Berlin, 22.07.07: Dieser Thread wird recht häufig aufgerufen, deshalb möchte ich gerne noch einige Bemerkung vorab stellen:
Es geht im Folgenden nicht darum, Panik zu verbreiten. Es geht um Information. Aus den verschiedenen erwähnten schlimmen Ereignissen oder üblichen fehlerhaften Verfahrensweisen, soll der Einzelne Rückschlüsse auf seine eigene Situation ziehen können. Ein gutes Beispiel findet sich in der später folgenden Diskussion über die Unterschiede/Vorteile/Nachteile von gesetzlicher und privater Krankenversicherung (Klaus (A) #6). So ist der Privatversicherte besonders gefährdet, übertherapiert zu werden, weil dort noch mehr Geld als beim gesetzlichen Versicherten zu holen ist. Es lässt sich auch gut erkennen, dass viele Behandlungen gänzlich überflüssig sind und zu erheblichen Nebenwirkungen und Folgeschäden führen. Man muss sich informieren und darf Ärzten (wie auch allen anderen Berufsgruppen) nicht einfach glauben.
Alles Gute wünscht Wolfgang
Hallo Liebe Forumsleser,
heute habe ich zufällig wieder einen Artikel in die Hand bekommen, den ich mir mal im Jahr 2005 aufgehoben habe. Da sich mit Sicherheit nichts geändert hat, stelle ich ein paar Auszüge ins Forum. Und, Ähnlichkeiten mit der Urologie sind natürlich rein zufällig.
Im Internet gibt es einen Link zu der originalen pdf-Fassung: http://kurse.fh-regensburg.de/kurs_2...-29SPIEGEL.pdf
Der Autor heißt Jörg Blech.
Ich wünsche (nicht) viel Spaß beim Lesen, Wolfgang
DER SPIEGEL "Schattenseite der Medizin" vom 29.08.2005
ausschnittsweise einige wörtliche Zitate: "
Systematisch werden Rücken-, Herz- oder Kniepatienten nutzlosen Verfahren ausgesetzt. Viele Therapieversuche beruhen auf Trugschlüssen oder finanziellen Interessen. Deutlich wird dies, wenn Ärzte zu Patienten werden: Sie lassen sich seltener behandeln als der Rest der Bevölkerung. Mit einer Laserkanone feuert der Arzt Dierk Maass auf schlagende Herzen, jeweils 20 bis 30 Löcher. Weiße Rauchwölkchen steigen aus dem Brustkorb des Patienten. Um die Wunden zu verschließen, legt der Professor bloß den Finger auf die Einschussstellen. Die Laserlöcher sollen im Pumporgan kleinste Blutgefäße sprießen lassen und das malade Herz mit frischem Sauerstoff versorgen.
...
Doch eines Tages erschien in der Fachzeitschrift „Lancet“ ein Aufsatz über den rauchenden Herzlaser. In einer klinischen Studie hatten britische Ärzte 188 herzkranke Testpersonen in zwei Gruppen unterteilt. Der einen Hälfte ließen sie die TMLR und die herkömmliche Medikamententherapie angedeihen; die andere Hälfte behandelten sie nur mit Medikamenten.
Und so erging es den Probanden nach zwölf Monaten: Weder im Belastungs-EKG noch bei einem Lauftest ergab sich ein Vorteil für das Lasergeschütz. Im Gegenteil, es traten schlimme Komplikationen auf: 5 Prozent der Menschen waren während des Strahlenbeschusses oder sofort danach
gestorben; insgesamt überlebten nur 89 Prozent der Gelaserten das erste Jahr. Den Patienten der Kontrollgruppe erging es da besser: Von ihnen waren noch 96 Prozent am Leben. Das Fazit der 1999 veröffentlichten Studie war eindeutig: „Die Anwendung des TMLR-Verfahrens kann nicht befürwortet werden.
Neue Blutgefäße, das offenbarten Untersuchungen von behandelten Herzen, waren durch den Beschuss gar nicht entstanden – sie hatten nur im Wunschdenken der Laserchirurgen existiert.
Gleichwohl wird mit dem Laser in manchen Operationssälen nach wie vor auf ahnungslose Herzkranke gezielt. Die einstigen Pioniere im Kreuzlinger Herzzentrum etwa bieten die TMLR weiterhin an. Das Verfahren wird Privatpatienten dort als „neue Hoffnung“ verkauft.
Überflüssige Behandlungen bilden die dunkle Seite der Medizin. Und sie sind verblüffend häufig.
Da kommen kranke Menschen und begeben sich in die Obhut der modernen Heilkunde. Sie sehen die blütenweißen Kittel, die bunten Pillen und die blitzenden Bestecke. Was jedoch erhalten sie im Austausch für ihr Vertrauen? 20 bis 40 Prozent aller Patienten, heißt es in der renommierten Medizinzeitschrift „New England Journal of Medicine“, werden medizinischen Prozeduren ausgesetzt, die ihnen keinen oder keinen nennenswerten Nutzen bringen.
Es geht nicht um Pannen, nicht um das auf der falschen Körperseite amputierte Bein, nicht um die im Bauchraum liegengelassenen Klemmen. Es geht um Heilversuche, von denen schon vorher klar ist, dass sie sinnlos oder gar abträglich sind. Es geht um Schwindel im System.
Niemand bestreitet den Nutzen der Medizin; niemand verkennt ihre großartigen Fortschritte, beispielsweise in der Transplantations- oder der Unfallchirurgie. Lungen-, Blut- und Hirnhautinfektionen verliefen früher meist tödlich und werden heute fast immer geheilt.
...
In manchen Praxen, der treuherzige Besucher ahnt nichts davon, ist das ganze Personal aufs Verhökern der zweifelhaften Angebote getrimmt. Die freundlichen Arzthelferinnen haben Verkaufsseminare besucht und sind direkt am IGeL-Umsatz beteiligt – auf dass sie dem älteren Publikum möglichst viele Aufbauspritzen und anderen Unfug andrehen.
...
So ist es in Kliniken Standard, Frauen,
die unter Brustkrebs leiden, Lymphknoten
aus den Achselhöhlen chirurgisch zu entfernen. Dieses gut gemeinte „Ausräumen“ soll das Krebsleiden eindämmen. Doch wie Studien ergaben, bringt der Eingriff keinerlei Überlebensvorteil. Aber er fügt den
Frauen Narben und offenbar größere Schmerzen zu, als vielen Operateuren bewusst ist. Häufig können die Patientinnen anschließend ihre Arme nicht mehr recht bewegen. Statt zu helfen, verschlechtert die Operation die Lebensqualität, sagen Mediziner vom Klinikum Großhadern der Universität München.
Gerade die Chirurgie ist ein Einfallstor
für sinnlose Verfahren. Das Schneiden und Sägen an Fleisch und Knochen sei wissenschaftlich schlecht begründet,...
...
• Selbst wenn sich beim Patienten gar kein positiver Effekt einstellt, können sich zweifelhafte Therapieversuche hartnäckig halten: Rückschläge im Krankheitsverlauf werden unbewusst ausgeblendet.
Wenn es einem Patienten nach einer Operation nicht besser geht, fragen sich Chirurgen oft weniger, ob sie überhaupt, sondern ob sie nicht noch mehr hätten schneiden sollen Heillose Medizin wird oft erst
aus der Distanz erkennbar, beispielsweise, wenn Gesundheitsforscher die geografische Verteilung medizinischer Prozeduren studieren. Ergebnis: Ob ein
Mensch operiert wird, hängt wesentlich davon ab, wo er wohnt. In Basel etwa praktizieren, bezogen auf die Einwohnerzahl, dreimal mehr Hals-Nasen-Ohren-Ärzte als im Kanton Graubünden. Als Folge leben 40 Prozent aller Erwachsenen in Basel inzwischen ohne Mandeln, aber nur 25 Prozent der Bündner. Der Anteil der Frauen ohne Gebärmutter liegt in der Schweiz doppelt so hoch wie in Frankreich – ein medizinischer Grund für diesen Unterschied ist nicht bekannt.
...
Pharmazie-Großhandel: 306 Wirkstoffe sind nötig, aber 2300 Substanzen auf dem Markt
...
Fänden sich Prozeduren, welche Ärzte überdurchschnittlich häufig an sich selbst durchführen lassen, wäre das ein Hinweis auf Unterversorgung: Sinnvolle Heilverfahren würden dem gemeinen Patienten vorenthalten. Gäbe es umgekehrt aber
Eingriffe, welche Doktoren für sich selbst nicht so häufig in Anspruch nehmen, wäre das ein Hinweis auf unbekömmliche Medizin.
Gemeinsam mit Kollegen aus Zürich verglich Domenighetti die Häufigkeit von sieben gängigen Eingriffen unter 5300 Menschen vergleichbarer Gesundheit. Es ging um Mandeloperationen, Entfernungen des Blinddarmfortsatzes, Ausschabungen (Kürettagen) sowie Amputationen der Gebärmutter, Entnahmen der Gallenblase, Behandlungen des Leistenoder Nabelbruchs und Operationen von Hämorrhoiden.
Das Ergebnis: Mit Ausnahme der Blinddarmentnahme waren Menschen der Gesamtbevölkerung durchweg häufigerunters Messer geraten als die Ärzte und
deren Familienmitglieder. Bei Mandelentfernungen sind es für den normalen Bürger 46 Prozent mehr Operationen, bei Leistenbrüchen 53 Prozent mehr Eingriffe und bei Gallenblasenentfernungen sogar 84 Prozent mehr Operationen.
Alles in allem lag die Häufigkeit der Eingriffe bei medizinischen Laien durchschnittlich um 33 Prozent höher. Das lässt vermuten: Ein Drittel dieser so geflissentlich ausgeführten Operationen sindreiner Überfluss.
Neben Ärzten fand sich interessanterweise noch eine Gruppe, die seltener als der einfache Bürger operiert wurde: die Gruppe der Anwälte. Gegenüber diesen„Risikopatienten“ ließen Ärzte ganz bewusst Zurückhaltung walten, glaubt Domenighetti: Juristen könnten sich besser als andere Bürger wehren, wenn eine überflüssige Operation böse endet.
In Deutschland, befürchtet der Allgemeine Patienten-Verband in Marburg, werden jedes Jahr etwa 100000 Menschen falsch behandelt, 25000 von ihnen sterben demnach einen iatrogenen („durch den
Arzt verursachten“) Tod. Der geringere Teil geht zurück auf Kunstfehler, der größere Teil passiert als Konsequenz überflüssiger und ungerechtfertigter Prozeduren.
Wäre es am Ende also gar nicht so schlimm, wenn die Medizin schrumpfte, wenn die Spitäler einfach mal geschlossen blieben?
Im Frühjahr 2000 streikten in Israel Krankenhausärzte viele Wochen lang. Hunderttausende Untersuchungen fanden nicht statt, Zehntausende Operationen wurden
verschoben oder abgesagt. Die Notaufnahmen, Dialyseabteilungen, Krebsstationen und Abteilungen für Neonatologie und Geburtshilfe blieben geöffnet, ansonsten aber wurden die Menschen abgewiesen. Sie gingen wieder häufiger zum Familiendoktor oder blieben zu Hause.
Wie eine Umfrage unter Israels größten
Bestattungsunternehmen ergab, hatte das Folgen: Die Mortalität in fast allen Landesteilen sank beträchtlich, es wurde seltener gestorben.
Jörg Blech
Es geht im Folgenden nicht darum, Panik zu verbreiten. Es geht um Information. Aus den verschiedenen erwähnten schlimmen Ereignissen oder üblichen fehlerhaften Verfahrensweisen, soll der Einzelne Rückschlüsse auf seine eigene Situation ziehen können. Ein gutes Beispiel findet sich in der später folgenden Diskussion über die Unterschiede/Vorteile/Nachteile von gesetzlicher und privater Krankenversicherung (Klaus (A) #6). So ist der Privatversicherte besonders gefährdet, übertherapiert zu werden, weil dort noch mehr Geld als beim gesetzlichen Versicherten zu holen ist. Es lässt sich auch gut erkennen, dass viele Behandlungen gänzlich überflüssig sind und zu erheblichen Nebenwirkungen und Folgeschäden führen. Man muss sich informieren und darf Ärzten (wie auch allen anderen Berufsgruppen) nicht einfach glauben.
Alles Gute wünscht Wolfgang
Hallo Liebe Forumsleser,
heute habe ich zufällig wieder einen Artikel in die Hand bekommen, den ich mir mal im Jahr 2005 aufgehoben habe. Da sich mit Sicherheit nichts geändert hat, stelle ich ein paar Auszüge ins Forum. Und, Ähnlichkeiten mit der Urologie sind natürlich rein zufällig.
Im Internet gibt es einen Link zu der originalen pdf-Fassung: http://kurse.fh-regensburg.de/kurs_2...-29SPIEGEL.pdf
Der Autor heißt Jörg Blech.
Ich wünsche (nicht) viel Spaß beim Lesen, Wolfgang
DER SPIEGEL "Schattenseite der Medizin" vom 29.08.2005
ausschnittsweise einige wörtliche Zitate: "
Systematisch werden Rücken-, Herz- oder Kniepatienten nutzlosen Verfahren ausgesetzt. Viele Therapieversuche beruhen auf Trugschlüssen oder finanziellen Interessen. Deutlich wird dies, wenn Ärzte zu Patienten werden: Sie lassen sich seltener behandeln als der Rest der Bevölkerung. Mit einer Laserkanone feuert der Arzt Dierk Maass auf schlagende Herzen, jeweils 20 bis 30 Löcher. Weiße Rauchwölkchen steigen aus dem Brustkorb des Patienten. Um die Wunden zu verschließen, legt der Professor bloß den Finger auf die Einschussstellen. Die Laserlöcher sollen im Pumporgan kleinste Blutgefäße sprießen lassen und das malade Herz mit frischem Sauerstoff versorgen.
...
Doch eines Tages erschien in der Fachzeitschrift „Lancet“ ein Aufsatz über den rauchenden Herzlaser. In einer klinischen Studie hatten britische Ärzte 188 herzkranke Testpersonen in zwei Gruppen unterteilt. Der einen Hälfte ließen sie die TMLR und die herkömmliche Medikamententherapie angedeihen; die andere Hälfte behandelten sie nur mit Medikamenten.
Und so erging es den Probanden nach zwölf Monaten: Weder im Belastungs-EKG noch bei einem Lauftest ergab sich ein Vorteil für das Lasergeschütz. Im Gegenteil, es traten schlimme Komplikationen auf: 5 Prozent der Menschen waren während des Strahlenbeschusses oder sofort danach
gestorben; insgesamt überlebten nur 89 Prozent der Gelaserten das erste Jahr. Den Patienten der Kontrollgruppe erging es da besser: Von ihnen waren noch 96 Prozent am Leben. Das Fazit der 1999 veröffentlichten Studie war eindeutig: „Die Anwendung des TMLR-Verfahrens kann nicht befürwortet werden.
Neue Blutgefäße, das offenbarten Untersuchungen von behandelten Herzen, waren durch den Beschuss gar nicht entstanden – sie hatten nur im Wunschdenken der Laserchirurgen existiert.
Gleichwohl wird mit dem Laser in manchen Operationssälen nach wie vor auf ahnungslose Herzkranke gezielt. Die einstigen Pioniere im Kreuzlinger Herzzentrum etwa bieten die TMLR weiterhin an. Das Verfahren wird Privatpatienten dort als „neue Hoffnung“ verkauft.
Überflüssige Behandlungen bilden die dunkle Seite der Medizin. Und sie sind verblüffend häufig.
Da kommen kranke Menschen und begeben sich in die Obhut der modernen Heilkunde. Sie sehen die blütenweißen Kittel, die bunten Pillen und die blitzenden Bestecke. Was jedoch erhalten sie im Austausch für ihr Vertrauen? 20 bis 40 Prozent aller Patienten, heißt es in der renommierten Medizinzeitschrift „New England Journal of Medicine“, werden medizinischen Prozeduren ausgesetzt, die ihnen keinen oder keinen nennenswerten Nutzen bringen.
Es geht nicht um Pannen, nicht um das auf der falschen Körperseite amputierte Bein, nicht um die im Bauchraum liegengelassenen Klemmen. Es geht um Heilversuche, von denen schon vorher klar ist, dass sie sinnlos oder gar abträglich sind. Es geht um Schwindel im System.
Niemand bestreitet den Nutzen der Medizin; niemand verkennt ihre großartigen Fortschritte, beispielsweise in der Transplantations- oder der Unfallchirurgie. Lungen-, Blut- und Hirnhautinfektionen verliefen früher meist tödlich und werden heute fast immer geheilt.
...
In manchen Praxen, der treuherzige Besucher ahnt nichts davon, ist das ganze Personal aufs Verhökern der zweifelhaften Angebote getrimmt. Die freundlichen Arzthelferinnen haben Verkaufsseminare besucht und sind direkt am IGeL-Umsatz beteiligt – auf dass sie dem älteren Publikum möglichst viele Aufbauspritzen und anderen Unfug andrehen.
...
So ist es in Kliniken Standard, Frauen,
die unter Brustkrebs leiden, Lymphknoten
aus den Achselhöhlen chirurgisch zu entfernen. Dieses gut gemeinte „Ausräumen“ soll das Krebsleiden eindämmen. Doch wie Studien ergaben, bringt der Eingriff keinerlei Überlebensvorteil. Aber er fügt den
Frauen Narben und offenbar größere Schmerzen zu, als vielen Operateuren bewusst ist. Häufig können die Patientinnen anschließend ihre Arme nicht mehr recht bewegen. Statt zu helfen, verschlechtert die Operation die Lebensqualität, sagen Mediziner vom Klinikum Großhadern der Universität München.
Gerade die Chirurgie ist ein Einfallstor
für sinnlose Verfahren. Das Schneiden und Sägen an Fleisch und Knochen sei wissenschaftlich schlecht begründet,...
...
• Selbst wenn sich beim Patienten gar kein positiver Effekt einstellt, können sich zweifelhafte Therapieversuche hartnäckig halten: Rückschläge im Krankheitsverlauf werden unbewusst ausgeblendet.
Wenn es einem Patienten nach einer Operation nicht besser geht, fragen sich Chirurgen oft weniger, ob sie überhaupt, sondern ob sie nicht noch mehr hätten schneiden sollen Heillose Medizin wird oft erst
aus der Distanz erkennbar, beispielsweise, wenn Gesundheitsforscher die geografische Verteilung medizinischer Prozeduren studieren. Ergebnis: Ob ein
Mensch operiert wird, hängt wesentlich davon ab, wo er wohnt. In Basel etwa praktizieren, bezogen auf die Einwohnerzahl, dreimal mehr Hals-Nasen-Ohren-Ärzte als im Kanton Graubünden. Als Folge leben 40 Prozent aller Erwachsenen in Basel inzwischen ohne Mandeln, aber nur 25 Prozent der Bündner. Der Anteil der Frauen ohne Gebärmutter liegt in der Schweiz doppelt so hoch wie in Frankreich – ein medizinischer Grund für diesen Unterschied ist nicht bekannt.
...
Pharmazie-Großhandel: 306 Wirkstoffe sind nötig, aber 2300 Substanzen auf dem Markt
...
Fänden sich Prozeduren, welche Ärzte überdurchschnittlich häufig an sich selbst durchführen lassen, wäre das ein Hinweis auf Unterversorgung: Sinnvolle Heilverfahren würden dem gemeinen Patienten vorenthalten. Gäbe es umgekehrt aber
Eingriffe, welche Doktoren für sich selbst nicht so häufig in Anspruch nehmen, wäre das ein Hinweis auf unbekömmliche Medizin.
Gemeinsam mit Kollegen aus Zürich verglich Domenighetti die Häufigkeit von sieben gängigen Eingriffen unter 5300 Menschen vergleichbarer Gesundheit. Es ging um Mandeloperationen, Entfernungen des Blinddarmfortsatzes, Ausschabungen (Kürettagen) sowie Amputationen der Gebärmutter, Entnahmen der Gallenblase, Behandlungen des Leistenoder Nabelbruchs und Operationen von Hämorrhoiden.
Das Ergebnis: Mit Ausnahme der Blinddarmentnahme waren Menschen der Gesamtbevölkerung durchweg häufigerunters Messer geraten als die Ärzte und
deren Familienmitglieder. Bei Mandelentfernungen sind es für den normalen Bürger 46 Prozent mehr Operationen, bei Leistenbrüchen 53 Prozent mehr Eingriffe und bei Gallenblasenentfernungen sogar 84 Prozent mehr Operationen.
Alles in allem lag die Häufigkeit der Eingriffe bei medizinischen Laien durchschnittlich um 33 Prozent höher. Das lässt vermuten: Ein Drittel dieser so geflissentlich ausgeführten Operationen sindreiner Überfluss.
Neben Ärzten fand sich interessanterweise noch eine Gruppe, die seltener als der einfache Bürger operiert wurde: die Gruppe der Anwälte. Gegenüber diesen„Risikopatienten“ ließen Ärzte ganz bewusst Zurückhaltung walten, glaubt Domenighetti: Juristen könnten sich besser als andere Bürger wehren, wenn eine überflüssige Operation böse endet.
In Deutschland, befürchtet der Allgemeine Patienten-Verband in Marburg, werden jedes Jahr etwa 100000 Menschen falsch behandelt, 25000 von ihnen sterben demnach einen iatrogenen („durch den
Arzt verursachten“) Tod. Der geringere Teil geht zurück auf Kunstfehler, der größere Teil passiert als Konsequenz überflüssiger und ungerechtfertigter Prozeduren.
Wäre es am Ende also gar nicht so schlimm, wenn die Medizin schrumpfte, wenn die Spitäler einfach mal geschlossen blieben?
Im Frühjahr 2000 streikten in Israel Krankenhausärzte viele Wochen lang. Hunderttausende Untersuchungen fanden nicht statt, Zehntausende Operationen wurden
verschoben oder abgesagt. Die Notaufnahmen, Dialyseabteilungen, Krebsstationen und Abteilungen für Neonatologie und Geburtshilfe blieben geöffnet, ansonsten aber wurden die Menschen abgewiesen. Sie gingen wieder häufiger zum Familiendoktor oder blieben zu Hause.
Wie eine Umfrage unter Israels größten
Bestattungsunternehmen ergab, hatte das Folgen: Die Mortalität in fast allen Landesteilen sank beträchtlich, es wurde seltener gestorben.
Jörg Blech
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