Ankündigung

Einklappen
Keine Ankündigung bisher.

Mein Mann ist gestorben

Einklappen
Dieses Thema ist geschlossen.
X
X
 
  • Filter
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge

    #91
    Nun kam es anders als geplant. Nachdem ich einige liebe Einladungen für den Weihnachtsabend dankend abgelehnt habe weil ich alleine sein wollte, war ich es dann doch nicht. Ich habe eine Frau eingeladen, die aus anderen Gründen angeschlagen ist. Es kam nicht aus Mitleid füreinander zustande, wir haben uns dazu spontan entschlossen und es war ein gut gelungener Abend. Ein wenig seltsam war es in der letzten Woche, eine Art von Spannung in mir, die mich an die Kindheit erinnerte, da war ich voll Aufregung was ich bekommen werde. Das war die freudige Erwartung und jetzt befand ich mich am anderen Ende des Bogens , da, wo die Bangigkeit daheim ist, die Frage wie wird nur alles werden, was Gutes kann nicht kommen, eine ungute nervöse Anspannung war das und ein diffuses Gefühl, dem ich rational kaum beikommen konnte.

    Ich werde froh sein wenn jetzt bald der 2. Januar kommt, diese Wochen, die für sich alleine betrachtet schon sentimental sind, hinter mir liegen. Je älter man wird, desto mehr ist die Weihnachtszeit mit Erinnerungen an vergangene angefüllt und die meisten der für mich wichtigen Beteiligten sind leider tot. Es ist bestimmt anders wenn man Kinder und Kindeskinder hat.

    Dazu kommt die Musik, die anrührenden, oft ja auch rührseligen Geschichten die man liest, hört, sieht. Ganz alltägliche Kleinigkeiten sind Anlass zu Traurigkeit. Ein Bändchen, das um ein Geschenk gebunden wird, macht bewusst was man ohnehin weiß: nie mehr ein Geschenk für ihn einwickeln, nie mehr eines bekommen. Was für phantastische Pakete hat er mir immer geschickt, alles in edlem Papier mit schönen Bändern, liebevoll eingepackt, auf den kleinen Kärtchen witzige Kommentare.
    Oder ich kaufe goody goodies und sehe die Gartmann Kringel, die er jedes Jahr aus nostalgischen Kindheitserinnerungen wollte. Die Verpackung sieht aus wie vor hundert Jahren, die Schokolade schien mir auch immer aus dieser Zeit zu sein. Ich kaufe eine Packung für mich, kaue an den Kringeln mit weißen und roten Zuckerstreuseln herum und möchte am liebsten in den Karton heulen.

    Ich habe in meinem Tagebuch vom Vorjahr gelesen. Ab dem 20. Dezember schrieb ich fast zwei Wochen lang tagtäglich. Es klingt nun bestimmt merkwürdig, aber mir sind vor lauter Mitleid für diese zwei Menschen, nämlich Werner und mich, die Tränen gekommen. Man könnte sagen meine Güte, das ist pures Selbstmitleid, aber ich habe den Eindruck das drückt es nicht aus. Es ist in diesem Jahr viel geschehen, ich weiß nicht, ob es das trifft, aber ich habe es mit einer gewissen Distanz gelesen. Schwierig zu beschreiben, Nicht nur meine Situation ist ganz anders, auch die Frau die im Dezember 2013 las was sie 2012 geschrieben hatte, ist anders.

    Es war so schrecklich viel Kummer, Sorge, Angst, Mitleid, Verzweiflung, Hilflosigkeit und ja auch Traurigkeit. Die Befürchtung nicht so gut durchhalten zu können wie ich es möchte hat mich oft geplagt, Angst, dass mir der Atem ausgeht, die Liebe nicht reicht. Jetzt ist meine Sehnsucht, meine Trauer oft schlimm, auch schmerzhaft, aber die anderen echt bedrückenden Gefühle sind weg.
    Kann man das alles auf Waagschalen legen, es bewerten? Ich kann es nicht. Einmal finde ich, dass mein Leben jetzt nicht mehr so schwer ist, dann ist meine Sehnsucht wieder derart schmerzhaft, dass mir all das Bedrückende des letzten Jahres im Vergleich dazu gering erscheint, ich gerne das doppelte davon auf mich nehmen würde, hätte ich ihn nur wieder. Eine schwere Zeit liegt hinter mir, in einer schweren anderer Art befinde ich mich jetzt. Es ist halt wie es ist. Einmal so, dann wieder anders.

    Gestern nun ein Erlebnis, das ich eher witzig finde, andere vermutlich nicht. Ich habe mich mit Grabkerzen auf dem Weg nach Ohlsdorf gemacht, Hamburgs großer Friedhof, der fast mehr Park als letzte Ruhestätte ist, Werner und ich gingen zu jeder Jahreszeit dort gerne spazieren. Ich wollte zum Grab seiner Eltern und Großeltern. Auf der Fahrt dorthin habe ich in einem inneren Monolog seiner Mutter so richtig die Meinung gesagt und mir vorgenommen es am Grab nochmals zu tun, am Ende allerdings, weil Weihnachten ist und ich kein schlechter Mensch bin, wollte ich ein paar versöhnliche Worte sprechen. Dann habe ich das Grab nicht gefunden!

    Ich hoffe Ihr hattet es gut und fein. Es “fein” haben bedeutet in Österreich nicht, es edel, nobel, vornehm zu haben, sondern es angenehm haben, sich wohlig fühlen, daheim sein. “Fein sein, beinonder bleibn”…. heißt es in einem Lied. Daß Ihr es fein habt und beieinander bleiben könnt, das wünsche ich Euch von Herzen. Sowie auch sonst alles erdenklich Gute.
    Eure Briele

    Kommentar


      #92
      Ich war ein bißchen krank. Nicht sehr, aber doch so, dass ich Zuwendung und Aufmerksamkeit vermisste. Dank meiner Vorsorge war ja alles da, inklusive Hühnersuppe im Tiefkühler. Ich habe getan was mir die Vernunft sagt und darüber hinaus noch was mein Mann gesagt hätte. Aber es war keiner da, der mir eine Wärmflasche macht, einen Tee ans Bett bringt, mich bedauert, nach mir sieht und etwas unternehmen würde, wenn ich vielleicht einen Herzinfarkt erleide, oder einen Schlaganfall, irgend etwas in mir platzt, schreckliche Dinge passieren, die mich wehrlos machen.

      Schnell tat ich mir schon wieder leid, mittlerweile kennt man das ja, dabei dachte ich früher immer ich sei keine Jammersuse.

      Mir fielen die Menschen ein, die immer und ewig alleine leben und vor allem die, die schwer krank sind, anstrengende Therapien haben. Und dann stellte ich fest, dass dies alles Frauen waren und sind. Ich kenne keinen einzigen Mann der schwer krank ist und alleine lebt. Keinen einzigen. Weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit. Wahrscheinlich ist es Zufall, es leben halt insgesamt mehr Frauen alleine als Männer, aber seltsam ist es doch. Nun will ich aber nicht länger darüber grübeln, denn man könnte da ja auf kuriose Gedanken und Schlussfolgerungen kommen, die ich gar nicht zu Ende denken will.

      Nicht täglich, aber stets aufs Neue bin ich mit dem Alleinsein konfrontiert, mit dem alleine Leben - das trifft es besser. Es gilt nun Dinge zu bedenken, die mir früher gar nicht in den Kopf kamen. Manche davon sind wahrscheinlich bedenkenswert, andere vielleicht nur Bemühungen, Versuche um Sicherheit. Aber diese Art von Sicherheit ist dahin, dieses Urvertrauen das man hat, wenn man mit jemandem zusammen ist, der einem nur Gutes will, auf einen aufpasst, für einen da ist. Da sind jene, die glauben können: “man kann nie tiefer fallen, als in Gottes Hand”, wahrscheinlich besser dran.

      Ich unterhalte mich über das Thema mit anderen Frauen die alleine leben, zum Teil höre ich Nachahmenswertes, zum Teil Skurriles. Also die bereits erwähnte “Krankenhaustasche” werde ich demnächst vielleicht doch packen. Ich bin viel ordentlicher geworden, zeitweise fast schon pingelig, es kann ja jederzeit etwas passieren und fremde Menschen müssen in meine Wohnung. Jüngere sagen, das kann dir doch wurscht sein und genau dies dachte ich, als ich selbst jung war und Ältere darüber sprachen. Eine erzählte, sie würde nicht einmal mehr zum Briefkasten gehen ohne vorher die Herdplatte auszuschalten, die Kerze auszublasen, denn auf dem Hin- und Rückweg könnte ja etwas geschehen. Eine andere, und dies hat nun nichts mit dem alleine leben zu tun, sondern damit, immer auf Nummer sicher zu sein, also die benützt keinen Aufzug ohne vorher pischern zu gehen, weil es ja sein kann, dass man stecken bleibt.

      Ich werde herausdividieren müssen was für mich richtig und wichtig ist und ich will mich mehr an meine Eltern halten, die weitgehend furchtlos waren, sich blitzschnell neu orientieren konnten und nicht nur zuversichtlich waren, sondern dies auch vermitteln konnten.

      Heute hat mir jemand ein “Frohes Neues Jahr” gewünscht und mich anschließend gefragt ob es für mich in Ordnung sei, wenn man mir “Frohes” wünscht. Doch, das nehme ich sehr gerne als Wunsch an. Ich erinnere die Neujahrswünsche vor einem Jahr, wie meine Hand länger gehalten und geschüttelt wurde, die Blicke tiefer gingen. Und ich erinnere vor allem, dass Werner und ich einander zu jenem Jahreswechsel nichts mehr sagten, uns besonders lange und innig umarmten, da war viel Liebe und auch Wehmut.

      Briele

      Kommentar


        #93
        Liebe Briele,
        das Leben ist ein "Gefährliches", siehe Michael Schumacher, mehr braucht man dazu gar nicht sagen..

        Gruss,
        WJ

        Kommentar


          #94
          Zitat Wolfjanz:

          "das Leben ist ein "Gefährliches", siehe Michael Schumacher, mehr braucht man dazu gar nicht sagen.."

          Und endet immer tödlich.

          In jüngster Vergangenheit sind aus meinem unmittelbaren Bekanntenkreis Vier verstorben, darunter 3 Männer unter 60 Jahre an Herzinfarkt und eine Frau 62 J. beim Radfahren gestürzt, Schädeltrauma Exodus. Hat weder Staatsanwaltschaft, noch irgendwelche Medien etc., interessiert. Außer die Lebensversicherungsgesellschaft der gestürzten Frau interessierte sich für ihr Schicksal, da sie an die Hinterbliebenen nichts zahlen möchte.

          Gruß Helmut

          Kommentar


            #95
            Liebe Briele,

            ich lese lieber etwas über weniger traurige Abläufe, obwohl man auch als älterer Mensch über alle aktuellen Geschehnisse informiert sein sollte, damit die Hirntätigkeit nicht in's Stolpern gerät. Einem Leserbrief entnahm ich das folgende für alle Zeiten gültige Zitat:

            "Man kann geben, ohne zu lieben, aber man kann nicht lieben, ohne zu geben"
            (Amy Carmichael)

            Gruß Harald

            Kommentar


              #96
              Hallo, "Leben ist ein "Gefährliches" und endet tödlich.
              Wir wollen keine Risiken eingehen. Sicherheitsstreben gehört zu den wichtigsten Aspekten unseres Lebens.
              Doch das Leben ist immer lebensgefährlich, wie Erich Kästner in einem Silvestergedicht zu sagen weiß.
              Dort heißt es genau: " Wird`s besser? Wird`s schlimmer? fragt man alljährlich. Seien wir ehrlich: Leben ist immer Lebensgefährlich."

              Konrad

              Kommentar


                #97
                Lieber
                @Wolfjanz,
                @Helmut.a.g.
                @Harald_1933
                @kopro

                Danke für Eure Gedanken zum Thema Sicherheit. Es ist wohl wahr, das Leben ist gefährlich, endet immer tödlich und alt werden ist nichts für Feiglinge. Wenn der Partner weg ist, kommt eine neue Art von Schutzlosigkeit dazu, zumindest empfinde ich es so.

                Liebe Grüße und gute Wünsche
                Briele

                Kommentar


                  #98
                  Heute hätte mein Mann seinen 82igsten Geburtstag. Nun geschieht ja alles das erste Mal ohne ihn. Mir fällt nichts ein was ich heute Spezielles, ihm zum Gedenken, machen könnte. Denken tu ich so und so viel an ihn, ein Kerzchen zünde ich jeden Tag für ihn und meine Eltern an, und die Liebe, ja die wird irgendwie immer schöner. Unbeschwerter, klarer, auf eine seltsame Art sogar heller, leichter, oder vielleicht trifft das Wort “ätherisch” es besser. Ich kann mit meiner Liebe ja nun machen was ich will, habe das alleinige Sagen, bin nicht angewiesen auf Reaktionen. Merkwürdig ist das. In Ermangelung eines geeigneten Rituals habe ich jetzt halt zwei Stück Torte gekauft, die werde ich dann beide essen, das hätte ihn erheitert.

                  Im Winter des letzten Jahres dachte ich, dass er wohl nicht mehr lange leben wird. Nicht weil er sich dramatisch schlechter fühlte, der PSA Wert war mit Zytiga noch am Fallen, es war etwas anderes. Er begann mir zu entgleiten. Das hatte ich das erste Mal bei Mama erlebt. Körperlich war sie noch relativ gut drauf, hatte kaum Schmerzen, aber etwas wurde anders und es dauerte bis ich für diese völlig neue Erfahrung Worte fand. Sie zog sich nicht zurück, das war es nicht, sie ging nicht auf Abstand, sie entglitt mir. Meine Liebe, meine Zuneigung, mein Dasein, - ich - begann an Macht zu verlieren. Etwas bis dahin Unbekanntes, noch nie Dagewesenes war plötzlich um sie. Wenn ich sie umarmte, neben ihr auf dem Bett lag, mit ihr sprach war es nah und innig, aber das für mich Fremde war auch da, umgab sie. Und so war es dann bei Papa.

                  Dazu kam eine Veränderung im Gesicht. Nicht ständig, aber immer wieder meinte ich etwas Neues, Bedrohliches, Kantiges - vor allem im Profil - zu sehen. Alles so ein halbes Jahr vor dem Tod.

                  Als bei meinem Mann diese Phase begann, konnte ich etwas besser damit umgehen. Ich bemühte mich nicht so verzweifelt wie bei Mama den früheren Zustand wiederherzustellen, ich war nicht so verwirrt. Dafür begann ich schon früher mit dem Traurigsein, ich wusste Bescheid und die Zeichen zu deuten. Ich ließ ihn mehr alleine sein, aber ich war immer da.

                  Weder mit ihm, noch mit Mama oder Papa habe ich darüber gesprochen, gefragt ob sie das Fremde sehen, fühlen. Es wäre mir indiskret und nicht gehörig erschienen.

                  So wie ich scheute noch Fotos zu machen. Gedacht habe ich oft daran. Als Papa im Sterben lag, hatte ich sogar meine Kamera mit, ich wollte dass jemand unsere Hände fotografiert, wie seine in meiner liegt. Aber ich dachte dann, das gehört sich nicht. Und so gibt es von diesen drei Menschen keine Fotos ihres letzten Lebensjahres. Ich wollte nicht, dass sie denken, nun fotografiert sie, weil sie noch ein Bild will und vielleicht ist es das letzte von mir. Ich wollte diese Gedanken nicht in ihrem Blick sehen.

                  In meinem Tagebuch habe ich nachgelesen, dass ich tagelang vor und nach dem Geburtstag kleine Geschenke für Werner hatte und das Hauptgeschenk war ein neues Gerät das DVD’s und Videos ab- bzw. überspielen kann. Er hat sich dann auch sehr damit beschäftigt, wie er überhaupt in seinen letzten Jahren unheimlich viel vom Fernseher und Radio aufnahm. Auch Mama hatte fast täglich Musik auf Kassetten aufgenommen. Vielleicht ist es ein Zufall, vielleicht entspricht es dem Wunsch etwas festzuhalten was einem wichtig erscheint, ich weiß es nicht.

                  Hätte er letztes Jahr zu Weihnachten, zu Neujahr, zu seinem Geburtstag am liebsten geschrien, haltet die Welt an, ich will hier bleiben, ich will nicht sterben, ich habe Angst!? Möchte das jeder machen und tut es nicht um keinen zu erschrecken? Denkt man, es kommt wie’s kommt, da muß jeder durch, es wird schon nicht so schlimm werden, sterben müssen wir alle? Man weiß es nicht. Man könnte es nicht einmal über sich selbst sagen, man kann das nicht üben, ausprobieren.

                  Am Ende seines Lebens, sowie auch in den letzten Tagen meiner Eltern, hatte ich den Eindruck in Wirklichkeit nicht mehr gebraucht zu werden. Das hat mich jedes Mal erschüttert. Zugleich fand ich es tröstlich, dass nun etwas geschieht, der Sterbende in einem Zustand ist, in dem er nicht mehr bedürftig ist. Irgendwie in all dem Schrecken auch der Beginn einer anderen, neuen Freiheit. Ich fand diese Erfahrung auch tröstend was mein eigenes Sterben betrifft, denn für mich ist ja nun keiner mehr übrig, keiner mehr so wirklich da.

                  Ich höre oft …”wir können über alles sprechen”…., das kann ich auch über Werner und meine Eltern sagen. Aber für mich gab es dann einen kleinen Rest bei dem ich das Gefühl hatte, darüber soll und darf ich nicht zu sprechen beginnen. Die anderen schon, denen habe ich auch meine Bereitschaft signalisiert darüber, wie über alles, zu sprechen. Es ist nicht leicht, man möchte das Richtige tun und kann dabei nur sein Bestes geben.
                  Zweifel, dass dieses Beste von einem auch genügte, die bleiben immer.

                  Briele

                  Kommentar


                    #99
                    Hallo Briele,

                    du spürst, wie dein Herz ruhiger wird. Das ist gut. Weiterhin viel Kraft.

                    Winfried

                    Kommentar


                      Auch ich liebe Briele wünsche Dir gaaaaanz viel Kraft......und ein gutes neues Jahr 2014!!!
                      Daß mir der Hund das Größte sei , sagst Du als Mensch sei Sünde.
                      Der Hund ist mir im Sturme treu - der Mensch nicht mal im Winde.

                      Kommentar


                        Es geht mir recht gut! Ich habe verschiedene Hasstermine abgearbeitet, das alleine gibt ja immer ein Gefühl von Zufriedenheit. Doch es sind mehrere Dinge, die mir ein Gefühl innerer Besänftigung geben. Ich fühle mich nicht mehr so aufgerissen, insgesamt heiler.

                        Das Herz geht mir auf (eine Redewendung, trotzdem ist mir, als würde es sich tatsächlich mehr öffnen) wenn ich vor den Fotos meines Mannes stehe. Ich habe fünf ausgewählt, die ihn in den letzten 26 Jahren zeigen, so lange kannte ich ihn. Auf allen lächelt und lacht er mich an, sehe ich in sein offenes, freundliches Gesicht und ich fühle mich dann gut, möchte ihn herzen und kosen, flüstere ihm liebe Worte zu. Erinnere, wie ich sage, du siehst aber gut und fesch aus, und er meint, …n’alter, kranker Mann?… und ich antworte, … aber mein alter, kranker Mann!

                        Ich höre von grantigen, übellaunigen Menschen, die ständig alles Schwere vor sich her tragen, kein Geheimnis aus ihrer Eifersucht auf die Gesunden machen, und kapiere erst jetzt was für ein Glück ich da mit meinem Mann und meinen Eltern hatten. Vielleicht wussten sie aber auch, dass ich wohl einiges aushalte, mit so etwas aber schwer zurecht käme.

                        Manches gibt mir ein Gefühl von Dankbarkeit, da habe ich vorher gar nicht groß darüber nach gedacht. Zum Beispiel, dass wir uns füreinander entscheiden konnten, ohne dass ein anderer Mensch deshalb verlassen werden musste. Ich denke ich hätte das immer als Hypothek empfunden, aber bewusst ist es mir erst vor ein paar Tagen geworden.

                        Und richtig froh bin ich, nun auch wieder jede Nacht zu träumen und mich daran zu erinnern. Es sind nahe Begegnungen, witzige Begebenheiten, es ist manchmal traurig und es kann auch sehr, sehr gefährlich sein.

                        Aus heutiger Sicht denke ich, dass ich nun mit etwas Abstand meine Trauer betrachten kann. Das kann morgen schon wieder anders sein, es ist wirklich so, dass sich das Befinden von einer Sekunde auf die andere komplett ändern kann. Also wenn es so rasend schnell ist, dann hat sich die Trauer an einem, wie üblich ohne Vorwarnung, fest gebissen, umgekehrt geht es langsamer vor sich.
                        Es ist aber immer öfter, immer mehr für mich so, wie

                        Irmgard Erath schreibt:
                        …. Die Liebe hat sich gewandelt,
                        sie ist nun unendlich zart und doch so stark,
                        still, und dennoch voller Lebendigkeit.
                        Fern, aber in jedem Augenblick gegenwärtig;
                        Sie ist geheimnisvoll
                        und doch ganz klar,
                        rein und frei von allen Dingen dieser Welt.
                        Nun ist sie daheim, in der Geborgenheit des Herzens,
                        im Schutze der Erinnerung.
                        Unantastbar,
                        unbesiegbar
                        unverlierbar

                        Das ist das eine. Das andere ist, dass mir manchmal vorkommt als hängen nun Gefühlskabel lose an mir herunter, sie waren an Werner angeschlossen, wurden abgestöpselt und das fühlt sich gar nicht gut an.

                        Ich werde mir das nach und nach im einzelnen ansehen. Mit Werners Tod habe ich viel verloren, manches, was nach wie vor in mir ist, läuft irgendwie ins Leere. Was es im einzelnen ist werde ich für mich aufschreiben. Und dann überlegen ob ich das andere Ende irgendwo wieder anstöpseln kann, vielleicht inhaltlich umzupolen ist, weiß der Geier wie, wo, wann. Vielleicht brauche ich nicht mehr alles? Und dann werde ich mich einfach damit abfinden müssen, dass Manches für immer dahin ist, es nicht mehr geben wird. Es gibt ja viele Abschiede in einem Leben und jeder ist dann wie ein kleiner Tod.

                        Briele - mit lieben Grüßen an alle die hier lesen.
                        __________________________________________________ ___

                        Liebe @Sabine und
                        Lieber @Winfried,

                        Vielen Dank für Euren Gruß, die guten Wünsche, über die ich mich freue und die ich auf das herzlichste erwidere.
                        Alles Liebe - Briele

                        Kommentar


                          Angeregt durch meinen Nachbarthread denke ich über “die Liebe” nach. Ich habe dort eine etwas flapsige Bemerkung über den “zweiten Frühling” gemacht, das tut mir leid.

                          Ich denke nach über die Facetten die es gibt, wie verschieden allein ich die Liebe erlebt habe, wie man sie verkennen, nicht erkennen kann, wie erfreulich, wie dramatisch sie sich wandeln kann. Manchmal bringt Einsamkeit, auch Verzweiflung den einen zum anderen, dann ist es der Sport, ein Hobby, eine Kontaktanzeige, dann denkt man jetzt ist es die echte große Liebe, aber es waren doch hauptsächlich die Hormone.

                          Das mag klein klingen, vielleicht empfindet man es selbst mickrig und doch kann daraus was wirklich Tolles entstehen. Und umgekehrt geht es genauso leicht den Bach hinunter. Die große seelische Übereinstimmung, was hat man darauf gehofft, man meint das Du gefunden zu haben, sieht großzügig über alles Mögliche hinweg, aber eigentlich kann der Mensch nur gut zuhören, oder hat ein seelenvolles Auge, oder zärtliche Hände, eine gute Schreibe, was weiß ich, aber sonst passt eigentlich nichts und dann ist es halt doch zu wenig.

                          Und dann, diese tief empfundenen Lieben, die ganz ohne Erotik sind und trotzdem ist man sich gerne körperlich nahe, findet Berührungen, Umarmungen angenehm. Die weichen warmen Lippen meiner Mama, Papas glatte, nass rasierte Wange, darunter sein Nikotinschnurrbart, die festen Arme meines Bruders, meine Neffen, die nicht mehr so gerne schmusen, aber sich an mich lehnen, wenn wir nebeneinander sitzen. Ich liebe sie und ich liebe meine Freundinnen, ich fühle Liebe für Männer fern jeder Sexualität, und es ist grandios, dass man mit dem Gefühl nicht haushalten muß, man ganz verschwenderisch damit umgehen kann und wenn man das tut, dann wird an allen Ecken und Enden irgendwie mehr daraus.

                          Was ist wichtiger: zu lieben, oder geliebt zu werden? Selten ist es ja konstant fifty fifty.

                          Wenn ich an die Liebe zu meinem Mann denke, dann fällt mir immer als erstes eine der langen Bahnfahrten auf dem Weg zu ihm ein. Da kannte ich ihn ca. zwei Jahre und ich war mit meiner Reiselektüre schneller fertig geworden als gedacht. Nun saß ich da, ließ meine Gedanken laufen und stellte etwas überrascht fest, dass ich nie in ihn verliebt war. Unsere Annäherung war eine langsame gewesen, von Anfang an fand ich das Zusammensein mit ihm angenehmst, ich fühlte mich immer wohl mit ihm und so ging es ihm mit mir. Also dies aufgeregt Exaltierte, das unruhig Nervöse, dieser Zustand, in dem man kaum an etwas anderes denken kann, all dies war mit Werner nicht. Aber ich vermisste es nicht! Es tat gut, in Ruhe und konzentriert ein Buch auf der Reise lesen zu können, festzustellen, aha, Kassel-Wilhelmshöhe, nun nicht einmal mehr ein Drittel der Fahrtdauer, ich freute mich so auf ihn und manchmal fuhr er mir entgegen, saß ab Hannover plötzlich neben mir.

                          Einmal fuhr er mit dem Nachtzug von Hamburg nach Wien und am selben Abend wieder zurück. Er wollte mir etwas Wichtiges von Angesicht zu Angesicht sagen und als ich beeindruckt war meinte er, warum, so etwas macht doch jeder Fan für seinen Fußballclub.

                          Und von Woche zu Woche, Jahr zu Jahr, von Brief zu Brief, liebte ich ihn tiefer, inniger und am Ende auch verzweifelt.

                          Anderes Thema: ich habe es mir verkniffen hier über Bücher zu schreiben die ich lese. Aber nun möchte ich doch einen Titel einfügen:

                          “In die Sonne schauen - wie man die Angst vor dem Tod überwindet” von Irvin D. Yalom. Es gibt in diesem Buch auch die üblichen “Fallbeispiele” auf amerikanische Art, aber man kann diese ganz gut lesen. Wirklich gut finde ich seine Reflektionen und wichtig waren für mich die Zitate großer Philosophen, auch Texteinfügungen und ich werde nun gerne mehr bei Epikur, Schopenhauer, Nietzsche nachlesen. Es scheint leider kein Buch zu geben, in dem zum Thema “Sterben, Tod, Trauer” man die Texte der Philosophen zusammengestellt hat, also muß man einzeln nachschlagen. Oder kennt jemand so eine Sammlung?

                          Liebe Grüße und gute Wünsche
                          Briele

                          Kommentar


                            Liebe Briele,

                            konnte jetzt nicht wieder einschlafen und habe dies gefunden.

                            Liebe Grüße

                            Kommentar


                              Eben war doch noch alles gut gewesen und von ja auf nein schon wieder anders. Ich saß mit einer großen Tasse Kaffee vor einem großen Kreuzworträtsel und bin von einer Sekunde auf die andere in Tränen ausgebrochen. Es gab eine Zeit, lang ist es her, da hockten Werner und ich manchmal eng nebeneinander bei einem Kreuzworträtsel und haben uns gut ergänzt. Und jetzt, ich weiß gar nicht mehr genau was es war, vielleicht wusste ich nicht wie die siebte Frau Mohammeds hieß, oder irgendein Fluß, auf jeden Fall fehlte das Wort und mein Werner.

                              Er fehlt mir so. Er fehlt mir so sehr, dass es weh tut. Und wenn das so ist, dann erscheinen mir meine good times, the rolling ones, über die ich doch meine mich freuen zu können, als Larifari, reine Selbsttäuschung, selbst initiierter Lug und Trug.

                              Warum breche ich über einem Kreuzworträtsel in Tränen aus? Weil es eine Facette, eine Kleinigkeit ist, über die ich seit seinem Tod noch nicht nach gedacht hatte? Will jede kleine Sache eine Form von Würdigung erfahren, indem ich ihrer bewusst werde, es betrauere, mich verabschiede? Das ging ja noch, aber wenn ich einmal auf dieser Schiene bin, kommt regelmäßig eines zum anderen und es geht wieder bergab, bergab, bergab.

                              Briele
                              __________________________________________________ ___

                              Lieber Harald,
                              Danke für den feinen Link, ich habe schon einige Male in diesen Seiten gelesen.
                              Herzliche Grüße Briele

                              Kommentar


                                Liebe Briele,

                                wie kommt mir das bekannt vor. Im letzten Jahr habe ich einen Film über die Huber-Brüder, die Extrembergsteiger, gesehen. Der hat mich von einem Moment auf den anderen dermaßen aus der Bahn geworfen und zum Weinen gebracht, daß ich eine Reise um einen Tag verschieben mußte. Nie wieder werde ich mit meinem Bruder wandern können! Es ist nicht zu fassen.

                                Nicht daß ich mit meinem Bruder annähernd solche Klettereien gemacht hätte, wir haben eher Touren durch die Cinque Terre gemacht. Egal. Diese Touren werden nie, nie wieder so stattfinden - ich war letztes Jahr eine Woche allein dort, es war eine unser gemeinsamen Lieblingsgegenden. Es war so schön wie immer, durchaus möglich, daß ich wieder einmal hinfahre, aber das nicht mehr mit ihm gemeinsam haben zu können...

                                Ich wünsche Dir alles Gute und danke Dir für die großzügige Einladung, Deinen Thread für Berichte wie diesen mit zu nutzen.
                                Gruß, Rastaman

                                Kommentar

                                Lädt...
                                X