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Streit über die Notwendigkeit und Finanzierung einer Klinikbehandlung

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    Streit über die Notwendigkeit und Finanzierung einer Klinikbehandlung

    Liebe Forumsteilnehmer,

    ein jüngst veröffentlichter Beschluss des Dritten Senats des Bundessozialgerichts (BSG) lässt aufhorchen: Unter den obersten Sozialrichtern besteht offenbar Uneinigkeit über die Entscheidungsbefugnisse bei Krankenhausbehandlungen. Der Streit legt einen Grunddissens darüber offen, wer über die Finanzierbarkeit des gesetzlichen Krankenversicherungssystems entscheiden darf - Ärzte oder Krankenkassen?


    Hintergrund und Auslöser des Streits ist folgender Fall: Ein zu aggressiven Impulsausbrüchen und sexueller Enthemmung neigender Patient ist seit 1991 mehrfach in stationärer psychiatrischer Behandlung gewesen; Versuche einer Enthospitalisierung sind gescheitert. In den Krankenakten des Patienten waren zuletzt fast nur noch pflegerische Maßnahmen dokumentiert. Ab März 1997 lehnte die AOK Schleswig-Holstein deshalb die weitere Kostenübernahme für Klinikbehandlungen ab, woraufhin der Landkreis Dithmarschen als zuständiger Sozialhilfeträger zunächst einsprang. Danach verlangte er das Geld allerdings von der AOK zurück. Eine entsprechende Regressklage des Sozialhilfeträgers wurde vom Landessozialgericht Schleswig-Holstein abgewiesen und landete daraufhin beim BSG.


    Der zuständige 1. Senat des BSG (unter Vorsitz des BSG-Präsidenten Matthias von Wulffen) beabsichtigt das Urteil des Landessozialgerichts zu bestätigen und die Klage ebenfalls abweisen, denn nach seiner Auffassung müsse die Kasse prüfen können, ob ein Behandlungsanspruch besteht. Nach der bisherigen Rechtsprechung des 3. Senats müsste die Kasse hingegen zahlen - sofern die Entscheidung der Ärzte „medizinisch vertretbar" ist und die Kasse keine Alternativen aufzeigen könne. Das sieht der 1. Senat indes vollkommen anders. Er will künftig von "objektiven, auch im Nachhinein überprüfbaren Kriterien" ausgehen, "ohne dass dabei im Zweifel der Einschätzung des Krankenhauses Vorrang gegenüber der Bewertung der Krankenkasse zukommt".

    Aufgrund der konträren Auffassungen fragte der 1. Senat im April dieses Jahres beim 3. Senat an, ob der seine Rechtsprechung aufgibt (http://juris.bundessozialgericht.de/...478&linked=bes). In einem jetzt veröffentlichten Beschluss erklärte der 3. Senat jedoch, dass er an seiner Rechtsprechung festhalten wolle, da nur Krankenhausärzte im Einzelfall die konkreten Bedürfnisse der Patienten beurteilen können (http://juris.bundessozialgericht.de/...9581&linked=pm).


    Aufgrund der Patt-Situation zwischen 1. und 3. Senat wird nunmehr der sogenannte „Große Senat“ des BSG (in dem Richter aller Senate vertreten sind) entscheiden - voraussichtlich in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres. Dabei könnte es zu einer Diskussion kommen, die über den Klinikstreit und das Selbstverständnis von Ärzten weit hinausgeht. So nutzte der 3. Senat seine Stellungnahme zur Anfrage des 1. Senats dazu, seine sozialrechtliche Grundhaltung deutlich zu machen: Eine „institutionsorientierte Betrachtungsweise" sei „nicht sachgerecht"; vielmehr seien die Gerichte seien zu einer „bürgerfreundlichen Interpretation" des Sozialgesetzbuchs verpflichtet. Versorgungslücken dürften möglichst nicht eintreten, soweit sie vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich definiert seien. Diese Grundhaltung des 3. Senats wurde in der bisherigen Rechtsprechung immer wieder deutlich, vor allem in der Pflegeversicherung. Der 1. Senat hingegen hat traditionell die Finanzierbarkeit des Versorgungssystems stärker im Blick. Mit einer Diskussion über den Krankenhaus-Streit käme der Große Senat des BSG und damit das gesamte oberste Sozialgericht um eine Diskussion dieser Grundsatzfrage also nicht herum.


    Kai Mielke

    #2
    Hallo Kai Mielke,
    mal rein hypothetisch, sollte der Große Senat "in dubio pro reo", hier also zu Gunsten der Beklagten entscheiden, wie wird sich das Urteil dann bei der Behandlung chronisch Kranker auswirken?

    Gruß renegat

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      #3
      Hallo renegat,

      die Frage, wie es sich auf die (Klinik-) Behandlung von chronisch Kranken auswirken könnte, wenn das BSG seine Rechtsprechung im Sinne des 1. Senats ändert, ist derzeit kaum abzuschätzen. Ich denke, es wird maßgeblich davon abhängen, ob und ggf. wie viel Entscheidungsmacht über die Erforderlichkeit bzw. Notwendigkeit einer Klinikbehandlung man den Kassen einräumt und wie restriktiv sie diese Entscheidungsmacht
      im Einzelnen handhaben wird.

      Gruß,

      Kai Mielke

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