Vorwort:
Zunächst habe ich gezögert, das genannte Thema hier einzustellen, da es wenig Bezug zu unserer Krankheit aufzuweisen scheint. Aber es betrifft früher oder später jeden von uns, da wir alle sterblich sind. Unsere heutige Gesellschaft hat es verlernt, sich mit dem Sterben auseinander zu setzen, obwohl es untrennbar zum Leben gehört.
Für zusätzliche Problematik sorgt die demografische Entwicklung; immer mehr Menschen erreichen ein hohes Alter, damit aber auch ein Stadium, in welchem sie ohne fremde Hilfe nicht mehr zurechtkommen. Diese Situation, der Mangel an qualifiziertem Fachpersonal und die damit verbundene Kostenentwicklung erzeugen düstere Perspektiven für die Zukunft.
Deshalb ist es m.E. wichtig, sich rechtzeitig mit dieser Problematik zu befassen, um im Alter nicht völlig hilflos einem drohenden Verfall ausgeliefert zu sein. Es ist eine Herausforderung, hierfür Prioritäten zu setzen, die den persönlichen Vorstellungen entsprechen.
Für mich hat Selbstbestimmung bis zuletzt einen hohen Stellenwert und ich versuche nachstehend, meine Argumente hierfür darzulegen. Sie wurden u.a. auch von 11 Jahren Konfrontation mit dem Thema Prostatakrebs geprägt.
Ich erwarte keine uneingeschränkte Zustimmung, hoffe aber, gerade in einem Krebsforum auf Interesse und Resonanz zu stoßen. Korrekturen sind ebenso willkommen wie Anregungen und Ergänzungen.
Ausgangssituation:
Trotz meiner 81 Lebensjahre, trotz Prostatakrebs und etlicher altersbedingter Mängel war ich bisher mit meiner Lebenssituation relativ zufrieden.
Zusammen mit meiner Frau bemühte ich mich, durch verantwortungsvollen Umgang mit der Gesundheit, vernünftige Lebensweise und körperliches Training, Abbauprozesse in Grenzen zu halten und verband damit die Vorstellung, dass wir uns möglichst lange selbständig im eigenen Haus behaupten können.
Unabhängigkeit, Mobilität und Selbstbestimmung sind für uns Werte von höchster Priorität.
Wir hatten schon lange ein Testament abgefasst, uns gegenseitig Vorsorgevollmachten erteilt, Patientenverfügungen erstellt und eine Bestattungsverfügung getroffen, um für einen Unfall vorgesorgt zu haben. Aber Gedanken an massive Einschränkungen oder das Ende des Lebens hatten immer noch theoretischen Charakter.
Ein Vorfall der jüngsten Zeit hat mich jedoch zutiefst erschreckt und massive Spuren hinterlassen.
Während eines Urlaubs in der Türkei wurden wir Beide mit einer heftigen Magen - Darmattacke konfrontiert.. Bei mir entstand für einige Tage ein derartiger Schwächezustand, wie ich ihn in dieser Form noch nie auch nur annähernd erlebt hatte. Ich war kaum imstande, mich auf den Beinen zu halten (die bereits durch eine Polyneuropathie vorgeschädigt sind), musste mich beim mühseligen Trippeln zur Toilette überall festhalten und zitterte zeitweise wie Espenlaub.
Plötzlich musste ich erleben, dass sehr schnell ein Stadium eintreten kann, in dem die Eigenständigkeit zur Illusion wird. Der geschilderte Vorfall ist deutlicher Anlass, mich konkreter als bisher mit den Risiken und Optionen des hohen Alters auseinander zu setzen.
Die nachfolgenden Zeilen entspringen meinem Bedürfnis, eigene Gedanken und recherchiertes Wissen schriftlich festzuhalten und zu strukturieren. Das Formulieren erleichtert mir die Konzentration und fördert das Verständnis.
Das Ergebnis ist ein erster Entwurf, der als Gerüst für Gespräche mit meiner Frau, mit den Kindern, mit weiteren Interessierten, evtl. auch als Leitschnur für Arztgespräche dienen soll.
Alter:
Der Alterungsprozess ist unvermeidbar; er entwickelt sich schleichend, sodass die Wahrnehmung in vielen Bereichen erst mit Verzögerung stattfindet.
Kraft und Ausdauer, Konzentration und Gedächtnis lassen nach, das Befinden schwankt, alles nimmt mehr Zeit in Anspruch und die Arzttermine häufen sich. Ein großer Teil der verfügbaren Energie wird für die Bewältigung banaler Alltagsaufgaben benötigt.
Altern ist nicht nur ein körperlicher Vorgang; es verlangt auch mentale Arbeit. Man muss bereit und imstande sein, Erwartungen und Ansprüche zu reduzieren. Man muss lernen, zu akzeptieren, dass viele Fähigkeiten, darunter auch Wahrnehmungs- und Empfindungs- Sensibilität nachlassen und Vieles endgültig der Vergangenheit angehört.
Gleichzeitig findet ein Anpassungsprozess statt, der bewirkt, dass man sich mit vielen kleinen Defiziten arrangiert. Man wird bescheidener in seinen Erwartungen und toleranter in Bezug auf eigene Schwächen und die des Partners.
Es wird erforderlich, sich Gedanken darüber zu machen, mit welchen Maßnahmen man sich Erleichterung bzw. Unterstützung verschaffen kann, die noch ein denkbares Maximum an Selbstbestimmung ermöglichen.
Hier tritt zunächst die Form des Wohnens in den Vordergrund und man steht vor der schwierigen Entscheidung, ob man möglichst lange in der vertrauten Umgebung leben möchte oder den Umzug in ein Heim mit betreutem Wohnen bevorzugt.
Betreutes Wohnen klingt zunächst gut: Keine Hausarbeit, keine Gartenarbeit, keine Reparaturen, keine Treppen und Hilfe im Bedarfsfall.
Die Nachteile sind: Verlust der vertrauten Umgebung (die mit viel Liebe nach den eigenen Bedürfnissen gestaltet wurde), starke räumliche Einschränkung, Eingewöhnungszwang in ein völlig neues Umfeld. Es wäre eine äußerst drastische Umstellung zu verkraften, die nicht mehr reversibel wäre. Zusätzlich muss die Kostenseite berücksichtigt werden, die schnell Grenzen hinsichtlich der Gestaltung setzt.
Möglichst lange im eigenen Haus zu leben, erscheint umso erstrebenswerter, je mehr man sich mit den Alternativen beschäftigt. Man muss bereit sein - wie bereits erwähnt - Kompromisse zu schließen und Hilfe in Form von ambulanten Diensten in Anspruch zu nehmen.
Die Grenzen zwischen Selbst- und Fremdbestimmung beginnen aufzuweichen.
Fakten:
Die moderne Medizin macht es möglich, dass Menschen heute 90 Jahre und älter werden. Es bestehen Visionen dahingehend, dass die biologische Grenze des Menschen bei 120 Jahren liegt.
So faszinierend und hilfreich die Ergebnisse der medizinischen Forschung sind, so ist doch die Kehrseite der Entwicklung nicht zu übersehen. Im Alter treten Krankheiten auf, die man früher überhaupt nicht kannte und trotz aller Therapien entwickelt sich früher oder später ein Zustand der "Multi - Morbidität", der langsam aber sicher zum körperlichen und geistigen Verfall führt.
Die durchschnittliche Lebenserwartung in Mitteleuropa stieg seit 1840 um 40 Jahre!
Das Verhältnis zwischen Alt und Jung wird bis 2050 wie folgt erwartet:
80 Personen über 60 Jahre zu 40 Personen zwischen 20 - 59 Jahre.
Die Gesamtzahl der auf der Welt lebenden Menschen hat sich innerhalb (m)einer Lebensspanne von 2 auf rund 8 Milliarden vervierfacht!
Selbst bei gebremstem Wachstum ist die weitere Entwicklung nicht vorstellbar!
Pflege:
Die Zahl der pflegebedürftigen Bundesbürger liegt nach Angaben des Statistischen Amtes heute bereits bei 2.4 Millionen und bis 2030 wird sich die Anzahl verdoppeln!
Wenn man den Mut hat, weiter zu rechnen, kommt man auf erschütternde Zukunftsperspektiven in durchaus absehbarer Zeit!!! Die zwangläufige Folge ist ein dramatischer Mangel an Pflegepersonal und eine Kostenexplosion, die nicht mehr finanzierbar ist.
Pflegebedürftigkeit ist nicht vorhersehbar. Sie kann plötzlich durch eine Krankheit oder einen Unfall eintreten, sich aber im hohen Alter auch allmählich einschleichen.
Sie verändert nicht nur das Leben des Betroffenen, sondern auch das der Angehörigen dramatisch. Pflegende Angehöre - soweit vorhanden - sind einer enormen physischen und psychischen Belastung ausgesetzt; nicht selten erkranken sie dadurch selbst.
In vielen Fällen bleibt nur die Unterbringung in einem Pflegeheim.
Allein der Gedanke, unter Verlust jeglicher Privatsphäre tagtäglich von ähnlich oder noch schlimmer Betroffenen umgeben zu sein und dieser Atmosphäre nicht mehr entrinnen zu können, ist ein Albtraum!
Der Gedanke, bei den elementarsten Verrichtungen auf fremde Menschen angewiesen zu sein, ist der pure Horror.
Die Vorstellung, in Windeln und mit Magensonde, in einem Milieu der Hoffnungslosigkeit dahin zu vegetieren, ist unerträglich.
Ebenso unvorstellbar ist es, den Verfall der Persönlichkeit durch Demenz durchleben zu müssen. Offen ist die Frage, wer dabei mehr leiden würde, der Betroffene oder der Partner.
Ein Leben unter solchen Voraussetzungen erscheint uns nicht mehr lebenswert und wir werden versuchen, alles zu tun, um dieses Stadium zu vermeiden.
Lieber selbstbestimmt sterben als fremdbestimmt leben!
Sterbehilfe:
Das Grundrecht des Menschen auf Selbstbestimmung führt zwangsläufig zum Thema Sterbehilfe. Sie ist für mich die konsequente Folgerung aus der geschilderten Problematik. Jeder Mensch sollte für sich das Recht haben, zu entscheiden, wann er sein Leben beenden will, egal aus welchen Gründen.
Es ist für mich unverständlich, warum Gesellschaft, Staat und Kirche diesem Thema so restriktiv gegenüberstehen.
Das Argument "die Ehrfurcht vor dem Leben" verbiete eine solche Lösung, erscheint mir nicht nur unpassend, sondern ausgesprochen verlogen.
Wo bleibt die Ehrfurcht vor dem Leben, wenn dieselbe Gesellschaft Waffen produziert, Kriege führt, Diktatoren unterstützt und Menschen in Entwicklungsländern verhungern lässt, um selbst Macht und Reichtum zu erlangen???
Auch der gerne gewählte Bezug zur Nazi-Vergangenheit ist nicht zutreffend. Damals ging es um politische Verbrechen, die durch nichts zu entschuldigen sind. Es war staatlich angeordneter und durchgeführter Massenmord, also Fremdbestimmung über das Leben anderer. Dies hat mit Sterbehilfe nichts zu tun.
Immer wieder werden Sterbehilfe und Abtreibung auf eine Stufe gestellt mit der Begründung, es gehe in beiden Fällen um "Verfügbarkeit über menschliches Leben". Auch diese Behauptung ist unzutreffend, denn auch bei der Abtreibung geht es um Fremdbestimmung.
Es wird argumentiert, dass es zu einem Dammbruch kommen könne, wenn man Hilfe zum Suizid legalisiert.
Im US-Bundesstaat Oregon ist seit 1998 ein Gesetz in Kraft, welches unheilbar Kranken die Beihilfe zum Suizid durch ein ärztlich verschriebenes tödliches Mittel ermöglicht. Bezogen auf die Gesamtzahl aller Verstorbenen in Oregon machten nur 0,17% von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Auch in der Schweiz sprechen die Zahlen gegen das Dammbruch - Argument.
Seit Gründung von Dignitas 1998 bis 2009 haben insgesamt 1.041 Menschen die Möglichkeit der Freitodbegleitung genutzt. 2009 haben Exit und Dignitas zusammen 306 Freitodbegleitungen durchgeführt. Im Vergleich zur Gesamtzahl aller 2009 in der Schweiz Verstorbenen entspricht dies einem Anteil von 0.5%.
Ein weiteres Argument lautet: "Ein Arzt, der einem Schwerstkranken zum Suizid hilft, verstößt gegen die ärztlichen Standesrichtlinien".
Eine von der Bundesärztekammer in Auftrag gegebene Umfrage bei Ärzten hat gezeigt, dass immerhin mehr als ein Drittel (37%) der befragten Ärzte bereit wäre, bei einem Suizid Hilfe zu geben.
Bisher wussten oft die Ärzte selbst nicht genügend über ihre Möglichkeiten der Hilfe beim und zum Sterben bei Schwerstkranken Bescheid, ebenso wenig wie die Pfleger. Das lag und liegt auch an Mängeln in der Ausbildung in Schmerztherapie, in ärztlicher Ethik und Medizinrecht, die erst langsam im Medizinstudium und in der Ausbildung des Pflegepersonals Eingang finden.
Das im September 2009 erlassene Patientenverfügungsgesetz schafft mehr Rechtssicherheit für Ärzte und pflegendes Personal. Es wurde durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom Juni 2010 bestätigt.
Der Wille des Patienten ist das entscheidende Kriterium für einen zulässigenBehandlungsverzicht und muss berücksichtigt werden. Der Behandlungsverzicht ist möglich durchBehandlungsabbruch, Behandlungsunterlassung oder Behandlungsbegrenzung.
Eine Unterscheidung zwischen aktivem Tun und Unterlassung findet beim Behandlungsverzicht nicht statt. Das Unterlassen einer Operation ist genauso zulässig wie das Entfernen einer Magensonde, das Abschalten eines Beatmungsgerätes oder eines Herzschrittmachers.
Dies sind kleine Fortschritte, aber sie reichen nicht aus. Das Recht auf ein selbstbestimmtes menschenwürdiges Sterben muss für alle Fälle gewährleistet sein. Deshalb bleibt die Forderung nach Legalisierung der aktiven Sterbehilfe bzw. ärztliche Beihilfe zum Suizid aufrecht erhalten.
Suizid:
Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass es weltweit etwa eine Million Suizide pro Jahr gibt. Die Zahl der Suizidversuche liegt gegenüber den vollendeten Suiziden im Mittel um einen Faktor 10 bis 15 höher. wobei hierbei mit hohen Dunkelziffern zu rechnen ist.
In Deutschlang liegt die Anzahl der vollendeten Suizide bei knapp 10.000 pro Jahr. Somit ist eine Größenordnung von etwa 100.000 - 150.000 gescheiterten Suizidversuchen zu vermuten, das sind Tag für Tag 3 - 400 Fälle!
Die Suizidrate von Ärzten ist bis zu 3,5mal höher als die anderer Bürger. Neben der berufsbedingten dauerhaften Beschäftigung mit belastenden Themen wie Krankheit und Tod ist eine mögliche Erklärung für diese hohe Rate, dass Ärzte sowohl die Kenntnisse als auch Zugang zu Mitteln zur Ausführung eines Suizids besitzen, über die andere Bevölkerungsgruppen nicht verfügen.
Die Zahl der Suizide steigt mit dem Alter. Es ist davon auszugehen, dass die Häufigkeit von Suiziden im Alter deutlich unterschätzt wird. Es erscheint nachvollziehbar, dass ein Mensch seinem langen Leben ein Ende setzen möchte.
Viele Methoden, welche in einer als aussichtslos empfundener Lage praktiziert werden, sind inhuman, wie Erhängen, Vergiften, Sturz von hohen Gebäuden oder vor einen fahrenden Zug. Letzteres ist zusätzlich eine schwere seelische Belastung des zufällig beteiligten Bahnpersonals.
Viele Personen schädigen sich dabei nachhaltig körperlich und oft auch geistig, mit schwersten emotionellen und finanziellen Folgen für sich selbst, ihre Familien, aber auch für das Gesundheitswesen und die Volkswirtschaft.
Andererseits wären Medikamente vorhanden, die ein schmerzloses Einschlafen und damit ein selbstbestimmtes, friedliches und humanes Sterben in heimischer Umgebung ermöglichen könnten. Diese dürfen aber nach den Bestimmungen des Arznei- und Betäubungsmittelrechts zur Beendigung menschlichen Lebens nicht eingesetzt werden (sehr wohl aber in der Tiermedizin!).
Es zeugt auch von einer sonderbaren Moral, dass das für die Sterbebegleitung in der Schweiz vorwiegend verwendete Medikament Natrium-Pentobarbital in Deutschland hergestellt wird!
Glaube und Religion:
Immer wieder tauchen die Fragen auf, ob die Vielfalt der Natur einer höheren Ordnung entspringt und welchen Sinn das menschliche Leben hat.
Kausalität hat für mich einen hohen Stellenwert und ich neige dazu, nach einem "Warum" zu fragen. In vielen Fällen finde ich keine Antwort, wobei die Frage offen bleibt, ob ein höheres Bildungsniveau zu besseren Ergebnissen oder eher zu weiteren Fragen führen würde.
Unterschiedliche Religionsformen bieten Erklärungen durch einen Gott, der das Universum schuf und dem Menschen darin eine privilegierte Rolle zuteilte. Diese geht so weit, dass ihm nach seinem irdischen Tod das ewige Leben in Aussicht gestellt wird.
Wenn Menschen an eine höhere Macht glauben, die ihr Schicksal bestimmt, so kann dies in der Not eine große Hilfe sein und ich bin nicht so vermessen, dies bewerten zu wollen.
Allerdings wird es dann kritisch, wenn dieser Glaube dazu führt, keinerlei Eigenverantwortung zu übernehmen.
Die Vorstellung, dass ein Gott den Menschen als etwas Einmaliges geschaffen hat, aber Krieg, Not, Krankheit und Leid jeglicher Art zulässt, um ihn zu prüfen, ist für mich nicht akzeptabel.
Wenn der Glaube als Erklärung anbietet, dass Gott durch das Leid diejenigen besonders prüft, die er liebt, dann ist meine Toleranz überfordert.
Ich betrachte den Menschen als ein Produkt der Evolution, als unbedeutendes Mosaiksteinchen eingebunden in die Aufgabe, für die Erhaltung der Art nützlich zu sein.
Dies schließt nicht aus, dass wir unsere Fähigkeiten und Emotionen dazu nützen, um unsere Lebensspanne mit (für uns) wertvollen Inhalten zu versehen.
Religion betrachte ich als Menschenwerk, geschaffen aus der Angst vor dem Nichts und der Nicht - Akzeptanz der eigenen Bedeutungslosigkeit. Sie hat sich zu einem mächtigen Werkzeug entwickelt, um Menschen zu manipulieren, im positiven wie auch im negativen Sinn.
Ich kann und möchte nicht ausschließen, dass es evtl. eine höhere Ordnung gibt, die unser Universum steuert. Allerdings bin ich felsenfest davon überzeugt, dass sie dann von einer Komplexität ist, die unser Verstand auch nicht annähernd wahrnehmen, geschweige denn verstehen kann.
Evolution:
Wir sind den Gesetzmäßigkeiten der Natur unterworfen, deren vorrangiges Ziel es ist, den Fortbestand des Lebens zu gewährleisten.
Hierfür betreibt sie einen unvorstellbaren Aufwand und erreicht ihr Ziel durch eine unendliche Vielzahl von Strategien und Techniken, die ausschließlich dazu geschaffen sind, Impulse für die Fortpflanzung auszulösen.
Dies gilt für alle Lebewesen; der Mensch ist voll in dieses Schema eingebunden.
Die betörenden Reize des anderen Geschlechts, das beglückende Gefühl der Verliebtheit, der unbändige Drang zur Vereinigung, die höchste Lust sexueller Erfüllung sind Höhepunkte menschlicher Emotionen, aber letztendlich Erfüllungsgehilfen der Natur, die dazu beitragen, das gewünschte Ziel - die Fortpflanzung - zu erreichen.
Hier werden unausweichlich Prozesse ausgelöst, die im Erbgut verankert sind. Die moderne Genforschung zeigt die Strukturen und ungeheure Vielfalt der gespeicherten Informationen.Die Programme, die zur Vereinigung, Schwangerschaft, Geburt und Erziehung führen, sind "Premium - Programme" von höchster Priorität.
Ist der Zweck - neues Leben zu schaffen - erreicht, so hat das Individuum seinen biologischen Zweck erfüllt und verliert für die Natur an Bedeutung. Es laufen dann nur noch die Basisprogramme zur Aufrechterhaltung von lebenswichtigen Funktionen, deren Effizienz im Lauf der Zeit nachlässt, sodass die bekannten Abbauprozesse auftreten, die letztlich zum Ende führen.
Man könnte der Natur zum Vorwurf machen, dass sie das Finale nicht so sorgfältig ausgestattet hat wie die Ouvertüre. Man darf dabei aber nicht übersehen, dass der Mensch sich überall eingeschaltet und die ursprünglichen Baupläne gewaltig verändert hat.
Es gab noch zu keinem Zeitraum in der Geschichte der Menschheit innerhalb e i n e r Lebensspanne so viele und gravierende Veränderungen wie in den letzten Jahrzehnten.
Forschung, Medizin, Technik, Wirtschaft und viele andere Bereiche haben sich in atemberaubendem Tempo entwickelt und zu teils dramatischen Veränderungen geführt.
Der Mensch ist dabei, die ganze Welt zu verändern, um sie zu beherrschen. Gewalt, Terror, Hunger und Elend beherrschen große Teile unserer Erde. Vielfach liegen die Ursachen im Streben nach Macht und Reichtum, in Ignoranz, Rücksichtslosigkeit und Dummheit.
Albert Einstein sagte bereits Anfang des letzten Jahrhunderts:
"Wir leben in einem gefährlichen Zeitalter; der Mensch beherrscht die Natur, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen".
Fazit:
Ich bin dankbar für ein erfülltes Leben.
Mein größter Aktivposten war und ist eine Partnerschaft, die sich in allen Lebenslagen bewährt und meinem Leben Inhalt und Bereicherung gegeben hat.
Ein halbes Jahrhundert mit einem geliebten Menschen zusammen zu sein und mit ihm alles zu teilen – Hoffnungen, Erwartungen, Freude, Erfolg, aber auch Enttäuschungen und Schmerz – dies ist eine Erfüllung, welche vielen Paaren heute nicht mehr vergönnt ist.
Nach einem arbeitsreichen Berufsleben konnte ich mit 60 Jahren einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Ein bescheidener Wohlstand ermöglichte uns Freiheit und Unabhängigkeit.
Die folgenden 10 Jahre waren die schönsten in unserem gemeinsamen Leben, ausgefüllt mit Hobbys, Reisen und hoher Lebensqualität.
Bis zur Prostatakrebs - Diagnose im 70. Lebensjahr war ich völlig gesund und 100%ig fit.
Eine Krebserkrankung rechtzeitig zu entdecken und sie 11 Jahre im Griff zu halten, ist eine gelungene Mischung aus Glück und praktizierter Eigenverantwortung.
Ich möchte keine 100 Jahre alt werden.
Weitere fünf oder sechs Jahre in ausreichender Selbstbestimmung sind zur Abrundung willkommen. Jede weitere Verlängerung wäre wohl vom Verfall dominiert und würde die Gesamtbilanz trüben.
Ich akzeptiere meine Endlichkeit.
Ich erwarte nichts anderes als ein großes NICHTS.
Es ist der Gegenbegriff zum SEIN. Es gibt kein Bewusstsein und keine Wahrnehmung, somit auch kein Bedauern, keine Enttäuschungen, keine Defizite und kein Leid.
Es besteht keinerlei Anlass, dieses NICHTS zu fürchten.
Ich werde mich bemühen, informiert und vorbereitet zu sein, um ein hilfloses Ausgeliefertsein am Lebensende zu vermeiden.
Die Auseinandersetzung mit der Problematik und das Wissen um Alternativen reduziert diffuse Ängste und trägt dazu bei, die Lebensqualität der letzten Jahre zu verbessern.
Grüße an alle
Helmut
Zunächst habe ich gezögert, das genannte Thema hier einzustellen, da es wenig Bezug zu unserer Krankheit aufzuweisen scheint. Aber es betrifft früher oder später jeden von uns, da wir alle sterblich sind. Unsere heutige Gesellschaft hat es verlernt, sich mit dem Sterben auseinander zu setzen, obwohl es untrennbar zum Leben gehört.
Für zusätzliche Problematik sorgt die demografische Entwicklung; immer mehr Menschen erreichen ein hohes Alter, damit aber auch ein Stadium, in welchem sie ohne fremde Hilfe nicht mehr zurechtkommen. Diese Situation, der Mangel an qualifiziertem Fachpersonal und die damit verbundene Kostenentwicklung erzeugen düstere Perspektiven für die Zukunft.
Deshalb ist es m.E. wichtig, sich rechtzeitig mit dieser Problematik zu befassen, um im Alter nicht völlig hilflos einem drohenden Verfall ausgeliefert zu sein. Es ist eine Herausforderung, hierfür Prioritäten zu setzen, die den persönlichen Vorstellungen entsprechen.
Für mich hat Selbstbestimmung bis zuletzt einen hohen Stellenwert und ich versuche nachstehend, meine Argumente hierfür darzulegen. Sie wurden u.a. auch von 11 Jahren Konfrontation mit dem Thema Prostatakrebs geprägt.
Ich erwarte keine uneingeschränkte Zustimmung, hoffe aber, gerade in einem Krebsforum auf Interesse und Resonanz zu stoßen. Korrekturen sind ebenso willkommen wie Anregungen und Ergänzungen.
Ausgangssituation:
Trotz meiner 81 Lebensjahre, trotz Prostatakrebs und etlicher altersbedingter Mängel war ich bisher mit meiner Lebenssituation relativ zufrieden.
Zusammen mit meiner Frau bemühte ich mich, durch verantwortungsvollen Umgang mit der Gesundheit, vernünftige Lebensweise und körperliches Training, Abbauprozesse in Grenzen zu halten und verband damit die Vorstellung, dass wir uns möglichst lange selbständig im eigenen Haus behaupten können.
Unabhängigkeit, Mobilität und Selbstbestimmung sind für uns Werte von höchster Priorität.
Wir hatten schon lange ein Testament abgefasst, uns gegenseitig Vorsorgevollmachten erteilt, Patientenverfügungen erstellt und eine Bestattungsverfügung getroffen, um für einen Unfall vorgesorgt zu haben. Aber Gedanken an massive Einschränkungen oder das Ende des Lebens hatten immer noch theoretischen Charakter.
Ein Vorfall der jüngsten Zeit hat mich jedoch zutiefst erschreckt und massive Spuren hinterlassen.
Während eines Urlaubs in der Türkei wurden wir Beide mit einer heftigen Magen - Darmattacke konfrontiert.. Bei mir entstand für einige Tage ein derartiger Schwächezustand, wie ich ihn in dieser Form noch nie auch nur annähernd erlebt hatte. Ich war kaum imstande, mich auf den Beinen zu halten (die bereits durch eine Polyneuropathie vorgeschädigt sind), musste mich beim mühseligen Trippeln zur Toilette überall festhalten und zitterte zeitweise wie Espenlaub.
Es war ein unbeschreiblicher, e r b ä r m l i c h e r Zustand, der mich auch moralisch lähmte. Ich fühlte mich noch nie in meinem Leben so hilflos und empfand diese Hilflosigkeit als erschütternden Vorgeschmack auf mögliche Zukunftsperspektiven.
Plötzlich musste ich erleben, dass sehr schnell ein Stadium eintreten kann, in dem die Eigenständigkeit zur Illusion wird. Der geschilderte Vorfall ist deutlicher Anlass, mich konkreter als bisher mit den Risiken und Optionen des hohen Alters auseinander zu setzen.
Die nachfolgenden Zeilen entspringen meinem Bedürfnis, eigene Gedanken und recherchiertes Wissen schriftlich festzuhalten und zu strukturieren. Das Formulieren erleichtert mir die Konzentration und fördert das Verständnis.
Das Ergebnis ist ein erster Entwurf, der als Gerüst für Gespräche mit meiner Frau, mit den Kindern, mit weiteren Interessierten, evtl. auch als Leitschnur für Arztgespräche dienen soll.
Alter:
Der Alterungsprozess ist unvermeidbar; er entwickelt sich schleichend, sodass die Wahrnehmung in vielen Bereichen erst mit Verzögerung stattfindet.
Kraft und Ausdauer, Konzentration und Gedächtnis lassen nach, das Befinden schwankt, alles nimmt mehr Zeit in Anspruch und die Arzttermine häufen sich. Ein großer Teil der verfügbaren Energie wird für die Bewältigung banaler Alltagsaufgaben benötigt.
Altern ist nicht nur ein körperlicher Vorgang; es verlangt auch mentale Arbeit. Man muss bereit und imstande sein, Erwartungen und Ansprüche zu reduzieren. Man muss lernen, zu akzeptieren, dass viele Fähigkeiten, darunter auch Wahrnehmungs- und Empfindungs- Sensibilität nachlassen und Vieles endgültig der Vergangenheit angehört.
Gleichzeitig findet ein Anpassungsprozess statt, der bewirkt, dass man sich mit vielen kleinen Defiziten arrangiert. Man wird bescheidener in seinen Erwartungen und toleranter in Bezug auf eigene Schwächen und die des Partners.
Es wird erforderlich, sich Gedanken darüber zu machen, mit welchen Maßnahmen man sich Erleichterung bzw. Unterstützung verschaffen kann, die noch ein denkbares Maximum an Selbstbestimmung ermöglichen.
Hier tritt zunächst die Form des Wohnens in den Vordergrund und man steht vor der schwierigen Entscheidung, ob man möglichst lange in der vertrauten Umgebung leben möchte oder den Umzug in ein Heim mit betreutem Wohnen bevorzugt.
Betreutes Wohnen klingt zunächst gut: Keine Hausarbeit, keine Gartenarbeit, keine Reparaturen, keine Treppen und Hilfe im Bedarfsfall.
Die Nachteile sind: Verlust der vertrauten Umgebung (die mit viel Liebe nach den eigenen Bedürfnissen gestaltet wurde), starke räumliche Einschränkung, Eingewöhnungszwang in ein völlig neues Umfeld. Es wäre eine äußerst drastische Umstellung zu verkraften, die nicht mehr reversibel wäre. Zusätzlich muss die Kostenseite berücksichtigt werden, die schnell Grenzen hinsichtlich der Gestaltung setzt.
Möglichst lange im eigenen Haus zu leben, erscheint umso erstrebenswerter, je mehr man sich mit den Alternativen beschäftigt. Man muss bereit sein - wie bereits erwähnt - Kompromisse zu schließen und Hilfe in Form von ambulanten Diensten in Anspruch zu nehmen.
Die Grenzen zwischen Selbst- und Fremdbestimmung beginnen aufzuweichen.
Fakten:
Die moderne Medizin macht es möglich, dass Menschen heute 90 Jahre und älter werden. Es bestehen Visionen dahingehend, dass die biologische Grenze des Menschen bei 120 Jahren liegt.
So faszinierend und hilfreich die Ergebnisse der medizinischen Forschung sind, so ist doch die Kehrseite der Entwicklung nicht zu übersehen. Im Alter treten Krankheiten auf, die man früher überhaupt nicht kannte und trotz aller Therapien entwickelt sich früher oder später ein Zustand der "Multi - Morbidität", der langsam aber sicher zum körperlichen und geistigen Verfall führt.
Die durchschnittliche Lebenserwartung in Mitteleuropa stieg seit 1840 um 40 Jahre!
Das Verhältnis zwischen Alt und Jung wird bis 2050 wie folgt erwartet:
80 Personen über 60 Jahre zu 40 Personen zwischen 20 - 59 Jahre.
Die Gesamtzahl der auf der Welt lebenden Menschen hat sich innerhalb (m)einer Lebensspanne von 2 auf rund 8 Milliarden vervierfacht!
Selbst bei gebremstem Wachstum ist die weitere Entwicklung nicht vorstellbar!
Pflege:
Die Zahl der pflegebedürftigen Bundesbürger liegt nach Angaben des Statistischen Amtes heute bereits bei 2.4 Millionen und bis 2030 wird sich die Anzahl verdoppeln!
Wenn man den Mut hat, weiter zu rechnen, kommt man auf erschütternde Zukunftsperspektiven in durchaus absehbarer Zeit!!! Die zwangläufige Folge ist ein dramatischer Mangel an Pflegepersonal und eine Kostenexplosion, die nicht mehr finanzierbar ist.
Pflegebedürftigkeit ist nicht vorhersehbar. Sie kann plötzlich durch eine Krankheit oder einen Unfall eintreten, sich aber im hohen Alter auch allmählich einschleichen.
Sie verändert nicht nur das Leben des Betroffenen, sondern auch das der Angehörigen dramatisch. Pflegende Angehöre - soweit vorhanden - sind einer enormen physischen und psychischen Belastung ausgesetzt; nicht selten erkranken sie dadurch selbst.
In vielen Fällen bleibt nur die Unterbringung in einem Pflegeheim.
Allein der Gedanke, unter Verlust jeglicher Privatsphäre tagtäglich von ähnlich oder noch schlimmer Betroffenen umgeben zu sein und dieser Atmosphäre nicht mehr entrinnen zu können, ist ein Albtraum!
Der Gedanke, bei den elementarsten Verrichtungen auf fremde Menschen angewiesen zu sein, ist der pure Horror.
Die Vorstellung, in Windeln und mit Magensonde, in einem Milieu der Hoffnungslosigkeit dahin zu vegetieren, ist unerträglich.
Ebenso unvorstellbar ist es, den Verfall der Persönlichkeit durch Demenz durchleben zu müssen. Offen ist die Frage, wer dabei mehr leiden würde, der Betroffene oder der Partner.
Ein Leben unter solchen Voraussetzungen erscheint uns nicht mehr lebenswert und wir werden versuchen, alles zu tun, um dieses Stadium zu vermeiden.
Lieber selbstbestimmt sterben als fremdbestimmt leben!
Sterbehilfe:
Das Grundrecht des Menschen auf Selbstbestimmung führt zwangsläufig zum Thema Sterbehilfe. Sie ist für mich die konsequente Folgerung aus der geschilderten Problematik. Jeder Mensch sollte für sich das Recht haben, zu entscheiden, wann er sein Leben beenden will, egal aus welchen Gründen.
Es ist für mich unverständlich, warum Gesellschaft, Staat und Kirche diesem Thema so restriktiv gegenüberstehen.
Das Argument "die Ehrfurcht vor dem Leben" verbiete eine solche Lösung, erscheint mir nicht nur unpassend, sondern ausgesprochen verlogen.
Wo bleibt die Ehrfurcht vor dem Leben, wenn dieselbe Gesellschaft Waffen produziert, Kriege führt, Diktatoren unterstützt und Menschen in Entwicklungsländern verhungern lässt, um selbst Macht und Reichtum zu erlangen???
Auch der gerne gewählte Bezug zur Nazi-Vergangenheit ist nicht zutreffend. Damals ging es um politische Verbrechen, die durch nichts zu entschuldigen sind. Es war staatlich angeordneter und durchgeführter Massenmord, also Fremdbestimmung über das Leben anderer. Dies hat mit Sterbehilfe nichts zu tun.
Immer wieder werden Sterbehilfe und Abtreibung auf eine Stufe gestellt mit der Begründung, es gehe in beiden Fällen um "Verfügbarkeit über menschliches Leben". Auch diese Behauptung ist unzutreffend, denn auch bei der Abtreibung geht es um Fremdbestimmung.
Es wird argumentiert, dass es zu einem Dammbruch kommen könne, wenn man Hilfe zum Suizid legalisiert.
Im US-Bundesstaat Oregon ist seit 1998 ein Gesetz in Kraft, welches unheilbar Kranken die Beihilfe zum Suizid durch ein ärztlich verschriebenes tödliches Mittel ermöglicht. Bezogen auf die Gesamtzahl aller Verstorbenen in Oregon machten nur 0,17% von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Auch in der Schweiz sprechen die Zahlen gegen das Dammbruch - Argument.
Seit Gründung von Dignitas 1998 bis 2009 haben insgesamt 1.041 Menschen die Möglichkeit der Freitodbegleitung genutzt. 2009 haben Exit und Dignitas zusammen 306 Freitodbegleitungen durchgeführt. Im Vergleich zur Gesamtzahl aller 2009 in der Schweiz Verstorbenen entspricht dies einem Anteil von 0.5%.
Ein weiteres Argument lautet: "Ein Arzt, der einem Schwerstkranken zum Suizid hilft, verstößt gegen die ärztlichen Standesrichtlinien".
Eine von der Bundesärztekammer in Auftrag gegebene Umfrage bei Ärzten hat gezeigt, dass immerhin mehr als ein Drittel (37%) der befragten Ärzte bereit wäre, bei einem Suizid Hilfe zu geben.
Bisher wussten oft die Ärzte selbst nicht genügend über ihre Möglichkeiten der Hilfe beim und zum Sterben bei Schwerstkranken Bescheid, ebenso wenig wie die Pfleger. Das lag und liegt auch an Mängeln in der Ausbildung in Schmerztherapie, in ärztlicher Ethik und Medizinrecht, die erst langsam im Medizinstudium und in der Ausbildung des Pflegepersonals Eingang finden.
Das im September 2009 erlassene Patientenverfügungsgesetz schafft mehr Rechtssicherheit für Ärzte und pflegendes Personal. Es wurde durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom Juni 2010 bestätigt.
Der Wille des Patienten ist das entscheidende Kriterium für einen zulässigenBehandlungsverzicht und muss berücksichtigt werden. Der Behandlungsverzicht ist möglich durchBehandlungsabbruch, Behandlungsunterlassung oder Behandlungsbegrenzung.
Eine Unterscheidung zwischen aktivem Tun und Unterlassung findet beim Behandlungsverzicht nicht statt. Das Unterlassen einer Operation ist genauso zulässig wie das Entfernen einer Magensonde, das Abschalten eines Beatmungsgerätes oder eines Herzschrittmachers.
Dies sind kleine Fortschritte, aber sie reichen nicht aus. Das Recht auf ein selbstbestimmtes menschenwürdiges Sterben muss für alle Fälle gewährleistet sein. Deshalb bleibt die Forderung nach Legalisierung der aktiven Sterbehilfe bzw. ärztliche Beihilfe zum Suizid aufrecht erhalten.
Suizid:
Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass es weltweit etwa eine Million Suizide pro Jahr gibt. Die Zahl der Suizidversuche liegt gegenüber den vollendeten Suiziden im Mittel um einen Faktor 10 bis 15 höher. wobei hierbei mit hohen Dunkelziffern zu rechnen ist.
In Deutschlang liegt die Anzahl der vollendeten Suizide bei knapp 10.000 pro Jahr. Somit ist eine Größenordnung von etwa 100.000 - 150.000 gescheiterten Suizidversuchen zu vermuten, das sind Tag für Tag 3 - 400 Fälle!
Die Suizidrate von Ärzten ist bis zu 3,5mal höher als die anderer Bürger. Neben der berufsbedingten dauerhaften Beschäftigung mit belastenden Themen wie Krankheit und Tod ist eine mögliche Erklärung für diese hohe Rate, dass Ärzte sowohl die Kenntnisse als auch Zugang zu Mitteln zur Ausführung eines Suizids besitzen, über die andere Bevölkerungsgruppen nicht verfügen.
Die Zahl der Suizide steigt mit dem Alter. Es ist davon auszugehen, dass die Häufigkeit von Suiziden im Alter deutlich unterschätzt wird. Es erscheint nachvollziehbar, dass ein Mensch seinem langen Leben ein Ende setzen möchte.
Viele Methoden, welche in einer als aussichtslos empfundener Lage praktiziert werden, sind inhuman, wie Erhängen, Vergiften, Sturz von hohen Gebäuden oder vor einen fahrenden Zug. Letzteres ist zusätzlich eine schwere seelische Belastung des zufällig beteiligten Bahnpersonals.
Viele Personen schädigen sich dabei nachhaltig körperlich und oft auch geistig, mit schwersten emotionellen und finanziellen Folgen für sich selbst, ihre Familien, aber auch für das Gesundheitswesen und die Volkswirtschaft.
Andererseits wären Medikamente vorhanden, die ein schmerzloses Einschlafen und damit ein selbstbestimmtes, friedliches und humanes Sterben in heimischer Umgebung ermöglichen könnten. Diese dürfen aber nach den Bestimmungen des Arznei- und Betäubungsmittelrechts zur Beendigung menschlichen Lebens nicht eingesetzt werden (sehr wohl aber in der Tiermedizin!).
Es zeugt auch von einer sonderbaren Moral, dass das für die Sterbebegleitung in der Schweiz vorwiegend verwendete Medikament Natrium-Pentobarbital in Deutschland hergestellt wird!
Glaube und Religion:
Immer wieder tauchen die Fragen auf, ob die Vielfalt der Natur einer höheren Ordnung entspringt und welchen Sinn das menschliche Leben hat.
Kausalität hat für mich einen hohen Stellenwert und ich neige dazu, nach einem "Warum" zu fragen. In vielen Fällen finde ich keine Antwort, wobei die Frage offen bleibt, ob ein höheres Bildungsniveau zu besseren Ergebnissen oder eher zu weiteren Fragen führen würde.
Unterschiedliche Religionsformen bieten Erklärungen durch einen Gott, der das Universum schuf und dem Menschen darin eine privilegierte Rolle zuteilte. Diese geht so weit, dass ihm nach seinem irdischen Tod das ewige Leben in Aussicht gestellt wird.
Wenn Menschen an eine höhere Macht glauben, die ihr Schicksal bestimmt, so kann dies in der Not eine große Hilfe sein und ich bin nicht so vermessen, dies bewerten zu wollen.
Allerdings wird es dann kritisch, wenn dieser Glaube dazu führt, keinerlei Eigenverantwortung zu übernehmen.
Die Vorstellung, dass ein Gott den Menschen als etwas Einmaliges geschaffen hat, aber Krieg, Not, Krankheit und Leid jeglicher Art zulässt, um ihn zu prüfen, ist für mich nicht akzeptabel.
Wenn der Glaube als Erklärung anbietet, dass Gott durch das Leid diejenigen besonders prüft, die er liebt, dann ist meine Toleranz überfordert.
Ich betrachte den Menschen als ein Produkt der Evolution, als unbedeutendes Mosaiksteinchen eingebunden in die Aufgabe, für die Erhaltung der Art nützlich zu sein.
Dies schließt nicht aus, dass wir unsere Fähigkeiten und Emotionen dazu nützen, um unsere Lebensspanne mit (für uns) wertvollen Inhalten zu versehen.
Religion betrachte ich als Menschenwerk, geschaffen aus der Angst vor dem Nichts und der Nicht - Akzeptanz der eigenen Bedeutungslosigkeit. Sie hat sich zu einem mächtigen Werkzeug entwickelt, um Menschen zu manipulieren, im positiven wie auch im negativen Sinn.
Ich kann und möchte nicht ausschließen, dass es evtl. eine höhere Ordnung gibt, die unser Universum steuert. Allerdings bin ich felsenfest davon überzeugt, dass sie dann von einer Komplexität ist, die unser Verstand auch nicht annähernd wahrnehmen, geschweige denn verstehen kann.
Evolution:
Wir sind den Gesetzmäßigkeiten der Natur unterworfen, deren vorrangiges Ziel es ist, den Fortbestand des Lebens zu gewährleisten.
Hierfür betreibt sie einen unvorstellbaren Aufwand und erreicht ihr Ziel durch eine unendliche Vielzahl von Strategien und Techniken, die ausschließlich dazu geschaffen sind, Impulse für die Fortpflanzung auszulösen.
Dies gilt für alle Lebewesen; der Mensch ist voll in dieses Schema eingebunden.
Die betörenden Reize des anderen Geschlechts, das beglückende Gefühl der Verliebtheit, der unbändige Drang zur Vereinigung, die höchste Lust sexueller Erfüllung sind Höhepunkte menschlicher Emotionen, aber letztendlich Erfüllungsgehilfen der Natur, die dazu beitragen, das gewünschte Ziel - die Fortpflanzung - zu erreichen.
Hier werden unausweichlich Prozesse ausgelöst, die im Erbgut verankert sind. Die moderne Genforschung zeigt die Strukturen und ungeheure Vielfalt der gespeicherten Informationen.Die Programme, die zur Vereinigung, Schwangerschaft, Geburt und Erziehung führen, sind "Premium - Programme" von höchster Priorität.
Ist der Zweck - neues Leben zu schaffen - erreicht, so hat das Individuum seinen biologischen Zweck erfüllt und verliert für die Natur an Bedeutung. Es laufen dann nur noch die Basisprogramme zur Aufrechterhaltung von lebenswichtigen Funktionen, deren Effizienz im Lauf der Zeit nachlässt, sodass die bekannten Abbauprozesse auftreten, die letztlich zum Ende führen.
Man könnte der Natur zum Vorwurf machen, dass sie das Finale nicht so sorgfältig ausgestattet hat wie die Ouvertüre. Man darf dabei aber nicht übersehen, dass der Mensch sich überall eingeschaltet und die ursprünglichen Baupläne gewaltig verändert hat.
Es gab noch zu keinem Zeitraum in der Geschichte der Menschheit innerhalb e i n e r Lebensspanne so viele und gravierende Veränderungen wie in den letzten Jahrzehnten.
Forschung, Medizin, Technik, Wirtschaft und viele andere Bereiche haben sich in atemberaubendem Tempo entwickelt und zu teils dramatischen Veränderungen geführt.
Der Mensch ist dabei, die ganze Welt zu verändern, um sie zu beherrschen. Gewalt, Terror, Hunger und Elend beherrschen große Teile unserer Erde. Vielfach liegen die Ursachen im Streben nach Macht und Reichtum, in Ignoranz, Rücksichtslosigkeit und Dummheit.
Albert Einstein sagte bereits Anfang des letzten Jahrhunderts:
"Wir leben in einem gefährlichen Zeitalter; der Mensch beherrscht die Natur, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen".
Fazit:
Ich bin dankbar für ein erfülltes Leben.
Mein größter Aktivposten war und ist eine Partnerschaft, die sich in allen Lebenslagen bewährt und meinem Leben Inhalt und Bereicherung gegeben hat.
Ein halbes Jahrhundert mit einem geliebten Menschen zusammen zu sein und mit ihm alles zu teilen – Hoffnungen, Erwartungen, Freude, Erfolg, aber auch Enttäuschungen und Schmerz – dies ist eine Erfüllung, welche vielen Paaren heute nicht mehr vergönnt ist.
Nach einem arbeitsreichen Berufsleben konnte ich mit 60 Jahren einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Ein bescheidener Wohlstand ermöglichte uns Freiheit und Unabhängigkeit.
Die folgenden 10 Jahre waren die schönsten in unserem gemeinsamen Leben, ausgefüllt mit Hobbys, Reisen und hoher Lebensqualität.
Bis zur Prostatakrebs - Diagnose im 70. Lebensjahr war ich völlig gesund und 100%ig fit.
Eine Krebserkrankung rechtzeitig zu entdecken und sie 11 Jahre im Griff zu halten, ist eine gelungene Mischung aus Glück und praktizierter Eigenverantwortung.
Ich denke, dies ist eine sehr positive Bilanz.
Ich möchte keine 100 Jahre alt werden.
Weitere fünf oder sechs Jahre in ausreichender Selbstbestimmung sind zur Abrundung willkommen. Jede weitere Verlängerung wäre wohl vom Verfall dominiert und würde die Gesamtbilanz trüben.
Ich akzeptiere meine Endlichkeit.
Ich erwarte nichts anderes als ein großes NICHTS.
Es ist der Gegenbegriff zum SEIN. Es gibt kein Bewusstsein und keine Wahrnehmung, somit auch kein Bedauern, keine Enttäuschungen, keine Defizite und kein Leid.
Es besteht keinerlei Anlass, dieses NICHTS zu fürchten.
Ich werde mich bemühen, informiert und vorbereitet zu sein, um ein hilfloses Ausgeliefertsein am Lebensende zu vermeiden.
Die Auseinandersetzung mit der Problematik und das Wissen um Alternativen reduziert diffuse Ängste und trägt dazu bei, die Lebensqualität der letzten Jahre zu verbessern.
Grüße an alle
Helmut
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