigten Staaten von Amerika sind mehr als zehn Millionen Personen über dem 50. Lebensjahr von einer Osteoporose betroffen, über 33 Millionen haben eine Osteopenie und gehören somit in die Risikogruppe potentieller Osteoporotiker mit den entsprechenden Komplikationen [Gass & Dawson-Hughes, 2006]. In der Therapie der Osteoporose werden Bisphosphonate, zusätzlich zu Kalzium- und Vitamin D-Präparaten, zur Verminderung des Frakturrisikos verschrieben. Drei verschiedene Bisphosphonattypen werden dabei typischerweise empfohlen: Alendronsäure (in der Schweiz als Präparat zugelassen: Fosamax, Tabletten zu 10 und 70 mg; Dosierung eine Wochentablette zu 70 mg oder eine Tablette zu 10 mg täglich), Risedronsäure (Actonel, Tabletten zu 5 und 35 mg; Dosierung eine Wochentablette zu 35 mg oder eine Tablette zu 5 mg täglich) und Ibandronsäure (Bonviva, Tabletten zu 150 mg; Dosierung eine Tablette zu 150 mg monatlich/am selben Datum jeden Monats). Im hier beschriebenen Fall nahm die Patienten seit etwa eineinhalb Jahren eine Wochentablette Actonel (35 mg) bei bekannter Osteoporose ein. Interessanterweise wurden die Osteonekrosen des Kieferknochens zunächst im Zusammenhang mit intravenös verabreichten Bisphosphonaten bei der Therapie Malignom-bedingter Osteolysen beschrieben [Marx, 2003 a und b; Melo & Obeid, 2005; Merigo et al., 2005]. Da bei diesen Patienten neben einer Bisphosphonatentherapie auch zytostatische Chemotherapeutika, Glukokortikoidgaben und auch tumorbedingte Anämien beziehungsweise Immunsuppressionen die Regel sind, wurde die Monokausalität der Bisphosphonate bei Osteonekrosen der Kiefer mitunter in Frage gestellt [Ruggiero et al., 2004; Schirmer et al., 2005; Abu-Id et al., 2006]. Immer mehr häufen sich aber Berichte über Kieferknochennekrosen bei chronischer oraler Bisphosphonatengabe, speziell bei der Osteoporose, aber auch bei Morbus Paget und anderen Osteopathien [Ruggiero et al., 2004;
Migliorati et al., 2005a; Farrugia et al., 2006]. Bedenkt man nun, dass die Alendronsäure das wohl am meisten verschriebene Bisphosphonat und auch eines der verbreitetsten Medikamente weltweit ist [Hellstein & Marek, 2005], könnte sich in Zukunft aus dieser Tatsache ein Problem von noch unklaren Ausmaßen für das Gesundheitswesen im Allgemeinen und auch die Zahnmedizin im Speziellen ergeben.
Der Zusammenhang zwischen einer medikamentösen Therapie mit Bisphosphonaten und dem Auftreten von Kieferknochennekrosen in der Mandibula und Maxilla, oft ausgelöst durch zahnärztlich-chirurgische Eingriffe, lässt sich anhand der Fülle neuer Literatur aus den letzten drei Jahren nicht mehr von der Hand weisen. Da die Therapie einmal aufgetretener Osteonekrosen langwierig, invasiv und mit einer fraglichen Erfolgsaussicht versehen ist, muss die Prävention verbessert werden. Hierzu könnte eine Einteilung der Patienten unter Bisphosphonattherapie in zwei Risikogruppen hilfreich sein [Abu-Id et al., 2006]:
Hochrisikopatienten mit intravenöser Bisphosphonattherapie und zusätzlicher Chemo-, Strahlen- oder Kortikosteroidtherapie
Niedrigrisikopatienten mit oraler Bisphosphonattherapie ohne begleitende Chemo-, Strahlen- oder Kortikosteroidtherapie
Besonders bei der ersten Gruppe sollte eine Zahnsanierung vor Therapiebeginn erfolgen, was eine Abstimmung zwischen Zahnärzten und behandelnden Onkologen nötig macht, wie dies bereits aus der Fokussuche und -sanierung vor geplanter Radio-/Chemotherapie im Kopf-Hals-Bereich oder potentiellen Transplantationspatienten bekannt und etabliert ist.
Bei der zweiten Patientengruppe mit oraler Bisphosphonattherapie ergeben sich für zukünftige zahnärztliche Therapien und Eingriffe einige ungelöste Fragen. Bisher galt nämlich beispielsweise eine Osteoporose nicht als Kontraindikation zur Implantattherapie [Baxter & Fattore, 1993; DAO et al., 1993; Buser et al., 2000]. In Zukunft
sollte eine Osteoporose, die medikamentös mit Bisphosphonaten zur Frakturprophylaxe behandelt wird, bei geplanter Implantattherapie eher als Risikofaktor gelten. Da es aber über Misserfolge und Komplikationen bei implantologischer Sanierung in diesem Zusammenhang noch kaum Daten gibt [Starck & Epker, 1995], sollten prospektive kontrollierte Studien zu diesem Themenkreis begonnen werden. Auch in der Parodontologie gilt es vor einem in der Forschung viel diskutierten Therapieansatz zu warnen, dem Einsatz von Bisphosphonaten zur Prävention und Therapie eines fortschreitenden Knochenverlustes bei aktiver Parodontitis [Tenenbaum et al., 2002; Reddy et al., 2003; Palomo et al., 2006]. Solange die Mechanismen und Zusammenhänge des Einsatzes von Bisphosphonaten und der Kieferknochennekrose nicht besser verstanden sind und auch erfolgreiche Therapieansätze bei manifester Osteonekrose fehlen, sollte auf einen klinischen Bisphosphonateinsatz zur parodontalen Therapie verzichtet werden. In der dentalen Traumatologie wurde wiederholt über antiresorptive Eigenschaften von Bisphosphonaten bei der Therapie avulsierter Zähne berichtet [Levin et al., 2001, Lutosa-Pereira et al., 2006]. Auch hier gilt, wie für die Parodontologie, dass unter dem derzeitigen Wissensstand von einem klinischen Einsatz der Bisphosphonate abgesehen werden sollte.
Zusammenfassung
In den letzten Jahren sind in der Literatur immer mehr Berichte über Nekrosen des Kieferknochens im Zusammenhang mit intravenös verabreichten Bisphosphonaten bei Malignom-bedingten Osteolysen (zum Beispiel Knochenmetastasen bei Mamma- oder Prostatakarzinom sowie hämatologische Neoplasien) veröffentlicht worden. Auch bei oral eingenommenen Bisphosphonaten zur Therapie/Prävention von Knochenfrakturen bei bekannter Osteoporose ist in letzter Zeit über Osteonekrosen der Mandibula und/ oder Maxilla berichtet worden. Therapeutisch haben sich diese Osteonekrosen des Kieferknochens als chirurgisch schwer beeinflussbar erwiesen, oft kommt es zu Rezidiven oder gar zur Progression der Erkrankung. Anhand eines Fallberichtes einer Bisphosphonat-assoziierten Knochennekrose der Maxilla bei einer Osteoporosepatientin soll die aktuelle Literatur zur Thematik aufgezeigt und diskutiert werden. Darüber hinaus soll auch auf offene Fragen sowie potentielle Probleme für den zahnmedizinischen Praxisalltag eingegangen werden.
Dr. Michael M. Bornstein, OA
Kaspar Oberli
Daniel Buser
Klinik für Oralchirurgie und Stomatologie
Zahnmedizinische Kliniken
der Universität Bern
Freiburgstrasse 7
CH-3010 Bern
michael.bornstein@zmk.unibe.ch
Edouard Stauffer
Institut für Pathologie
Universität Bern
Dieser Artikel erschien zuerst in der Schweizer Monatsschrift für Zahnmedizin, 116: 1035-1047 (2006), der freundlicherweise zum Nachdruck zur Verfügung gestellt wurde.
Literaturverzeichnis
Kommentar