Der natürliche Krankheitsverlauf des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms muss in früheren Jahrhunderten ohne die Hormontherapie, ohne wirksame Mittel zur Schmerzbekämpfung sehr qualvoll gewesen sein. So ist uns aus der Literatur das Gebet eines alten englischen Urologen überliefert: „Oh mein Gott, wenn Du mich zu Dir nimmst, bitte nicht über meine Blase!“ Wir müssen daher anerkennen, wie ungemein segensreich die Hormontherapie ist. Dank der Hormontherapie und des in der Regel langsamen Wachsens unseres Krebses können wir uns, im Verhältnis zu anderen Krebserkrankungen, glücklich schätzen. Gott sei Dank, nur Prostatakrebs!
Die sehr teuren Medikamente werden allerdings oft ohne ausreichende Begründung verschrieben. Wann Hormontherapie, welche Art von Hormontherapie, wie lange Hormontherapie, das bleibt mehr oder weniger dem Ermessen des jeweiligen Arztes, oft nur seinem Bauchgefühl überlassen oder gründet sich auf Richtlinien, die auch nicht erkennen lassen, dass die Autoren wirklich wissen, was bei Hormontherapie im Krebs passiert. Als ich nach einer Drei-Monatsspritze Zoladex unter Proscar einen PSA-Wert von 1,27 erreicht hatte, hat mir einer meiner Urologen gar kein Medikament mehr verordnet, ein anderer hätte mir eine weitere Spritze gegeben, wenn ich sie gewollt hätte. .
Wer in Deutschland Hormontherapie bekommt, muss sich aber doch fragen: Verlängere ich mit dieser Therapie mein Leben? Oder verdeckt die Therapie nur palliativ den Progress? Schadet die Therapie mir gar? Vordenker wie Patrick Walsh, Stephen B. Strum , Bob Leibowitz sowie die deutschen Cytopathologen Tribukait und Böcking haben jedenfalls andere Vorstellungen davon, wie Hormontherapie wirkt, wie sie eingesetzt werden sollte. Andere Erkenntnisse und andere Vorstellungen als die Urologie, wie sie in Leitlinien festgeschrieben ist..
Bob Leibowitz, den man fälschlicherweise für den großen Protagonisten der Hormontherapie hält und als solchen auch kritisiert hat, ist sich der Grenzen der Hormontherapie wohl bewusst. Seine Lehre von den antiangiogenen Mitteln und der frühzeitigen Chemotherapie zeigen das.
Stephen B.Strum kritisiert insbesondere die ausschließliche Anwendung der Hormontherapie bei fortgeschrittenem Krebs mit Metastasen.
Bei Patrick Walsh fasziniert die weitgehende Übereinstimmung seiner Lehre zur Hormontherapie mit den Erkenntnissen der deutschen Cytopathologen, ohne dass er dieselben kennt, jedenfalls ohne sich auf diese zu beziehen.
In einem seiner Rundbriefe schreibt Dr. med. Frank Eichhorn, dass man beim Prostatakarzinom von einer Vollremission sprechen könne, wenn unter einer Androgenentzugstherapie innerhalb von drei Monaten ein PSA-Wert (=Nadir) von 0,05ng/ml erreicht sei. Dass anders als beim Hodenkrebs der Prostatakrebs aber zurückkomme.
Warum wird denn nicht gleich nach dem Zurückkommen des Krebses untersucht, welche Arten von Zellen da zurückkommen? Es kann in dieser Phase der Erkrankung sich doch nur um einen noch kleinen Nukleus von scheinbar unsterblichem Krebs handeln. Und welche Art harter Therapie auch diesen letzten Rest frühzeitig und noch rechtzeitig vernichten könnte, bevor er wieder zu proliferieren beginnt?
Warum wird in späteren Stadien nicht untersucht, welche strukturellen Veränderungen im Krebs die Hormontherapie bewirkt? Vorher-Nachher-Analysen müssten gemacht werden, generell und in Einzelfällen. Gesetzt den Fall, ein Patient mit Gleason 3+4 macht eine 10-monatige Hormontherapie. Dann lässt man bei intermittierender Therapie den PSA-Wert wieder bis zum Ausgangswert ansteigen. Ist sein Gleason dann wieder nur 3+4 oder hat er sich auf 4+4 oder gar 4+5 verschlechtert, sofern bei Erstdiagnose schon eine drittgrößte Menge von Gleason 5 vorhanden gewesen war?
Bei Patrick Walsh fasziniert die weitgehende Übereinstimmung seiner Lehre von der Hormontherapie mit den Forschungsergebnissen der Cytopathologen. Diese kommen Patrick Walsh, einem vehementen Verfechter radikaler Therapien, insbesondere der Prostatektomie, zwar gelegen, was den Wahrheitsgehalt seiner Lehre aber nicht in Frage stellen muss.
Patrick Walsh hält die Hormontherapie nur in zwei Fällen für therapeutisch sinnvoll: Erstens wenn sie adjuvant zur Bestrahlung erfolgt und zweitens als palliatives Mittel zum Zeitpunkt einsetzender Bescherden, d.h. bei Problemen der Blasenentleerung und/oder bei Schmerzen. Alle andere Hormontherapie nennt er ein eye wash, d.h. PSA-Kosmetik, Selbsttäuschung,. Krebs, der durch Hormontherapie nur vorübergehend unter den Radarschirm abfällt aber unerkannt von Arzt und Patient als hormonresistentes Gebilde weiter wächst, schließlich metastasiert und zum Tode führt.
Als Anfang des Jahres 2004 Wil de Jongh, ein in diesem Forum sehr engagierter holländischer Mitstreiter, bei einem PSA-Wert unter 10 unerwartet an seinem Prostatakrebs verstarb, kamen Dr. Frank Eichhorn und der Pathologe Professor Bonkhoff in einem veröffentlichten Briefwechsel zu dem Ergebnis, dass der fatale und unerwartete Ausgang der Erkrankung Wil de Jonghs durch Hormontherapie „induziert“ gewesen sei. Induziert? Was heißt eigentlich „induziert“? Hätte man hier nicht sogleich noch weitere Fragen stellen und nach weitergehenden Antworten forschen müssen?
Schon früh, sagen die Cytopathologen, entwickele Prostatakrebs sich zu einem gemischt entdifferenzierten Krebs. Durch Hormontherapie, schreibt Tribukait, und glaubt dies nach 14jähtiger Beobachtungszeit herausgefunden zu haben, enthalten stark entdifferenzierte Krebsanteile einen Wachstumsvorteil, bewirken also eine Lebensverkürzung anstatt der mit Hormontherapie beabsichtigten Lebensverlängerung. Wegen der Brisanz dieser Aussage habe ich den englischen Originaltext hier kopiert:
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“As far as a tumor contains a single, hormone-dependent cell population, androgen deprivation will result in excellent clinical response with shrinking of the tumor, release of pain, etc. In a tumor composed of hormone-dependent and –independent parts, androgen deprivation will initially also result in good clinical response, corresponding to the size of the hormone-dependent part of the tumor. Elimination of the hormone-dependent part of the tumor may, however, have the adverse effect, that the hormone-independent part of the tumor, now without competition from its brother, gains advantages in growth conditions.
Grossly aneuploid, moderately or poorly differentiated tumors are hormone-independent. Androgen deprivation eliminates hormone-dependent parts of the tumor. The result is more rapid progression to disseminated disease and significantly shorter survival of these patients compared to untreated patients.”
(Tribukait, Nuclear Deoxyribonucleic Acid Determination in Patients with Prostate Carcinomas: Clinical Research and Application, page 74, Basel, 1993)
Warum setzt die Urologie mit dieser These sich nicht ernsthaft auseinander, versucht es, diese zu widerlegen? Und zwar ernsthaft, nicht durch Behauptungen wie „Die Studien Tribukaits seien alt“ oder „Damals hätte man moderne Hormontherapie noch nicht gekannt“.
Eine Aussage Tribukaits, die mich sehr betroffen gestimmt und in meinem Fall leider sich auch bestätigt hat, betrifft das sogenannte insignifikante Prostatakarzinom. Er schreibt hierüber in der Symposiums-Zusammenfassung: „Langzeituntersuchungen machen deutlich, dass der Begriff eines klinisch insignifikanten Tumors nur unter Berücksichtigung einer Zeitangabe sinnvoll ist. Patienten mit lokalisierten diploiden Grad 1 Tumoren haben zwar eine 5jährige Tumor-spezifische Überlebenserwartung von mehr als 95%, die jedoch nach 10 Jahren auf 75% abgesunken ist. Wiederholte Biopsien bestätigen eine zeitlich fortlaufende Dedifferenzierung des Tumors“.
Wenn man diesem „natürlichen“ Dedifferenzierungsprozess nun die These Patrik Walshs gegenüberstellt, der Hormontherapie erst wieder bei einsetzenden Beschwerden für sinnvoll erachtet, dann stellt sich die Frage, welches denn eigentlich der Bodensatz, welches die Krebsquantität ist, aus welcher heraus eine Dedifferenzierung oder Mutation sich entwickeln kann? Könnte man diesen natürlichen Werdegang der Dinge nicht doch beeinflussen, wenn mittels Hormontherapie man dafür sorgt, dass das Krebsvolumen möglichst gering bleibt?
Hormontherapie light. Bei alternativen oder komplementären Mitteln wie Vitamin E, Selen, Prostasol, Curcumin, Granatapfel-Elixier, OMEGA-3-Fischöl, Resveratrol usw.. stellt sich immer auch die Frage, ob diese Mittel außer einer die Gesundheit allgemein fördernden Wirkung auch eine Prostatakrebs-spezifische Wirkung haben. Mit Granatapfel-Elixier konnte ich tatsächlich einen 6 Monate anhaltenden PSA-Stillstand erreichen, führe dieses Ergebnis aber auf die im Extrakt enthaltenen pflanzlichen Östrogene zurück.
Auch hier würden Vorher-Nachher-Analysen mehr Klarheit und Schutz vor unseriöser Werbung bringen und falsche Hoffnung in alternative Mittel verhindern.
Bei Hormontherapie ist mehr Forschung notwendig. Aber wie kann geforscht werden, wenn man nichts in Frage stellt und auch geeignete Methoden hierfür ablehnt? Man muss nur die Stellungnahmen der Gesellschaft für Urologie im Unterforum HAROW-Studie lesen, wie kategorisch Feinnadel-Biopsien abgelehnt werden. Aber mit Stanzbiopsien geht das nicht. Welche Patienten und welche Patientengruppen würden das wohl mitmachen? DNA-Analysen, das geeignete Mittel für ein Therapie-.Monitoring, werden gleichfalls von der Gesellschaft abgelehnt.
Diese Fragen, Zweifel, Ängste hat natürlich niemand, der sich rechtzeitig operieren oder bestrahlen lässt. Man ist das Problem los, sofern kein Rezidiv sich instellt.
Das ist richtig. Wenn radikale Therapien das Problem nur ebenso gründlich lösen würden wie eine Blinddarm- oder eine Leistenbruch-Operation und wir mit radikalen Therapien uns nicht auch neue, andere Probleme, auch psychischer Art, einhandeln würden.
So bleiben mir nach mehr als 7 Jahren guter Lebensqualität als Ergebnis meiner Entscheidung für die DHB nach Leibowitz und trotz meines mit Gleason 2+3 bei der Erstdiagnose festgestellten „insignifikantem Prostatakrebses“ einige Fragen offen, auf die es noch keine Antworten gibt.
Reinardo
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