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Mein Mann ist gestorben

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    Lieber Rastaman,

    um keine Zeit bis zum Lesen des Buches von Erich Fromm zu verlieren, ist es möglich, es hier zu lesen.

    "Nur weil dich jemand nicht so liebt, wie du es dir wünschst, heißt das nicht, dass er dich nicht mit ganzer Seele liebt"
    (Gabriel Garcia Màrquez)

    Herzliche Grüße Harald

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      Lieber Harald,

      hey - klasser Spruch vom Màrquez - Danke!
      Liebe Grüße von der Briele

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        Zitat von Briele
        Es liebt sich wirklich um vieles freier und auch schöner wenn man aufhört zu befürchten man könnte sich etwas “vergeben”, oder sich in eine schwache Position bringen, wenn die Soll und Haben Rechnung nicht ausgeglichen ist.
        Liebe Briele,

        reife Liebe kennt keine schwache Position. Da gibt es kein Soll und Haben. Da gibt es nur ein Miteinander. Ich möchte aber dieses meist heftig umstrittene Geschehen um alles, was die Auslegung des Wortes Liebe betrifft, verlassen und zu einem neuen Blickwinkel überleiten, nämlich auf besondere Erinnerungen im Leben eines Menschen im Zusammenhang mit bestimmten Melodien resp. Kompositionen. Als mit der Stadt Hamburg vertraut, wird es Dir vielleicht auch leicht fallen, meinen Erläuterungen bzw. Recherchen problemlos folgen zu können.

        Meine sehr junge Mutter, sie war knapp 18 Jahre alt, als ich geboren wurde, war eine leidenschaftliche Tänzerin, und ich durfte sie manchmal zum Nachmittagstanztee begleiten. Sie putzte mich dann immer ganz besonders fein mit dem damals favorisierten Matrosenanzug heraus. Lateinamerikanische Rhythmen bzw. Tänze wurden von meiner Mutter bevorzugt.

        Vielleicht, liebe Briele, hat Du ja Deinen Werner auch bei einer Tanzveranstaltung kennen gelernt?

        Nun gab es damals das im Bieberhaus am Hamburger Hauptbahnhof befindliche Tanzlokal „Dreyer`'s Ahoi“. Lies auch bitte diese Info.

        Das „Bieber-Cafe“ wollte zum Beispiel das größte und schönste Kaffeehaus Hamburgs sein; das „Dreyer`’s Ahoi“ ist unvergessen.

        Und in diesem „Dreyer`’s Ahoi“ spielte auch längere Zeit der legendäre Juan Llossas. Bitte hier lesen.

        Natürlich war das das Signal für meine Mutter dort öfters mit mir als Beobachter und Zuhörer zu erscheinen. Meist glaubten die damaligen Besucher wohl einen Jungen mit seiner großen Schwester erkannt zu haben. Und wenn dann dort von Juan Llossas der von ihm komponierte "Tango Bolero" erklang, hatte auch mich diese schöne Musik tief ergriffen und tut es auch heute noch.

        Zitat von Dagmar Fischer
        An den Tangokönig und Wahlhamburger Juan Llossas erinnern auch immer noch die ersten Takte seines weltberühmten "Tango Bolero": Sie sind auf seinem Grabstein auf dem Ohlsdorfer Friedhof eingemeißelt.
        Leider ist es mir nicht gelungen, an Originalbilder von den damaligen Räumlichkeiten zu gelangen. Heute residiert dort das "Ohnsorg-Theater" Bitte hier lesen.

        Natürlich habe ich von den vielen von Juan Llossas komponierten Tangos Originalaufnahmen. Bei den nachfolgenden Versionen des "Tango Bolero" handelt es sich um relativ gut gelungene Aufnahmen mit meist passendem und wechselndem Bildhintergrund.





        Ich würde mich freuen, liebe Briele, das ist Dein Thread, von Dir etwas zu den Anfängen Deines Lebens mit Werner lesen zu dürfen.

        P.S.: Meine Frau habe ich übrigens heute vor fast 40 Jahren abends in einer Schulpause eines Stenografie-Lehrganges in englischer Sprache in meinem damaligen Mannheimer Stammcafe kennen gelernt.

        "Jede Naivität läuft Gefahr, lächerlich zu werden, verdient es aber nicht, denn es liegt in jeder Naivität ein unreflektiertes Vertrauen und ein Zeichen von Unschuld"
        (Joseph Joubert)

        Herzliche Grüße

        Harald

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          Lieber Harald,

          Danke für Deinen Beitrag. Ich selbst bin vielleicht noch nicht ganz fertig mit der Liebe, kann ja aber trotzdem noch den einen oder anderen Monolog folgen lassen, nicht?

          Nein, meinen Werner hätte ich nie und nimmer auf einer Tanzveranstaltung kennenlernen können, es ist gut möglich, dass er überhaupt nie in seinem Leben getanzt hat, ich weiß es nicht.

          Nun schreibst Du: “ich würde mich freuen, liebe Briele, das ist Dein thread, von Dir etwas zu den Anfängen Deines Lebens mit Werner lesen zu dürfen.”

          Dazu, lieber Harald, möchte ich gerne etwas sagen, nicht zuletzt weil ich vor kurzem von einem User eine p.N. erhielt, der mich darauf aufmerksam machte, dass meinen Berichten ein Element fehlt, und ich fast ausschließlich über meine Gedanken und Empfindungen berichte. Es fehle als wesentlicher Bestandteil die Gedankenwelt meines Mannes, seine Auseinandersetzung mit der Krankheit, der Verlauf, die Hoffnungen, Enttäuschungen. All dies wären wichtigen Themen in einem Krebsforum.

          Nun fragst Du mich nach den Anfängen meines Lebens mit meinem Mann.
          Das Interesse an meiner Person, an der meines Mannes ist ja lieb und bevor ich als undankbare Kröte erscheine, möchte ich zu dem Thema etwas sagen:
          (nachstehend ein Auszug aus meiner Antwort an den User)

          Liest und beurteilt man den thread wie ein Buch, dann könnte man in der Tat sagen, dass man gerne mehr über den Menschen wissen möchte um den es im wesentlichen geht, dass ein Teil fehlt. Aber es geht hier hauptsächlich um meinen Verlust und wie es mir seit seinem Tod ergeht. Das ganze Auf und Ab. Es ist eine Art von Selbsttherapie und ich werde dabei von Euch unterstützt, Ihr helft mir und dafür bin ich sehr, sehr dankbar.

          Mein Mann hat nie in einem Forum geschrieben, kaum gelesen. Zu Beginn meines Schreibens hier habe ich mich manchmal gefragt was er wohl dazu sagen würde. So eine Art von Selbstdarstellung wäre im fremd gewesen, das weiß ich, aber er hätte gesagt, wenn es dir gut tut, dann mach es.
          Wenn ich hier über die Eigenschaften meines Mannes schreibe, dann erfährt man etwas über ihn. Es ist dann dies, wovon ich mir sicher bin, dass es für ihn in Ordnung wäre. Aber alles andere - nein! Tut mir leid, auch wenn ich meine geneigten Leser enttäusche.

          Und nun werde ich mich durch Deine Links lesen und hören.

          Eben fällt mir ein, dass ich mich in England einmal in einem Kurs mit Pitman shorthand geplagt habe. Als ich wieder zurück nach Österreich kam, war ich erstaunt, dass man das deutsche Steno relativ einfach nehmen kann, es phonetisch abstimmt mit der englischen Sprache, wirklich eine tolle Methode.

          Wenn man so lange verheiratet ist wie Du, dann hat man bestimmt jede Menge Jahres- und Erinnerungstage.
          Ich wünsch Dir was - alles Liebe und Gute.
          Briele

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            Im Bus saß ich heute hinter einem alten Mann und einem kleinen Jungen.
            Sie gehörten nicht zusammen. Es gab aber etwas an ihnen, was ähnlich aussah, was jedes kleine Kind und fast alle alten, sowie sehr kranke Menschen in dieser Art haben. Ich meine den “Nacken”.
            An kleinen Kindern ist alles zart, weich, schutzbedürftig, an dieser Körperstelle empfinde ich es besonders ausgeprägt.

            Daß es bei alten Menschen wieder so wird, habe ich zum ersten Mal bei meinem Papa bemerkt. Es war vielleicht ein Jahr vor seinem Tod, er war im Krankenhaus und ich schob ihn in einem Rollstuhl ins Freie wo er rauchen wollte. Als ich auf ihn hinunter blickte, sah ich diesen zart gewordenen Nacken, darüber das Haar, plötzlich auch dünn und fein . Nun war ja eigentlich der ganze Mensch in seinem Zustand ein beklagenswertes Bild des Jammers, doch wie angreifbar, wie hinfällig mein starker Papa geworden war, erfasste ich in dem Moment, in dem ich auf seinen Nacken blickte, der mir ans Herz ging. Während er seine Zigarette rauchte, habe ich dann leicht meine Hand dorthin gelegt. Er sagte nichts, doch als er fertig geraucht hatte, küsste er meine Hand und meinte, das hat gut getan, danke.

            Mein Mann hat auch diesen zarten, verletzlich aussehenden Nacken bekommen, in der Mitte, sowie rechts und links mit stets tiefer werdenden Kuhlen. Die Veränderung an dieser Körperstelle habe wohl nur ich mitbekommen. Es hat mich unglaublich angerührt und ich habe oft meine Hand hingelegt, ihn da geküsst.

            Es ist schrecklich, dass wir Menschen, die wir lieben, nicht beschützen, nicht retten können.

            Rechne ist das letzte Trauerjahr dazu, so sind es jetzt 17 Jahre, in denen praktisch alle paar Monate irgend etwas Bedrohliches, Angstmachendes in der Familie, bei den mir liebsten Menschen, bei Freundinnen und Freunden passierte: Diagnosen, Operationen, Therapien, Kranksein. Elendsein, Kummer haben, Sterben, Tod, Trauer. Auch erschöpft, müde, kaputt sein. Das Entsetzen war natürlich nicht nonstop, es gab auch Fröhlichkeit, aber im Laufe der Zeit ist mir die Leichtigkeit des Seins ziemlich flöten gegangen, war ich innerlich meistens auf Zack um den nächsten Schlag dadurch vielleicht gewappneter parieren oder eben hinnehmen zu können.

            Ehrlich gesagt bin ich manchmal erstaunt nicht viel angeschlagener, verletzter, in mancher Hinsicht auch nicht mehr durchgeknallt zu sein, als ich bin. Ich schreibe diese doch relative Unversehrtheit (so genau weiß man es ja nie) nur zu einem kleinen Teil mir selbst zu, dass ich einigermaßen stabil bin, kann ich im wesentlichen meinen Lieben verdanken. Sie haben es mir meistens leicht gemacht und wenn es nicht so war, dann konnten sie nicht anders, am Wollen hat es nie gelegen.
            Es lag auch an ihrer Wesensart, die freundlich, lieb war, was ja nicht jedem gegeben ist, und halt daran, dass sie mich gern hatten.

            Passt gut auf Euch und die Euren auf! Das Quentchen Glück das man auch braucht, damit alles gut bleibt, wünsche ich allen.
            Briele

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              Liebe Briele und alle Mitleser,

              wieder mal eine Buchempfehlung. Ich bin meistens skeptisch bei allzu euphorischen Besprechungen, aber diese hier aus dem KulturSpiegel haut hin



              Schon der Titel ist zum Niederknien, selbst wenn der engl. Original-Titel ganz anders ist, die Einstufung als Jugendbuch ist, trotz der jugendlichen Protagonisten, Hhm, schräg, und es ist eins der seltenen Bücher, die gleichzeitig todtraurig und saukomisch sind.

              Wer es zu lesen erwägt - nicht die Zusammenfassung in Wikipedia lesen!
              Gruß, Rastaman

              Kommentar


                Lieber Rastaman,

                Ein Buch, todtraurig und saukomisch zugleich, kann es so etwas wirklich geben? Da springe ich gleich darauf an.

                Ich bin gestern Abend damit fertig geworden, ich habe dann ein zweites Mal die euphorische Besprechung der Spiegelredakteurin gelesen. Es stimmt jedes Wort, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Und es ist mir auch so ergangen, dass ich mit jeder gelesenen Seite mehr den Wunsch hatte mit Hazel Grace, Augustus Waters und mit Isaac befreundet zu sein.
                Danke!

                Liebe Grüße Briele

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                  Ich habe nun ein paar Tage in einer Art Klausur verbracht. Der erste Todestag meines Mannes; sind für mich drei Tage: Am 21.5. des Vorjahres hatte er einen recht guten Tag, den wir gemeinsam ganz intensiv erlebten und ich konnte mir zwischendurch vorstellen, dass wir noch einen Sommer haben werden. Am Morgen des 22.5. begann er mit seinem Sterben und am frühen Nachmittag des nächsten Tages, am 23. Mai war er damit fertig.

                  Der Gedanke, diese Tage zurückgezogen, auf äußerlich sehr karge Art, verbringen zu wollen, kam mir vor ein paar Wochen und es fühlte sich gleich richtig an.
                  Ich hatte keinen Plan wie das ablaufen soll, nur die Vorstellung es intuitiv machen zu wollen, kommen zu lassen, was kommt.
                  Die drei Tage habe ich vielschichtig erlebt: einsam, in innerer Unruhe, verwirrend, sentimental, von Sehnsucht durchzogen, mit Anflügen von Selbstzweifel, Irritationen. In der ersten Nacht überkam mich ein schrecklich trostloses Gefühl von Verlassenheit, das in eine Panikattacke mit Herzrhythmusstörungen mündete, und ich dachte schon daran dieses Experiment abzubrechen, mich wieder der Welt an die Brust zu werfen. Aber mitten in der Nacht will man die Welt draußen nicht erschrecken, ich blieb für mich, mit dem Morgen wurde es auch in mir heller und von da an war ich mit mir besser im Einklang, fühlte Liebe, Dankbarkeit, innige Verbundenheit mit Toten, mit Lebenden, hatte zeitweise das Gefühl mich selbst in tiefsten Schichten zu erleben, insgesamt eine ganz seltsame Erfahrung. Manchmal dachte ich, warum tu ich mir das an, dann wieder, am liebsten würde ich in dieser Art von Verpuppung bleiben. Nun aber habe ich den Eindruck stärker, sicherer, auf eine wunderbare Art geläutert, daraus hervor gegangen zu sein. Als unerwartete Zugabe fühle ich den stabilen Kern, den meine Eltern mir gegeben haben und der mich bis jetzt recht gut durch mein Leben begleitet hat besser, bzw. bin ich mir seiner wieder bewusst geworden.

                  Was habe ich getan und was nicht? Ich habe nicht telefoniert, keine Mails geschrieben, hatte keinerlei Kommunikation mit anderen, nicht ferngesehen oder Radio gehört, war so gut wie nie beim Laptop, mich keinen ablenkenden Gedanken hingegeben, habe mich mit keinem Menschen getroffen, ganz wenig gegessen. Mit einer gewissen Leere im Bauch kann man besser denken und ich habe so intensiv wie noch nie über uns nachgedacht, darüber, was wir beide gut gemacht haben, was besser sein hätte können. Und über mich, meine Zukunft, Pläne, Wünsche, Ängste. Wie meistens in meinem Leben weiß ich haargenau was ich nicht will, aber dieses Wissen alleine bringt mich auch nicht wirklich weiter. Über seine lieben Eigenschaften habe ich nachgedacht; manche erschien mir zu seinen Lebzeiten selbstverständlich. Zum Beispiel, dass er so gut zuhören konnte. Nicht nur freundlich wohlwollend, sondern mit echtem Interesse, ganz zugewandt, er hat Zwischenfragen gestellt, nachgehakt und mir insgesamt das Gefühl gegeben als seien meine Geschichten (und somit ich) wahnsinnig interessant. Ich habe Fotos angesehen, Gedächtniswege gemacht, sogar im Altonaer Museum die Arno Schmidt Ausstellung besucht (zu der er, wenn es denn hätte sein müssen, wahrscheinlich auch hingekrochen wäre), Musik die ihm wichtig war gehört, in seinen Lieblingsbüchern geblättert. Mir wurde erst jetzt bewusst, dass die zwei Kosenamen die er für mich hatte, ich nie wieder hören, die ich für ihn hatte, ich nie mehr in meinem Leben sagen werde. Ich bin in die untere und obere Welt gereist, das habe ich schon länger nicht mehr getan, aber es funktioniert noch immer.

                  Meinen thread habe ich noch einmal durchgelesen, sowie mein Tagebuch.
                  Am 21. Mai hatte ich in der Nacht unter anderem geschrieben:

                  …….Er ist herzzerreissend traurig. Seine Traurigkeit schmerzt mich mehr als meine eigene. Heute sagte er, er müsste nicht so traurig sein, wenn ich nicht so lieb wäre. Dabei füllten sich seine Augen mit Tränen, ich habe ihn umarmt, in sein Ohr geflüstert, soll ich sofort ein bißchen garstig werden, wir konnten dann ein klein wenig lächeln und er sagte, niemand und nichts bringt mich so oft zum Lachen wie du. Ich habe den Eindruck er begreift jetzt nicht wirklich was mit ihm passiert. Es wird wegen der Medikamente sein. Ganz vorsichtig versuche ich sein Sterben anzusprechen komme mir dabei schnell übergriffig vor und lasse es dann auch. Es ist ja sein Sterben.
                  Er hat eher schwer gelebt. Ich hätte ihm mehr Leichtigkeit gewünscht, vielleicht konnte ich ihm von meiner, zeitweise vorhandenen, etwas abgeben. Es heißt, man stirbt s
                  o wie man gelebt hat. Ich hoffe ,daß dies für ihn so nicht stimmt, daß er leicht sterben wird können, eine gute Sterbestunde hat…….

                  In den letzten 12 Monaten habe ich ihn in tausend Erinnerungsbildern gesehen, wieder und immer wieder. Den toten Werner, dieses Bild mußte ich eher herbeiholen. Aber nun, in diesen drei Tagen war mir mein toter Mann öfter präsent. Ich sah ihn da liegen, mich daneben sitzen und stehen. Er, erlöst, gelöst, ich, komplett erschöpft, einfach fertig, und ich weiß, ich konnte damals kaum fassen, dass er gestorben war, obwohl ich es doch auch gewünscht hatte. Nun tatsächlich das passiert war, was er und in der Folge ich, schon mehrere Male befürchtet hatten, dass es bald eintreten wird, aber dann doch immer wieder gut ausgegangen war. Und jetzt war es wirklich geschehen. Das waren so Bilder, da wurde mir ganz schwer ums Herz. Ich habe sie zugelassen, aber ich habe mir auch gesagt, nu iss gut, weder er noch ich müssen das erneut durchleben. Und ich hatte ganz viele Bilder aus unseren ersten Jahren im Kopf, als nicht nur meine Welt mit ihm, sondern meine Welt insgesamt heil war, weil all meine Lieben noch lebten. Nie zuvor war mir so bewusst gewesen wie er ganz schnell und selbstverständlich Entschlüsse gefasst, Veränderungen in seinem Leben vorgenommen hat, als wir uns füreinander entschieden hatten. Es ist ihm bestimmt nicht alles leicht gefallen und ich muß zu meiner Schande gestehen, dass ich den Fokus oft mehr auf Dinge gerichtet habe, die nach meiner Meinung anders hätten sein können. Aber dann, auch ich habe etliche Kompromisse gemacht und nicht jeder ist mir leicht gefallen.

                  Ich habe in mir aufgeräumt. Freiräume geschaffen. Für meinen Mann habe ich - bildlich gesprochen - einen Raum eingerichtet. Da ist er nun, da wird er bleiben solange ich lebe, da habe ich auch die Kosenamen hin gepackt und da kann ich ihn immer besuchen.
                  So wie es für meine Eltern ja auch einen derartigen Raum gibt. Bei Kränkungen, Verletzungen, Kummer, Enttäuschungen kann ich dorthin und erfahre Trost.
                  Er ist mir nahe. Ich liebe ihn. Unsere gemeinsame Geschichte ist abgeschlossen. Er ist tot.

                  Ich lebe und möchte gerne gut weiterleben. Dies nicht zu wollen, nicht zu versuchen, mich nicht darum zu bemühen, wäre töricht. Es gibt mehrere Dinge auf die ich mich freue, oder neugierig bin, z.B. auf die Sommerwochen in dem Bergdorf, wie werde ich das Leben und mich dort ein Jahr später erleben? Werde ich nach Wien fahren wollen? Im Herbst beginne ich in Hamburg mit einer einjährigen Ausbildung zur Trauerbegleiterin, darauf freue ich mich. Ich habe so etwas schon zweimal begonnen; einmal war es mir zu katholisch ausgerichtet, das zweite Mal zu esoterisch. Nun kenne ich die Leute, die Einrichtung und habe ein sehr gutes Gefühl. Ich werde mir noch andere Dinge ausdenken, ausprobieren, ich werde versuchen mir Wünsche zu erfüllen und die von anderen, möchte offen sein und bleiben. Ich habe den Eindruck mein Blick ist wieder schärfer, ich insgesamt entschlossener. Mir ist aber auch klar geworden, dass ich auf mich aufpassen muß. Ich bin durch die lange Zeit der Sorgen und des Kummers, der vielen Verluste, um einiges heftiger angeschlagen als ich meistens meine, bzw. recht empfindsam, um nicht zu sagen empfindlich geworden. Momentan habe ich aber den Eindruck wieder viel von meiner Stärke zurück gewonnen zu haben.

                  Ich habe im letzten Jahr nicht nur getrauert, ich habe mich auch mit der Trauer an sich beschäftigt. In einem Buch habe ich die Frage gelesen, wie sieht deine Trauer aus? Welche Gestalt hat sie, was hörst du von ihr, ist etwas zu riechen?
                  Schon seit Mamas Tod habe ich drei Bilder: einmal die gefährliche, gemeine Bestie, die mich ohne Vorwarnung von der Seite anspringt, sich an mir festbeißt. Dann gibt es ein gesichtsloses Wesen in dunkle Lumpen gehüllt, das in einer Ecke kauert und auf mich wartet. Beide haben an Volumen und Kraft beträchtlich verloren. Schließlich, und wie gut, dass es auch immer etwas Schönes gab, sind da Arme, die mich tröstend, liebevoll, zärtlich umfangen. In die kann ich immer flüchten, egal was passiert, die werden immer für mich da sein, das ist mir in diesen drei Tagen auch klar geworden und gibt mir ein Gefühl von Schutz und Sicherheit. Und so bastle, konstruiere, phantasiere ich mir allerlei zusammen, erlaube mir das auch, um aushalten zu können, dass diese drei Menschen und ja auch andere, nicht mehr da sind.

                  Ein Jahr ohne meinen Mann ist vorbei, alles ist das erste Mal nun ohne ihn geschehen. Es geht mir mittlerweile besser als ich je zu hoffen gewagt hätte. In den letzten Monaten habe ich hier immer wieder erzählt was ich hilfreich fand. An erster Stelle, das Wichtigste, war für mich das Schreiben in diesem thread, Eure Antworten, hier und per p.N., Euer Trost. Ihr könnt Euch nicht vorstellen welche Bedeutung dieses Forum für mich hatte. Ich danke Euch noch einmal von Herzen mich so aufgenommen und über weite Strecken auch aufgefangen zu haben. Das war schon etwas sehr Besonderes, was für ein Glück ich da doch hatte.

                  Habt es gut und fein. Ich wünsche Euch, Euren Lieben, das Beste und ganz viel Glück! Macht es gut! Ich werde an Euch denken und vergessen tu ich Euch ohnehin nie!
                  Briele

                  __________________________________________________


                  Für meinen Mann, einem großen und ernsthaften Bewunderer von Arno Schmidt:

                  Am Ende bleibt nur: Kunstwerke; Naturschönheit; Reine Wissenschaften.
                  In dieser Heiligen Trinität.
                  (aus dem Leben eines Fauns)

                  Bergländer liebe ich nicht; nicht den breiigen Dialekt ihrer Bewohner, nicht die zahllos gewölbte Erde. Bodenbarock. Meine Landschaft muß eben sein, flach, meilenweit verheidet, Wald, Wiese, Nebel, schweigsam.
                  (aus dem Leben eines Fauns)

                  Himmel glutblau und scheußlich wolkenlos. Lieber ein Himmel ohne Götter als ohne Wolken.
                  (aus: Gadir oder erkenne dich selbst)
                  __________________________________________________ ____

                  Kommentar


                    keine Ahnung ob das klappt. Ich versuche einen Link zu einem anderen Beitrag von mir einzufügen, weil ich finde der Inhalt gehört auch hierher.



                    Liebe Grüße Briele

                    Kommentar


                      Liebe Briele,

                      die Bande der Liebe werden mit dem Tod nicht durchschnitten.

                      Danke für deine netten Zeilen.

                      Viel Kraft für Dich!

                      LG. Veronika

                      Kommentar


                        Mein Mann ist nun zwei Jahre tot. Vom Zeitgefühl her ist es einmal kurz, einmal lange, seltsam wie verschieden ich das empfinde. Ich bin nach wie vor in der Wohnung in Hamburg, schiebe die Aufgabe derselben vor mir her, sowie erforderliche “Räumarbeiten”.

                        Da Wetter ist heute wie vor zwei Jahren. Es erstaunt mich, dass ich das erinnere, bin ich doch ein Mensch der selbst lang anhaltende Gut- oder Schlechtwetterperioden schnell vergisst. Doch als vor ein paar Tagen, in größerer Runde behauptet wurde, so kalt und regnerisch sei es um diese Jahreszeit noch nie gewesen, dachte ich, stimmt nicht, vor zwei Jahren war es auch wochenlang so. Und dann merkte ich, dass ich genau weiß wie das Wetter war als Mama, als Papa starb. Wie kann man so etwas Unwichtiges in einer hoch dramatischen Situation, abspeichern.

                        Es ist leicht, gibt ein gutes Gefühl, Dinge zu verschenken, aber wie schwer ist es Dinge von meinem Mann zu entsorgen. Unlängst habe ich hunderte DVD’s durchgesehen die Werner vom Fernseher aufgenommen hat. In seinem letzten Jahr war das eine häufige Beschäftigung. Meine Mama hatte das mit Opernmusik getan. Wenn man schon das eigene Leben nicht festhalten kann, vielleicht hat man das Bedürfnis Töne und Bilder die einem wichtig sind, festzuhalten. Weniges habe ich für mich auf die Seite gegeben, also der allergrößte Teil interessiert mich nicht wirklich. Aber ihm war es wichtig und mich ist Wehmut überkommen weil ich wieder ein Stück von ihm in den Müll gebe. In ein paar Jahren werde ich mich nicht mehr an alles Einzelne erinnern was ihm Freude machte, interessierte. Das finde ich traurig. Ich denke dann an all den Kram, den ich einmal hinterlasse und nicht zum ersten Mal fasse ich den Vorsatz beherzt zu entsorgen, mit warmer Hand zu verschenken. Aber dann: noch lebe ich ja und warum soll ich reduziert, penibel aufgeräumt leben, nur um es meinen Erben leicht zu machen. Nächster Gedanke: vielleicht würde ich leichter leben, reduzierte ich nur!

                        Nachdem ich wenige Monate nach seinem Tod bis auf ein paar Sachen ziemlich problemlos die ganze Kleidung wegschenken konnte, ist es mich nun hart angekommen die letzten zwei Paar Schuhe von ihm wegzugeben. Dinge, in denen noch ein paar Moleküle von ihm waren. Ich habe meine Hände in die Schuhe gelegt bevor ich sie in eine Tüte stopfte.

                        Im Bergdorf habe ich einen großen Karton voll Briefe von ihm, auf die ich mehrmals einen bewußten Blick geworfen, die ich bisher nicht wieder gelesen habe, die mir aber ein Schatz sind. Einige Zettelchen mit kurzen Botschaften gibt es auch, von denen ich früher die meisten total unbedacht weg geworfen habe, war doch steter Nachschub scheinbar sicher und selbstverständlich. Unlängst habe ich eines gefunden und dabei eine geradezu kindische Freude empfunden. Ich weiß nicht von wann das war, anscheinend war ich bei einer Untersuchung oder Behandlung gewesen und Werner konnte mich nicht daheim erwarten. Aber da waren seine lieben warmen Worte des Bedauerns für mich schrecklich Arme, sowie ganz praktisch, was er alles für mich eingekauft hatte, worauf ich achten sollte und er so schnell wie nur möglich bei mir sein wollte. Er war immer so bedacht, dass es mir gut geht, ich alles habe und bekomme, umsorgt und glücklich bin.

                        “Seine” Musik bewegt ganz viel in mir, sowie Mamas Musik. Ich staune immer wieder wie rasend schnell das geht. Ich bin beschäftigt, denke nicht an ihn oder Mama, dann gibt es den einen speziellen Ton und schon spüre ich mein Herz, kommen mir die Tränen. Es ist nicht zu fassen, wie schnell das Hören Gefühle auslöst, sich die Augen mit Tränen füllen, ich mich mit Sehnsucht, mit Mitleid, weil sie so viel erdulden mußten, und willentlich ist da dann rein gar nichts aufzuhalten. In solchen Situationen denke ich oft, dass trotz meiner jeweiligen Anwesenheit, meiner großen Bereitschaft bei ihnen zu sein, das Sterben ein recht einsames Geschäft bleibt. Es ist so, dass ich bei meinen drei Lieben an deren Ende den Eindruck hatte, dass sie mich nicht mehr wirklich brauchen, es aber für mich wichtig ist an ihrer Seite zu bleiben. Aber ich kann ja nicht fragen wie es für sie war. Vermutlich werde ich es bis ans Ende meiner Tage schrecklich bedauern ihr Sterben und meine Trauer nicht mit ihnen besprechen zu können. Da kann auch kein anderer Mensch ein Ersatz sein, mit meinem Mann, mit Mama und Papa möchte ich darüber sprechen. Diese Einsamkeit beim Sterben, das sich nicht Austauschen können danach, betrifft uns ja alle. Sowohl das eine als auch das andere.

                        Ich bin schon länger dabei ein neues Adressenbuch anzulegen. Es wäre erst das vierte in meinem Leben, ich hänge immer an den abgegriffenen Büchern, bewahre die alten auf. Ein traurige Angelegenheit ist es dieses Mal und ich tu da schon lange damit herum. Eine ganze Generation ist sozusagen weggebrochen, deren Adressen nicht mehr aufgenommen werden. Keine einzige Tante mehr, kein Onkel, etliche nahe Menschen, so viele - tot. Nun bin ich doppelt froh, sozusagen schwarz auf weiß zu sehen, dass in den letzten Jahren auch neue Adressen von Menschen dazu gekommen sind, die ich gerne hab.

                        Es kommt so gut wie keine Post mehr für ihn. Hie und da ein Katalog von einem Antiquariat. Keine amtlichen, behördlichen Aufforderungen etwas zu machen, zu tun, einzureichen. Niemand will, erwartet etwas von ihm, sein Name ist überall gelöscht. Er ist nicht mehr.

                        Doch mir ist mein toter Mann sehr präsent, ich habe ihn gut in mir, die Liebe bleibt und wird mit meinen Erinnerungen als Verbindung weiter bestehen. Ich gehe ohne ihn weiter, mache was ich will, gehe wohin ich will, er bleibt in mir - auf (s)eine sanfte zurückhaltende Art. So ganz richtig tot wird er erst mit meinem Tod sein.

                        Ich habe in diesem thread einmal geschrieben, dass ich versuche den guten Eigenschaften meiner Toten Leben zu geben und wie mir das bei meinen Eltern ganz gut gelingt.
                        Die Latte bei meinem Mann ist sehr hoch, da kann ich mich nur bemühen halbwegs in die Richtung zu steuern. Er war so ein unglaublich liebenswürdiger, freundlicher, aufmerksamer, toleranter, großzügiger Mensch, dabei gescheit, witzig, humor- phantasievoll, mit innerer Noblesse, hat nie etwas Unrechtes getan, ist mit jedem vorsichtig umgegangen, hat fast immer ein wenig mehr, sowie tiefer gesehen, gehört, als die meisten Menschen. Ach, noch vieles mehr. Ich bin froh ihm das zu Lebzeiten öfter gesagt zu haben und es jetzt nicht nur hinterher zu schreiben. Ich verdanke ihm sehr viel.
                        Auf seine Kaufsucht, die nicht oft, aber zu Spitzenzeiten doch das eine und andere Mal von mir bekrittelt wurde, blicke ich nun mit mildem Auge, innerlich lächelnd. Und so ergeht es mir auch, wenn ich an seine fast schon hysterischen Reaktionen auf Lärm denke, bei denen er mir manchmal ein wenig fremd war. Ich bin ja fast erleichtert, dass es diese zwei kleinen Irritationen in unserem gemeinsamen Leben gab, wer möchte schon mit einem Heiligen leben.

                        Wenn ich im Forum über die Unternehmungen, Aktivitäten, einzelner lese die nicht so super beisammen sind, bin ich beeindruckt und bedaure dann, dass wir es nicht hinbekommen haben - ja was - dem Leben mehr Leben zu geben? Vielleicht waren wir träge, das wäre die schlechte Variante. Vielleicht hat es so gepasst. Vielleicht hätte ich pushen sollen. Es war wie es war. Ich habe das Thema nun aber doch bewußter im Blick, man kann ja immer etwas dazu lernen, sein bisheriges Verhalten überdenken, Neues ausprobieren. Das mache ich.

                        Es geht mir gut. Das hat wesentlich damit zu tun, dass ich mit meinem Mann so ganz im Reinen, voll Dankbarkeit für das Gehabte bin, und weil ich eine neue Liebe in meinem Leben habe. Jeder der mir etwas bedeutet, freut sich darüber. Es geht erstaunlich gut meinen Mann weiter zu lieben und einen anderen neu zu lieben. Einige sagen Werner habe mir vielleicht R. geschickt, was ich einen seltsamen Gedanken finde. Es war Zufall, es war Glück, wir haben es gewagt und ich muß ehrlich sagen, dass ich nach wie vor über meinen Mut ziemlich erstaunt bin. Es geht mir nicht nur gut, ich bin meistens sehr glücklich und .. hey R. an dieser Stelle ein Danke, dass Du meine zeitweise Trauer nicht nur gut aushältst, sondern auch Du Werner mit hinein in unser Leben nimmst.

                        Liebe Grüße und gute Wünsche an Euch.
                        Habt es gut und fein
                        Briele

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                          Ein anderer Todestag



                          In diesen Tagen bin ich mit meinen Gedanken viel bei meiner lieben Mama und während ich jetzt schreibe lebte sie vor 16 Jahren ihre letzten Stunden, war es ihre letzte Nacht. Sie atmete ein, sie atmete aus, an einer Seite ihres Bettes die Infusion, ihr Begleiter der letzten vier Wochen, auf der anderen Seite ich. Einige Male hatte ich die Nacht über bei ihr bleiben wollen, immer hatte sie mich weg geschickt, heim zu Papa, der mich auch brauchte. Und dann, an jenem Nachmittag, wir konnten noch ein wenig miteinander sprechen, einander in die Augen blicken, sie legte ihre Hand mehrmals an meine Wange, sagte ich, heute schlafe ich hier und sie nickte.

                          Es war eine wilde, stürmische Nacht. Und Mama wurde immer ruhiger. Ich fragte ganz leise die Nachtschwester ob es jetzt zu Ende geht, sie zuckte die Achseln und ich deutete das ruhige Atmen meiner Mutter falsch. Ich dachte es gehe ihr besser. Aber vielleicht stimmte das ja.

                          Ich lag auf dem Bett, ich saß neben Mama, streichelte sie, cremte ihre Füße ein und habe Jahre später erfahren, daß man bei Sterbenden nicht bei den Füßen herum tun soll, ich wußte es damals nicht besser. Ich sang ihr leise kleine Liedchen vor, ich kann nicht singen, erinnere kaum Texte, ich weiß nicht warum ich es tat. Ich legte meine Wange an die ihre, flüsterte ihr ins Ohr wie schrecklich gerne ich sie habe.

                          Sie hatte keine Angst vor dem Tod gehabt, sich aber verzweifelt gewünscht den harten Weg dahin abzukürzen. Ich habe hier schon einmal darüber geschrieben. Wenn ihr etwas Sorge machte, dann, wie ich zurecht komme.

                          Sie war der wichtigste Mensch in meinem Leben. Immer da, immer zugewandt, dabei kritisch, aber eben stets liebevoll. Vieles hat uns verbunden.

                          Ich hatte naiv gedacht mich ein wenig auf den Verlust vorbereiten zu können. Als ob man das könnte! Jahre vor ihrer Erkrankung las ich Bücher wie „Wenn die alten Eltern sterben“, oder „Ich spür noch heute ihre Hand“. Und ich hatte weich gezeichnete innere Bilder wie die letzte Zeit sein würde. Die Wirklichkeit war ganz anders.

                          Und meine Trauer, meine Verlassenheit war dann um vieles schrecklicher als sie und ich uns das je hätten vorstellen können. Es war mein erster, mein größter Verlust und ich habe Jahre gebraucht bis ich halbwegs darüber hinweg gekommen bin.

                          Leute die sie kannten sagen nun immer häufiger ich wäre ihr sehr ähnlich, das macht mich froh und es ist in diesem Zusammenhang angenehm, daß ich nicht zu jenen Töchtern zähle die um nichts auf der Welt wie ihre Mütter sein möchten. Glück gehabt.,

                          „Die Toten ehren“ ... wie kann man das machen, so man es tun will. Ich möchte ihren guten Eigenschaften Leben geben, so gut ich es kann. Die beste Eigenschaft meiner Mutter war für mich ihr achtsamer, aufmerksamer Umgang mit jedem und allem. Das war toll, das hat mir immer gefallen und da bemühe ich mich gerne darum. Anderes möchte ich gerne, kann ich aber nicht so gut: sie hatte Durchhaltevermögen, irgendwie Biss, Dinge die nicht auf Anhieb klappten mehrmals zu versuchen und sie war überhaupt nicht wehleidig. Ach, sie war und hatte vieles. Unter anderem eine romantische Vorstellung von der Liebe die mich anrührte, die ich nicht verstand und die wohl ihrer Liebe zur Oper geschuldet war. Ich denke nach was nicht so gut war, es fällt mir nichts ein, außer daß sie vielleicht manchmal ein wenig nachtragend war.

                          Ihre Geschwister, deren Ehepartner, ihre Freundinnen, Bekannte - so gut wie alle sind tot. Es denken noch Menschen an sie die sie kannten. Nie hätte ich damals jedoch gedacht, daß einmal Leute an sie denken werden, die sie nur aus meinen Erzählungen kennen. Mehr als das: die ihren Geburtstag, ihren Todestag im Kalender stehen haben und dann an sie denken, an mich, die Tochter, die eine Kerze für sie anzünden, mir zuhören wenn ich über sie sprechen möchte. Das ist doch schön! Und umgekehrt denke auch ich an Menschen die tot sind und die ich nicht kennenlernen durfte. Aber ich kenne deren Geschichten und sie sind in meinem Kopf, in meinem Herzen und manchmal träume ich sogar von ihnen.

                          Wir sollten uns nicht scheuen über unsere Toten zu erzählen, meine Güte, man merkt ohnehin schnell wenn das einer nicht hören mag und umgekehrt sollte man aufmerksam zuhören wenn einer darüber sprechen will. Es lohnt und wert ist es allemal ein jeder.


                          Briele









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                            Geburtstag

                            Heute hätte mein Mann seinen 84igsten Geburtstag und ich höre seine Musik, blättere in seinen Büchern und überlege ernsthaft wie ich wesentliche Teile, komplette Sammlungen seiner Bibliothek gut weitergeben kann. Es sind dies vor allem Bereiche die ihm wichtig, mir danach heilig waren, die aber nur wenig beachtet von mir sind. Manchmal streiche ich im Vorbeigehen mit einer Hand über die Buchrücken. Ich habe Fotos angesehen, die ich von ihm gemacht habe, und seine alten Fotoalben. Das blasse, schmale Kriegskind, der hoch aufgeschossene, ernst und skeptisch dreinblickende junge Mann, jeweils Alben mit Ehefrau Nr.1, mit Ehefrau Nr.2 auf Urlaub, im Garten, glückliche Gesichter, und mit Ehefrau Nr.3 – mir – gibt es kein Foto. Das muß man sich einmal vorstellen, es gibt nach mehr als 26 gemeinsamen Jahren kein einziges Foto von uns beiden. Unbegreiflich und nein, ich mochte nach seinem Tod keine Fotomontage anfertigen.

                            Im letzten Jahr konnte ich zwei Dinge gut weitergeben, noch dazu an Menschen die ihn kannten, schätzten und das fand ich sehr erfreulich. Das eine war Werners Fahrrad an einen Mann dem das seine gerade geklaut worden war. Jetzt steht es manchmal vor dem Haus und der Mann sagt, er habe noch nie so ein tolles Rad gehabt. Das andere war der Crosstrainer, der insgesamt vielleicht 20-30 Minuten als solcher benützt, sonst lediglich als Kleiderablage diente. Er war gedacht als super–duper–originelles Geburtstagsgeschenk von mir an Werner. Nun steht er in einer Wohnung zwei Stockwerke unter mir. Ich bin froh, daß R. mir zugeredet hat das Ding zu verschenken und nicht zu verkaufen.

                            Ich mache das ja nicht nur weil ich so eine Gute bin, um Menschen eine Freude zu machen, ich will, daß auch andere manchmal an ihn denken, ihn nicht vergessen. Ich spreche über ihn, das ist das Wichtigste, aber manchmal ist es gut, die Erinnerung an einer sicht- und greifbaren Sache fest zu machen, das weiß ich aus eigener Erfahrung.

                            Nie wieder wird es einen Menschen geben wie Werner. Kein wirklich neuer Gedanke, schon klar, jeder von uns ist einzigartig. Ich werde ihn nie mehr sehen, erleben, und auch niemanden der so ist wie er, der zu mir so ist wie er, dem ich das bin was ich meinem Mann war. Man weiß das und auch, daß die Geschichte die man mit einem Menschen hat, immer einzigartig ist. Abgesehen vom lieben Menschen an sich, gibt es einiges was ich nicht mehr habe und vermisse, sowie ich anderes habe was neu in mein Leben gekommen ist und mir Freude macht. Ich will nicht vergessen was ich hatte, mir bewußt sein was ich neu bekommen habe und über beides dankbar sein, mich freuen.

                            Vorhin habe ich in meinem Tagebuch gelesen. 2011 begann Werner zu sagen, nun habe ich noch ein Jahr. Das kam so: Nach der Operation 1997 sagte sein Urologe zu ihm, also bis zum 80igsten bringe ich sie auf jeden Fall. Die Zeitspanne klang beruhigend lange, für Werner war es so etwas wie ein Versprechen. Wir wissen alle wie es ist, die Zeit rast so dahin, was erst lange scheint, ist dann doch zu kurz.

                            Es war so merkwürdig. Einerseits war er ein Mensch der wenig glaubte, andrerseits hatte er in manchen Bereichen oft ein magisches Denken. Und dieses Datum gehörte eindeutig dazu. Er war nicht davon abzubringen. Ich glaube nun wirklich nicht, daß er deshalb starb, seine Krankheit aus diesem Grund so dramatisch fort schritt, aber gut war die Einstellung vermutlich nicht. Ich habe es einmal kurz bei seinem Arzt angesprochen, nicht vorwurfsvoll, ich habe mir gedacht, daß er ähnliche Äußerungen in Zukunft dann vielleicht ein wenig überdenkt. Er konnte sich nicht daran erinnern, sagte, er wäre schon länger erstaunt, hätte nicht gedacht, daß es so lange gut geht.

                            Es ist ja auch schwer für Ärzte. Einerseits war die zeitliche Prognose, die von Werner als Versprechen empfunden wurde, ja eine klasse Sache und es wird schon ein wenig so sein wie eine Arztfreundin sagte: „the doctor is the drug“. Ich denke es ist für Patienten wahnsinnig wichtig, daß der Arzt Zuversicht vermittelt, aber ich denke Zeitangaben sind so und so eine heikle Sache.

                            Das Jahr ist noch jung. Als das alte zu Ende ging dachte ich, es läuft granatenmäßig toll aus und das Neue beginnt super. Warum? Mein vierwöchiges Leiden an einer Gürtelrose war vor Weihnachten beendet und alleine diese gemeinen Schmerzen los zu sein, hob meine Lebensfreude unheimlich. Vielleicht stimmt ja der Satz, den ich sonst bezweifle: „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts“.

                            Ich hatte ein wirklich gutes Jahr. Außerhalb meines kleinen Lebens war es ja ein schreckliches. Ich finde man kann und darf aber auch eine ganz persönliche Rückschau halten, losgelöst von dramatischen Geschehen in der Welt und, Ihr Lieben hier, ich hatte ein schönes Jahr. Am Ende des Sommers dachte ich, dies war wahrscheinlich der beste meines erwachsenen Lebens. Weil ich beruflich so gut wie immer mit Tourismus verbandelt war, gab es von Mai bis September praktisch jahrzehntelang nur Arbeit bis über die Ohren und davon von Jahr zu Jahr mehr. Als dies weniger bis vorbei war, begannen die Jahre der Sorgen, des Kummers, der Angst. Im Sommer war ich meistens für einige Zeit in meinem Bergdorf gewesen, gerne ja, aber auch mit etwas schlechtem Gewissen Werner gegenüber.
                            Und nun Sommer 2015, frei von Arbeit, Pflichten, Sorgen, Angst. Die mir Nächsten, gesund und glücklich. Die Hälfte des Sommers mit dem lieben Rastaman der mir meine Heimat zeigte (ist wirklich so!) und wettermäßig dann auch noch perfekt. Ich fand es gut mir all dessen bewußt zu sein, sowie zu wissen, daß es ganz schnell anders sein kann. Vielleicht muß man ein Kind oder ein älterer Mensch sein um besser im Jetzt und Heute leben zu können.
                            Es gab natürlich auch trübere Stunden mit Sorgen um Menschen, es gab Enttäuschungen, Ärger, Irritationen, aber alles in allem ein pralles, lebendiges Jahr, das mich glücklich gemacht hat, mir gefallen hat. Wünschen darf man ja und ich wünsche mir, daß alles möglichst so bleibt wie es ist, wohl wissend, daß dies kaum je der Fall ist.

                            Für Euch alles Liebe, alles Gute, erfüllte Wünsche und Hoffnungen.Habt es gut und fein.
                            Briele








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                              Der dritte Todestag
                              Ich möchte hier noch einmal schreiben.

                              Mit größter Wahrscheinlichkeit werde ich in einem Jahr um diese Zeit nicht mehr in Hamburg, in Werners Wohnung sein, die im wesentlichen nach seinem Tod so blieb wie sie war. Diesen speziellen Kosmos wird es dann nie, nie mehr geben, das wird für immer vorbei sein. Seine Lieblingsplätze in der Stadt kann ich dann nur in meiner Phantasie besuchen, lediglich ein Teil seiner Dinge werden im Bergdorf stehen, irgendwie erscheint mir diese Auflösung wie eine weitere traurige Facette seines Todes. Doch bliebe ich hier würde ich vieles verändern wollen. Es ist halt so im Leben, zumindest in meinem: ich will es lebendig haben, mag Änderungen, Herausforderungen, zugleich nehme ich von jedem und allem schwer Abschied.

                              An Tagen wie diesen sind Gedanken nicht nur zugespitzter, sie drehen sich wie in einem Karussell. Zu Werners Leiden, seinem Tod, packen sich die von anderen dazu. Die Einschläge um mich herum sind dichter geworden. Eben zähle ich die Verstorbenen des letzten Jahres auf, bedenke, was unwiederbringlich durch deren Tod für mich verloren ging, was ich ihnen bedeuten durfte.
                              In diesen Tagen höre und sehe ich Werner immer wieder sagen… ein, zwei Jahre später und ich könnte mit Hilfe von Medikamenten noch Zeit gewinnen …. Er hat das zwar nicht oft gesagt, nicht bitter, aber ich denke jetzt dauernd daran.
                              Ich stehe am Fenster und sehe meinen Mann. Einmal aufrecht, mit schnellem Schritt, dann gebeugt, die Arme gekreuzt auf dem Rücken, ich kann viele Bilder herbei holen, 26 Jahre sind eine lange Zeit. Bis jetzt ist alles mehr oder weniger so wie zu seinen Lebzeiten: Drinnen in der Wohnung, draußen auf der Straße, die Bäume sehen aus wie immer um diese Jahreszeit, Geräusche hören sich an wie früher, in Geschäften und Arztpraxen weitgehend die Menschen wie vor drei Jahren, nur Werner ist nicht mehr dabei, nicht mehr da. Dies alles in einem Jahr nicht mehr präsent zu haben, wird eine Zäsur sein. Nach dann vier Jahren (und ich empfinde es als Glück so lange Zeit gehabt zu haben) muß ich meine Gefühle vermutlich nicht mehr an Äußerlichkeiten andocken. Bei meiner Liebe zu Werner geht es jetzt ja auch um das was ihn ausmachte, um die Essenz. Und so wabern meine Gedanken hin und her, einmal traurig, einmal gelassen, voll Liebe und Dankbarkeit und immer wieder rufe ich mir zu: Carpe diem!

                              Denk ich an Werner, so sehe ich in den letzten gemeinsam verbrachten Jahren ihn im Focus unserer Gemeinsamkeit, und ganz ausschließlich ist dies der Fall was die letzten Monate betrifft. Schwer zu beschreiben, also ich bin wohl irgendwie da, aber doch recht diffus. Und dann, beim toten Werner sitzend, ist das in meiner Erinnerung augenblicklich anders. Plötzlich sehe, fühle ich mich, bin auch im Geschehen und als erstes fällt mir das Gefühl von totaler Verlassenheit ein. Es ist völlig klar, wird allen so gehen, der Kranke ist die Hauptperson, man selbst tritt zurück. Was mich überrascht ist, daß ich mich aus meinen eigenen Erinnerungen an diese Zeit heraus gewischt, bzw. vielleicht nie abgespeichert habe. Und plötzlich, unmittelbar nach dem Tod meines Mannes ist es wieder anders. Ich bin in meinen Erinnerungen.
                              Der Hinterbliebene erfährt natürlich sofort viel Zuwendung, ist plötzlich im Mittelpunkt. Die haben auf der Palliativstation damals alles richtig gut gemacht, also für mich hat es gepasst. Sie haben mir gleich Einiges angeboten: eine Pille zur Beruhigung, einen Psychologen, einen Pfarrer, eine ehrenamtliche Sterbebegleiterin. Ich habe erst alles dankend abgelehnt. Dann wurde ich nochmals gefragt ob die Pastorin vielleicht doch kommen soll, sie wäre gerade auf der Station. Ehrlich gesagt habe ich nur aus Höflichkeit zugestimmt und als sie kam sagte ich, mein Mann war nicht gläubig, ich bin es auch nicht. Die junge Frau nickte, setzte sich auf die andere Seite des Bettes und sagte, der hat aber schöne Haare, ihr Mann. Dann erzählte ich ihr von Werner. Die Anwesenheit der Pastorin war besänftigend und nach einiger Zeit fragte ich, ob sie im Stillen ein Gebet für meinen toten Mann und auch für mich beten würde. Sie tat es leise flüsternd, ich verstand kein Wort. Warum wollte ich nichts hören? Ich befürchtete Worte zu hören, die mich bedauern ließen, sie darum gebeten zu haben. Ein paar Tage später durfte ich ein Gespräch mit der Krankenschwester führen die bei Werner war als er starb. Das war wichtig. Das war gut.
                              Ich habe damals etwas gelernt: Nicht so schnell dankend ablehnen, wenn jemand Hilfe anbietet, weil ich denke nichts und niemand kann mir helfen, keiner könnte mich verstehen. Es kann etwas dabei sein, was einem gut tut, etwas gesagt werden, was man zu einem späteren Zeitpunkt als hilfreich erkennt, was man vielleicht weitergeben kann.

                              Das Gefühl von Verlassenheit war fast genauso schlimm wie meine Trauer. Mein Mann hat mir stets und in jeder Beziehung ganz viel Sicherheit gegeben, sein Interesse an mir, an allem was mich ausmacht war enorm. Ich habe von ihm, sowie von meinen Eltern soviel bekommen, es hätte für mein restliches Leben gereicht, selbst wenn ich nicht das unwahrscheinliche Glück einer neuen Liebe hätte. Mir war nicht klar warum ich mich neben meiner Trauer, dem Verlust, auch so schrecklich schutzlos und unsicher fühlte. Ich war doch immer eine gestandene Frau gewesen, die Entscheidungen trifft, mit beiden Beinen in der Welt steht, auch alleine gut zurecht kam und in den letzten Jahren für uns beide alles geregelt hatte. Aber das war nun weg, es fühlte sich schrecklich an und machte mir sogar Angst. Es war jedoch nicht für immer weg, nur wußte ich das damals nicht.

                              Ich habe heute Klavierkonzerte von Beethoven aufgelegt und sehr bewußt zugehört. Wenn der Pianist ganz leise und zart zu hören war, spürte ich meinen Mann besonders nah. Mir war, als würden die leisen Töne das leise, sanfte Innere meines Mannes widerspiegeln. Er sagte von sich selbst, er sei ein weicher Keks, was ja nicht heißt, daß er einen an der Waffel hatte. Sein Äußeres ließ nicht sofort auf sein Inneres schließen. Und heute, weil ich ganz hin gegeben war, wurde die Musik und mein Werner eins.

                              Jetzt verabschiede ich mich hier von Euch.
                              Danke für alles.
                              Habt es gut und fein.
                              Briele







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