Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Medikamente zur Durchführung einer Hormontherapie
3 Wann ist eine Hormontherapie anzuwenden?
4 Hitzewallungen
5 Einschränkungen der Sexualität
6 Muskelschwund und Verringerung der physischen Leistungsfähigkeit
7 Gewichtszunahme und metabolisches Syndrom
8 Kardiovaskuläre Risiken und Diabetes
9 Verkleinerung von Hoden und Penis
10 Brustwachstum/Gynäkomastie
11 Verlust der Körperbehaarung
12 Gelenkschmerzen
13 Knochenschwund und -brüche, Osteoporose
14 Blutarmut/Anämie
15 Fatigue – chronische Müdigkeit
16 Psychische Beschwerden
17 Kognitive Veränderungen
18 Trockene Augen
19 Erholung des Testosteronspiegels nach einer Hormontherapie
20 Hormontherapie mit Antiandrogenen
21 Östrogene zur Linderung der Nebenwirkungen
22 Pharmakologie der Präparate zur Hormontherapie
a) Zellbiologische Grundlagen
b) Orchiektomie
c) GnRH Analoga
d) GnRH Antagonisten
e) Antiandrogene
f) Hemmer der Testosteron-Biosynthese
g) Neue Androgenrezeptorhemmer
h) Östrogene
23 Schlußbetrachtung
24 Quellenverzeichnis
1 Einleitung
Die Hormontherapie ist eine sehr effektive Therapie gegen das Wachstum des Prostatakrebses. Fast alle Patienten, die nicht durch eine Operation oder Bestrahlung den Tumor beseitigen konnten, müssen irgendwann eine Hormontherapie machen. Diese Therapie wird dann für die verbleibende Lebenszeit angewendet. Oft wird auch bei einer Bestrahlung eine Hormontherapie von zwei bis drei Jahren durchgeführt.
Eine Hormontherapie ist mit vielen Nebenwirkungen verbunden. Diese treten nicht alle bei jedem Patienten auf und in der Regel auch mit individuell unterschiedlicher Intensität. An manche Nebenwirkungen gewöhnen sich die Patienten auch und manche belasten dessen soziales Umfeld mehr als den Patienten selbst.
Der Arzt wird empfehlen, mit einer Hormontherapie zu beginnen, wenn er dies aus Sicht der Krebsbekämpfung für richtig erachtet. Viele Ärzte sprechen mit dem Patienten nicht über Nebenwirkungen. Sollte der Arzt ihm alle Nebenwirkungen eingehend erläutern, würden die meisten Patienten große Bedenken haben mit einer Hormontherapie zu beginnen. Viele Patienten sprechen später die Nebenwirkungen beim Arzt nicht an oder wissen auch nicht, dass diese durch die Hormontherapie verursacht werden. Manche Ärzte bestätigen dann nur, dass es sich um eine bekannte Nebenwirkung handelt. Der Arzt konzentriert sich auf die Wirkung der Hormontherapie, die durch die Entwicklung des PSA Wertes verfolgt wird und wird dem Patienten oft keine Empfehlungen geben, wie dieser mit den Nebenwirkungen umgehen kann. Entsprechend erwähnt der Beipackzettel der eingesetzten Medikamente nur welche Nebenwirkungen auftreten können, aber nicht, was der Patient dagegen tun könnte. Da die Hormontherapie über viele Jahre angewendet wird, kann dies zu einer große Belastung für den Patienten führen.
Wenn ein neues Medikament zugelassen werden soll, so bedarf dies großer und teurer Studien, sogenannter Phase III Studien. In Bezug auf die Nebenwirkungen der Medikamente für eine Hormontherapie liegen keine entsprechenden, großen Studien vor. Daher basieren die in dieser Arbeit verwendeten Studien auf kleineren Teilnehmerzahlen und haben daher nicht die hohe Evidenzkategorie wie große Phase III Studien. Dies muss man bei der Bewertung der Studienergebnisse berücksichtigen. Diese Studien liefern keine endgültigen Beweise, sind aber deutlich hilfreicher als keine Studien. Manchmal liegen auch Studien mit widersprechenden Ergebnissen vor. Im Rahmen dieser Arbeit konnte aber keine vergleichende Bewertung dieser Studien durchgeführt werden.
Es wird im folgenden ein Überblick über die verschiedenen Nebenwirkungen gegeben, die bei einer Hormontherapie auftreten können und die Möglichkeiten zur Linderung oder Vermeidung dieser Nebenwirkungen aufgezeigt. Ziel ist es den betroffenen Patienten, die eine Hormontherapie machen müssen, damit zu helfen.
2 Medikamente zur Durchführung einer Hormontherapie
Eine Hormontherapie kann mit verschiedenen Medikamenten durchgeführt werden. Fast immer sind dies sogenannte GnRH-Analoga (Leuprorelin, Goserelin, Triptorelin oder Buserelin) oder GnRH-Antagonisten (z.B. Degarelix). Außerdem können die Hoden operativ entfernt werden, das ist die sogenannte Orchiektomie. Man bezeichnet die Hormontherapie auch als ADT, diese Abkürzung steht für Androgendeprivationstherapie oder Androgenentzugstherapie. In dieser Arbeit wird die Androgenentzugstherapie mit GnRH-Analoga, GnRH-Antagonisten oder Orchiektomie als ADT bezeichnet und es werden die von diesen Mitteln verursachten Nebenwirkungen behandelt. Daneben gibt es noch Antiandrogene, vor allem Bicalutamid, die andere Nebenwirkungen zeigen und daher in einem gesonderten Kapitel behandelt werden. Die Therapie mit Antiandrogenen wird in diesem Text nicht als ADT bezeichnet. Wird dagegen von Hormontherapie gesprochen, so ist beides, eine ADT und eine Therapie mit Antiandrogenen gemeint.
Die Prostatakrebszellen besitzen Androgen-Rezeptoren die das Testosteron im Körper eines Mannes binden. Dieses Testosteron benötigt die Tumorzelle für ihr weiteres Wachstum. Wenn man den Testosteronspiegel im Körper durch eine ADT senkt, so können die Tumorzellen kein Testosteron aufnehmen und das Wachstum dieser Zellen wird gestoppt. Manche Zellen sterben dadurch auch ab. Andere Tumorzellen sind jedoch resistent und wachsen trotzdem weiter, auch ohne oder mit nur sehr wenig Testosteron.
Eine ADT wird heute weit überwiegend medikamentös durchgeführt, das operative Entfernen der Hoden, die Orchiektomie, wird nur noch selten angewandt. Man kann diese Operation nicht mehr rückgängig machen, wenn starke Nebenwirkungen auftreten sollten. Es sei denn, man führt das Testosteron durch Medikamente wieder zu.
Am häufigsten werden GnRH-Agonisten eingesetzt. Dies sind Spritzen, die es in Ein-, Drei oder Sechs-Monats-Depots gibt. Diese GnRH-Agonisten gibt es in verschiedenen Wirkstoffen, die unter verschiedenen Handelsnamen angeboten werden:
Leuprorelin (Enantone®, Trenantone®, Eligard®)
Goserelin (Zoladex®)
Triptorelin (Decapeptyl®, Pamorelin®)
Buserelin (Profact®, Metrelef®, Suprecor®, Suprefact®)
Am bekanntesten ist der Wirkstoff Leuprorelin. Davon enthält Eligard® doppelt so viel wie die anderen beiden Medikamente Enantone® und Trenantone®.
Daneben gibt es GnRH-Antagonisten, von denen derzeit nur Firmagon® mit dem Wirkstoff Degarelix eine praktische Bedeutung hat.
Die im folgenden betrachteten Nebenwirkungen werden durch Orchiektomie, GnRH-Analoga und GnRH-Antagonisten verursacht. Diese Mittel senken den Testosteronspiegel im Körper ab. Es gibt daneben auch Antiandrogene, die als Tabletten eingenommen werden und eine ganz andere Wirkungsweise haben, so dass diese Nebenwirkungen nicht oder in erheblich geringerem Umfang auftreten. Die Ärzte gehen allgemein davon aus, dass diese Antiandrogene keine so effektive Wirkung gegen den Tumor haben wie die erwähnten GnRH-Agonisten und GnRH-Antagonisten.
3 Wann ist eine Hormontherapie anzuwenden?
Die Nebenwirkungen eine ADT lassen sich natürlich am einfachsten vermeiden, in dem keine Hormontherapie durchgeführt wird. Man sollte daher jeweils genau prüfen, ob wirklich eine Hormontherapie in der aktuellen Situation erforderlich ist. Es gibt verschiedene Krankheitsituationen, in denen eine Hormontherapie eingesetzt wird. Diese sind:
a) Umfangreiche Metastasen werden bereits bei der Diagnose festgestellt
In diesem Fall gehen die Leitlinien davon aus, dass der Krankheitsverlauf durch eine Operation oder Bestrahlung nicht mehr kurativ behandelt werden kann und empfehlen mit einer Hormontherapie zu beginnen. Diese wird dann lebenslang fortgeführt. Neuere Studien zeigen allerdings, dass der Krankheitsverlauf auch in dieser Situation durch eine Operation oder Bestrahlung positiv beeinflusst werden kann (Choudhury 2019)(Parker 2018)(Knipper 2019). Auf die Hormontherapie kann in diesem Fall aber trotzdem nicht verzichtet werden.
b) Als begleitende Therapie bei einer Bestrahlung
Wenn sich der Patient, meist bei fortgeschrittenem Alter, für eine Strahlentherapie der Prostata entscheidet, so zeigen Studien, dass der Erfolg dieser Strahlentherapie deutlich verbessert wird, wenn gleichzeitig mit einer ADT begonnen wird. Teilweise wird damit auch schon vor der Bestrahlung begonnen. Umstritten ist, wie lange die ADT in diesem Fall durchzuführen ist. Die grundlegende Studie dazu (Bolla 2009) empfiehlt eine Dauer von 36 Monaten, also drei Jahre. In dieser Studie wurde auch festgestellt, dass sechs Monate ADT keine entsprechende Wirkung hatten. Eine ADT über drei Jahre ist für einen Patienten eine erhebliche Belastung und manche der eingetretenen Nebenwirkungen, wie erektile Dysfunktion, bilden sich oft nach dem Ende der ADT nicht mehr zurück. Kritiker dieser Studie wenden ein, dass zum Zeitpunkt dieser Studie mit niedrigeren Strahlendosen als heute gearbeitet wurde und daher jetzt möglicherweise eine kürzere Dauer der begleitenden ADT möglich sei. Es gibt jetzt eine neuere, Phase-III Studie (Nabid 2018), die feststellte, dass 18 Monate begleitende ADT die gleiche Wirkung wie eine ADT über 36 Monate hat. Bei neueren Bestrahlungstechniken, die mit höheren Strahlendosen arbeiten wie die SBRT Bestrahlung, konnte kein Vorteil für eine begleitende ADT festgestellt werden. Auch bei der Brachytherapie zeigte sich ein längeres Überleben bei nur 6 Monaten ADT gegenüber einer längeren ADT (Stone 2018).
c) Als begleitende Therapie bei einer Salvage-Bestrahlung
Wenn nach einer Prostata-Operation der PSA Wert ansteigt, so wird oft eine Bestrahlung der Prostata durchgeführt, um dort möglicherweise vorhandene Tumorreste zu beseitigen. In diesem Fall sehen die Leitlinien keine begleitende Hormontherapie vor. In Studien wurde jedoch eine begleitende ADT von sechs Monaten (Carrie 2019) oder eine Hormontherapie mit Bicalutamid von 24 Monaten (Shipley 2017) mit gutem Erfolg durchgeführt. Vor allem bei Patienten mit höherem Risiko kann daher eine entsprechende Hormontherapie sinnvoll sein. Die Studie von Shipley wurde vor kurzem neu ausgewertet (Spratt 2019). Dabei wurde deutlich, dass die begleitende Hormontherapie nur bei Patienten mit hohem Risiko einen Vorteil zeigte. Als Patienten mit hohem Risiko wurden Betroffene mit eine PSA Wert von größer 1,5 ng/ml vor Beginn der Bestrahlung eingestuft.
d) Bei einem biochemischen Rezidiv
In vielen Fällen steigt nach einer Bestrahlung oder einer Salvage-Bestrahlung nach Operation der PSA Wert wieder an. In der Regel ist der Betroffene und sein soziales Umfeld darüber sehr besorgt. Die überwiegende Mehrheit der Urologen wird daraufhin mit einer ADT beginnen. Der PSA Wert fällt daraufhin stark, der Patient ist zufrieden und der Arzt ebenfalls. Die Frage ist allerdings, ob angesichts der Nebenwirkungen einer ADT dieses Vorgehen in dieser Situation sinnvoll ist. Vorliegende Studien konnten durch eine Senkung des PSA Wertes kein längeres Überleben nachweisen. Zwei kleinere Studien (Messing 2006)(Duchesne 2016, TOAD Studie) können auf Grund viel zu niedriger Teilnehmerzahlen keine validen Aussagen dazu machen. So zeigte eine gemeinsame Auswertung der TOAD und der ELAAT Studien keinen Vorteil für einen frühen Beginn der ADT (Loblaw 2018). Die Leitlinien empfehlen daher, den Anstieg des PSA Wertes nicht mit einer ADT zu bekämpfen. Diese Empfehlung der Leitline bleibt jedoch weitgehend unbeachtet. So wurde in einer deutschen Studie festgestellt, dass 70% der Patienten, die mit einer ADT begannen, noch keine Metastasen zeigten (Hupe 2018).
Die Leitlinie erwähnt, man solle bei einem steigenden PSA Wert in dieser Situation mit einer Hormontherapie beginnen bei (Leitlinie Prostatakarzinom, Erläuterung zu Punkt 6.16):
• einer PSA-Verdopplungszeit < 3 Monate;
• symptomatischer lokaler Progression;
• nachgewiesener Fernmetastasierung.
Man geht wohl davon aus, dass bei einer PSA-Verdopplungszeit kleiner als drei Monaten von vorhandenen Metastasen auszugehen ist. Unter symptomatischer lokaler Progression ist das Auftreten von Schmerzen durch Metastasen gemeint, mit Fernmetastasierung Metastasen außerhalb des Beckenbereichs. Diese Metastasen sollten aber mit einem CT oder Knochenszintigramm festgestellt werden und nicht mit einem PSMA PET/CT, das viel früher als die von der Leitlinie zugrunde gelegten Studien Metastasen nachweisen kann.
Wenn der Betroffene von dem PSA Anstieg sehr beunruhigt ist, kann man auch eine intermittierende Hormontherapie mit Bicalutamid durchführen, um den PSA Wert zu senken. Dieses Mittel hat nur geringe Nebenwirkungen und kann im sechsmonatigen Wechsel eingesetzt werden. Wenn Bicalutamid keine Wirkung mehr hat, können ein GnRH-Analogon oder andere Medikamente wie Flutamid eingesetzt werden.
e) Hormontherapie nach einer Operation
Bei anderen Tumorarten, z.B. Darmkrebs, wird nach der Operation eine Chemotherapie durchgeführt, um verbliebene Tumorzellen dadurch abzutöten. Damit vergleichbar kann man auch nach einer Prostata-Operation eine sechsmonatige ADT durchführen. Wie in einer großen Studie gezeigt wurde, führt dies auch bei Patienten mit hohem Risiko zu einem sehr guten Krankheitsverlauf über zehn Jahre nach der Operation (Dorff 2011, Hussain 2018a).
4 Hitzewallungen
Die ADT senkt den Testosteronspiegel und in der Folge davon den Östrogenspiegel. Das Senken des Östrogenspiegels bewirkt beim Mann Hitzewallungen wie sie auch von Frauen in den Wechseljahren bekannt sind (Russell 2017)(Taylor 2016). Diese Hitzewallungen treten bei etwa 60% der Männer während einer ADT auf (Walker 2013). Sie führen zu Schwindel, Herzklopfen und ausgeprägten Schlafstörungen. Allein diese an sich harmlose Nebenwirkung veranlasst einen großen Teil der Patienten die ADT abzubrechen (Allan 2014).
(Bild aus Frydenberg 2019)
Das abgesenkte Östrogen senkt den Temperatursollwert im präoptischen Bereich des vorderen Hypothalamus (Allan 2014). Die Änderungen der Temperatur der Haut wird von spezialisierten Nervenzellen registriert und an das Rückenmark gemeldet. Die Signale werden von dort aus ins Stammhirn weitergeleitet, und zwar an die Nervenzellen in einer Stammhirnregion namens Nukleus parabrachialis. Dies aktiviert wiederum die erwähnte präoptische Region (Nakamura 2008). Wurde dort der Temperatursollwert durch den Östrogenmangel gesenkt, so beginnt man zu schwitzen obwohl die Außentemperatur dies nicht erforderlich machen würde. Dieser Temperatursollwert ist nun individuell unterschiedlich stark gestört, so dass die Patienten unterschiedlich starke Beschwerden haben.
Bei Patienten, die diese Zusammenhänge kennen, lösen diese Beschwerden keine Besorgnis aus. Luftdurchlässige Kleidung aus Baumwolle, niedrige Temperaturen im Schlafzimmer und die Vermeidung bekannter Faktoren, die eine Hitzewallung auslösen können, ermöglichen den Patienten diese Beschwerden zu bewältigen. Als solche Faktoren werden genannt: erhöhte Umgebungstemperaturen, Stress, Angstzustände, scharfe Lebensmittel, Kaffee und Alkohol. Als Hausmittel gegen Hitzewallungen wird auch Salbeitee empfohlen (Janzer 2009). Als Alternative zu Salbeitee gibt es auch Tabletten mit Salbeiblätter-Trockenextrakt, die unter dem Namen Sweatosan angebotenen werden.
Frauen und teilweise auch Männer verwenden pflanzliche Mittel gegen Hitzewallungen. Dies sind die Wirkstoffe der Traubensilberkerze, die unter dem Namen Remifen und Remifen plus angeboten werden. Außerdem sibirischer Rhabarber, der unter dem Namen femiLoges im Handel ist. Darüber hinaus gibt es diverse Kombinationspräparate mit verschiedenen weiteren Pflanzenstoffen. Man bezeichnet diese teilweise als Phytoöstrogene, da sie eine strukturelle Ähnlichkeit mit den Östrogenen besitzen. Diese Ähnlichkeit ermöglicht offenbar eine Bindung an Östrogenrezeptoren.
Es gibt weitere Möglichkeiten, diese Hitzewallungen zu bekämpfen. Bei Frauen wird eine Östrogen-Ersatztherapie mit Östradiol-Pflastern angeboten. Da die Hitzewallungen auch beim Mann durch einen niedrigen Östrogenspiegel verursacht werden, wirken diese Pflaster auch bei Männern (Gerber 2000).
Man kann auch Medikamente nehmen, die allerdings mit Nebenwirkungen verbunden sind. So können Antidepressiva der SNRI oder SSRI Klassen wie Gabapentin(Neurontin®) und Venlafaxin(Effexor®) oder auch Clonidin eingesetzt werden (Barbieri 2013) (Laufer 1982) (Loprinzi 1994) (Loprinzi 2009) (Boekhout 2008). Außerdem lassen sich Cyproteronacetat(Androcur®) oder eine Spritze Medroxyprogesteronacetat(MPA) (Provesa®) gegen Hitzewallungen einsetzen (Irani 2009).
Die Prostatakrebsleitlinie erwähnt zur Linderung von Hitzewallungen Cyproteronacetat „ in einer Dosierung von 50 mg 2 x 1 Tbl. oder 300 mg i.m. alle zwei Wochen“. Außerdem werden Östrogene und Progesteron sowie Clonidin oder Antidepressiva erwähnt. (Leitlinie Prostatakarzinom, Erläuterung zu Punkt 6.16)
Schließlich kann auch Akupunktur eingesetzt werden, um die Hitzewallungen zu reduzieren (Beer 2010)(Frisk 2014). Damit konnten bei 41% der Patienten die Hitzewallungen um mehr als 50 % reduziert werden (Beer 2010). Empfohlen wird eine Behandlung zweimal die Woche während der ersten vier Wochen, danach einmal die Woche für sechs weitere Wochen. Folgende Punkte sollen dabei genadelt werden:
bilateral: Gallenblasen Gb 34, Blasen Bl 15, Bl 23, Bl 32,
unilateral: Dumai GV/Du 20, Herz He 7, Kreislauf Ks 6, Leber Le 2 und Milz Mi 6.
Die Punkte Bl 23 und Bl 32 erhalten eine Niedrig-Frequenz Elektrostimulation (2 Hz)
(Beer 2010). Die angegebenen Organe beziehen sich auf die Mediane, auf denen die Punkte liegen.
Bei all diesen Mitteln muss man berücksichtigen, dass ein Placebo bei etwa 25% der Patienten zu einer Besserung der Hitzewallungen um über 50% führt (Kaplan 2014). Dies entsprach in einer Studie der Wirkung von niedrig dosiertem Gabapentin (Loprinzi 2009).
5 Einschränkungen der Sexualität
Durch die ADT kommt es bei fast allen Patienten zu Erektionsstörungen, also einer erektilen Dysfunktion. Das heißt, es ist keine Erektion des Penis mehr möglich.
(Bild aus van Oort 2019)
Vielfach ist zusätzlich die Potenz der Patienten bereits vor Beginn der ADT altersbedingt oder durch eine Operation oder Bestrahlung geschwächt. Ebenfalls schwächt die Gewichtszunahme während einer ADT die Potenz (Hatzimouratidis 2007). Darüber hinaus lässt die Libido, also das Interesse an Sexualität, durch die ADT stark nach. Diese Nebenwirkungen müssen auch mit der Partnerin des Patienten besprochen werden, da die Partnerschaft davon sehr beeinträchtigt werden kann. Über 80% der Patienten stellen ihre sexuellen Aktivitäten während einer ADT ein (Walker 2013).
Jeder Mann hat nachts, meist unbemerkt, Erektionen. Diese finden nach Beginn der ADT auf Grund der Absenkung des Testosterons nicht mehr statt. Durch die mangelnde Libido reduziert der Patient ebenfalls die Zahl der Erektionen. Dies führt nach ungefähr sechs Monaten zu einer Penisatropie, die Schwellkörper schrumpfen und eine Erektion ist nicht mehr möglich, da das Abfließen des Blutes aus den Schwellkörpern nicht mehr verhindert werden kann (Aoun 2015). Diese Penisatropie beginnt sich schon nach einigen Wochen zu entwickeln. Daher sind ein großer Teil der Patienten auch nach dem Ende der ADT dauerhaft impotent. Dem kann nur entgegengewirkt werden, wenn der Patient trotz mangelnder Libido regelmäßig für Erektionen sorgt! Eine Impotenz nach dem Ende der ADT wird in vielen Fällen die Partnerschaft weiter belasten. Sie hat oft gravierende Auswirkungen auf die Psyche. Es kann zur Vereinsamung aufgrund von Scham, auf eine Einstellung sexueller Aktivitäten und einem Verlust des Selbstwertgefühls kommen.
Ein Mann kann auch ohne Erektion durch entsprechende Stimulation einen Orgasmus haben. Auch die Frau benötigt keine Penetration, um zu einem Orgasmus zu kommen. Viele Paare haben daher gemeinsamen Sex in dem sie sich entsprechend darauf eingestellt haben. Darüber hinaus lässt sich eine erektile Dysfunktion durch Medikamente, die die Erektion verstärken oder andere Maßnahmen teilweise beheben. Geeignete Medikamente sind z.B. Sildenafil (Viagra®) oder Tadalafil (Cialis®), die mittlerweile als Generika verfügbar sind. Der Testosteron-Entzug während einer ADT soll allerdings die Wirkung dieser Medikamente reduzieren (White 2015) (Alhathal 2012). Dies gilt insbesondere wenn bereits eine Penisatropie eingetreten ist.
Alternativ gibt es auch den Wirkstoff Alprostadil, der vom Patienten selbst injiziert werden muss. Dieser ist auch dann wirksam, wenn die Erektionsstörungen durch eine Schädigung der Nerven im Rahmen einer Prostataoperation hervorgerufen wurden. Dieser Wirkstoff kann als Fertigspritze, Harnröhrenstäbchen (MUSE®) oder Gel verabreicht werden. Die Spritze hat etwa die Größe einer Insulinspritze und damit wird das Mittel direkt in den Schwellkörper des Penis injiziert. Man nennt dies auch eine Schwellkörper-Autoinjektions-Therapie (SKAT). Das Gel wird dagegen mit einem Applikator in die Harnröhre gedrückt. Die erste Anwendung und Einweisung erfolgt in der Regel durch den Urologen, der erst danach ein Rezept ausstellen sollte.
Eine Erektion lässt sich auch mit einer Vakuumpumpe herbeiführen. Anschließend wird ein Gummiring über die Penisbasis gestülpt, der das Abfließen des Blutes verhindert. Nach einiger Übung ist das erfolgreich einsetzbar.
Schließlich gibt es noch Schwellkörperprothesen, die im Rahmen einer Operation in den Penis implantiert werden. Diese Operation kann recht schmerzhaft sein. Alle diese Mittel setzen allerdings voraus, dass trotz ADT ausreichend Libido für sexuelle Aktivitäten verblieben ist.
6 Muskelschwund und Verringerung der physischen Leistungsfähigkeit
Durch das Absenken des Testosteronspiegels kommt es zu einer Reduktion der Muskelmasse (Sarkopenie). Nach 12 Monaten sind beispielsweise einer Studie von Smith zufolge im Mittel 3,8 % der Muskelmasse zurückgegangen (Smith 2004). Dies führt zu einer verminderten Leistungsfähigkeit, die sich bei den Patienten meist deutlich bemerkbar macht (Storer 2012). Treppensteigen, bergauf gehen usw. fällt deutlich schwerer. Im Bodybuilding Bereich wird oft Testosteron zugeführt, um die Muskelmasse zu erhöhen. Entsprechend vermindert sich die Muskelmasse, wenn das Testosteron durch eine ADT gesenkt wird.
Dem Muskelschwund kann nur durch regelmäßiges Krafttraining entgegengewirkt werden (Galvão 2006). Frauen, können trotz niedrigem Testosteronspiegel durch Krafttraining Muskeln aufbauen. Krafttraining bedeutet Gewichtheben, Kniebeugen, Klimmzüge, Liegestützen oder Übungen an entsprechenden Geräten, die am besten in einem Fitnesszentrum unter Anleitung eines Trainers durchgeführt werden. Krafttraining verbessert das Befinden der Patienten deutlich (Segal 2003).
7 Gewichtszunahme und metabolisches Syndrom
Nach dem Beginn der ADT tritt bei den meisten Patienten eine Gewichtszunahme ein. Diese ist nicht durch die Testosteronabsenkung sondern durch die resultierende Östrogenabsenkung bedingt (Finkelstein 2013).
(Bild aus Meerleer 2016)
Die Gewichtszunahme beträgt im Mittel 1,8%, dies sind bei einem Gewicht von 90 kg also 1,6 kg. Wie bereits erwähnt, geht jedoch die Muskelmasse zurück (sarcopenic obesity). Der dadurch bedingte Gewichtsverlust wird durch einen Zuwachs an Körperfett überkompensiert. Das Körperfett erhöht sich um 11%, also ganz erheblich (Smith 2004). Andere Studien berichten von unterschiedlichen Werten. Der Zuwachs an Körperfett erhöht die kardiovaskulären Risiken und kann zu einem metabolischen Syndrom führen (Smith 2001a). Die Symptome für ein metabolische Syndrom beginnen sich bereits innerhalb von 12 bis 24 Wochen nach Beginn der ADT zu entwickeln (Østergren 2018)(Mitzuzuka 2016).
Unter dem Begriff „Metabolisches Syndrom“ werden verschiedene Krankheiten und Risikofaktoren für Herz-/Kreislauferkrankungen zusammengefasst, die sich in der Regel durch eine Überernährung entwickeln. Folgende Symptome bzw. Krankheitsbilder treten beim Metabolischen Syndrom meist gemeinsam auf (Nguyen 2015):
• starkes Übergewicht mit meist bauchbetonter Fetteinlagerung (Adipositas)
• Bluthochdruck
• erhöhter Blutzuckerspiegel (gestörter Zuckerstoffwechsel in Form einer
• Insulinunempfindlichkeit bzw. -Resistenz), eine Hauptursache für Diabetes
• gestörter Fettstoffwechsel, Hypertriglyzeridämie und erniedrigtes HDL-Cholesterin
Das metabolische Syndrom wird neben dem Rauchen als der entscheidende Risikofaktor für Erkrankungen der arteriellen Gefäße, insbesondere die koronare Herzkrankheit, angesehen. Männer mit einem metabolischen Syndrom sterben doppelt so häufig an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall wie gesunde Männer. Das Risiko eine Diabetes mellitus zu entwickeln ist fünfmal höher (International Diabetes Federation).
Es gibt verschiedene Definitionen für das Metabolische Syndrom. Am häufigsten wird für die Diagnose wohl die Definition des National Cholesterol Education Program (NCEP-ATP-III) verwendet. Danach müssen mindestens drei der unten angeführten Kriterien erfüllt sein (Grundy 2005):
Abdominelle (Bauch betreffende) Adipositas (Männer ≥ 102 cm Taillenumfang)
Erhöhte Triglyzerid-Konzentration (≥ 150 mg/dl)
Erniedrigtes HDL-Cholesterin (Männer ≤ 40 mg/dl)
Erhöhter Blutdruck (≥130/85 mmHg)
Erhöhte Nüchternglukose (≥ 110 mg/dl) (Blutabnahme vor dem Frühstück)
Durch die ADT werden diese Risikofaktoren für Herz-/Kreislauferkrankungen erhöht. Das oben erwähnte, zusätzliche Gewicht lagert sich als Fett vor allem im Bauchbereich an. Vielfach wurde auch während einer ADT ein erhöhter Blutdruck festgestellt (Higano 2003)(Smith 2001a).
Männer, die eine ADT durchführen, entwickeln eine geringere Insulinempfindlichkeit und damit eine höhere Insulinresistenz (Smith 2006) (Higano 2003). Es wird daher empfohlen, die ADT mit Metformin zu kombinieren (Nguyen 2015). Ob dies auch bei durch ADT induzierten Insulinresistenz zutrifft, ist umstritten (Mahalingam 2018). Die Frage, welche Wirkung die Einnahme von Metformin hat, um dieses Risiko zu reduzieren und gleichzeitig den Tumor zu bekämpfen, wird derzeit im Rahmen der STAMPEDE Studie untersucht (Gilbert 2018).
Schließlich wird auch der Fettstoffwechsel durch die ADT verändert. So erhöht sich jeweils im Mittel der Cholesterinspiegel um 9 %, das High Density Lipoprotein Cholesterin, kurz HDL-C, um 11,3 % und das Low Density Lipoprotein Cholesterin, kurz LDL-C, um 7,3 %. Darüber hinaus erhöhten sich die Triglyceride um 26,5 % (Higano 2003). Diese erhöhten Blutwerte bzw. Fettstoffwechselstörungen sind Kennzeichen für ein metabolisches Syndrom. Es ist daher nachvollziehbar, dass in einer Studie bei über 50% der Patienten während einer langfristigen ADT ein metabolisches Syndrom festgestellt wurde während dies nur bei 20% der gesunden Männer der Fall war (Braga-Basaria 2006). Es ist daher sinnvoll, Patienten vor einer ADT auf diese Risiken hinzuweisen, eine Ernährungsberatung durchzuführen und während der Therapie die Faktoren für ein metabolisches Syndrom zu überwachen (Mitzuzuka).
Es gibt Medikamente um einige der Symptome des metabolischen Syndroms zu lindern. So kann das Cholesterin mit Statinen gesenkt werden, es gibt blutdrucksenkende Mittel gegen Bluthochdruck und Thrombozytenaggregationshemmer, wie z.B. Aspirin, zur Verhinderung von Blutgerinnseln. Außerdem wurde in einer Studie festgestellt, dass eine Ergänzung der ADT mit Toremifen den Cholesterinspiegel um 4,7% senkte, das LDL-C um 7,0% und Triglyceride um 17,6%. Dagegen stieg das HDL-C um 7,2% (Smith 2010). Ein zu niedriges HDL-C ist ein Risikofaktor. Sinnvoller ist allerdings eine gesunde Ernährung und sportliche Betätigung. Die aus dem metabolischen Syndrom resultierenden kardiovaskulären Risiken bei Patienten während einer ADT werden im folgenden Kapitel dargestellt.
8 Kardiovaskuläre Risiken und Diabetes
In wie weit die ADT ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen ist, konnte in Studien nicht eindeutig belegt werden. Hier eine Übersicht über die vorliegenden Studien:
In der Graphik (O'Farrell 2015) sind oben die randomisierten Studien aufgeführt (RCT) und darunter die retrospektiven und beobachtenden Studien, die generell eine niedrigere Evidenz als die randomisierten Studien haben. Wenn der blaue Punkt links oder auf der senkrechten Linie liegt, so konnte ein Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen nicht nachgewiesen werden. Dagegen wird von einem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen berichtet, wenn der blaue Punkt rechts von der senkrechten Linie liegt. Die randomisierten Studien konnten überwiegend kein Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen feststellen, die beobachtenden Studien, also die mit der niedrigeren Evidenz, dagegen schon. O'Farrell hat alle diese Studien zusammengefasst und für Patienten unter ADT ein um 21% (HR 1,21) erhöhtes, kardiovaskuläres Risiko errechnet. Ein niedrigeres Risiko errechnete er für Antiandrogene wie Bicalutamid. Hier ergab sich ein um 13% vermindertes Risiko gegenüber der Kontrollgruppe. Da sich auch bei Patienten mit Orchiektomie ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko zeigte, schließt O'Farrell daraus, dass das abgesenkte Testosteron durch die damit verbundenen metabolischen Symptome zu dem erhöhten kardiovaskulären Risiken führt. Bicalutamid wäre danach besser als Hormontherapie für Patienten mit bestehenden kardiovaskulären Risiken geeignet. Die Ergebnisse der Studie von O'Farrell werden teilweise in Zweifel gezogen (Shore 2019). In Verbindung mit weiteren Studien sah sich jedoch die amerikanische FDA veranlasst, auf den Beipackzetteln der GnRH-Analoga eine Warnung vor kardiovaskulären Risiken zu verlangen und die American Heart Association gab eine Information heraus, in der vor kardiovaskulären Risiken während einer ADT gewarnt wird (Levine 2010).
Unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen versteht man Herzinfarkt, Herzstillstand, Herzversagen, Schlaganfall, Herzmuskelstörungen, Angina pectoris, Herzrhythmusstörungen und Erkrankung der Herzkranzgefäße (Haque 2017). Der Grund für diese vermuteten kardiovaskulären Risiken konnte bisher nicht mit Sicherheit ermittelt werden. Man nimmt an, dass sich durch die GnRH Analoga die Ablagerungen (arteriosklerotische Plaques) in den Arterien lösen. Werden diese mit dem Blut in kleinere Gefäße gespült, können sie diese verstopfen. Dies kann eine Herz-Kreislauf-Erkrankung auslösen (Roe 2016). Besonders betroffen von diesem Risiko sind Patienten, die vor Beginn der ADT bereits Herz-Kreislauf-Erkrankungen hatten (Haque 2017). Dies ist offenbar die Mehrheit der Prostatakrebspatienten. In einer Studie wurde festgestellt, dass 51% der Patienten diese Vorerkrankungen hatten und zusätzlich 9% Diabetiker waren (Daskivich 2013).
Dies ist in sofern relevant, da Prostatakrebspatienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen generell ein höheres Risiko haben aus anderen Gründen als Prostatakrebs zu versterben. In einer Studie waren Patienten ohne Vorerkrankungen nur in 16% der Fälle, dagegen Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen in 49% der Fälle innerhalb von 10 Jahren aus anderen Gründen als Prostatakrebs verstorben (Chamie 2001, Figure 1). Kardiovaskuläre Erkrankungen stellen also ein erhebliches Risiko zu versterben dar, auch ohne ADT.
Einige Studien berichten, dass eine Therapie mit dem GnRH-Antagonisten Degarelix(Firmagon®) ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben soll. In der Studie von Margel wurde dies bei Patienten gezeigt, bei denen vor Beginn der ADT Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgetreten waren (Margel 2019). Bei 33,3 % dieser Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen, die mit einem GnRH Analogon behandelt wurden, traten Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf, während dies nur bei 4,8 % dieser Patienten der Fall war, die mit Degarelix behandelt wurden. Sicherlich wären bei Patienten, die vor der ADT keine bestehenden kardiovaskulären Risiken hatten, insgesamt niedrigere Prozentwerte ermittelt worden. Es wird gerade eine große Studie mit dem Namen PRONOUNCE durchgeführt, die klären soll, ob Degarelix bei Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen wirklich zu weniger kardiovaskulären Problemen führt als ein GnRH Analogon (Slovin 2018).
Man sollte daher während einer ADT die Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzieren. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nennt folgende Risikofaktoren:
• Rauchen
• Hohe Cholesterinwerte
• Zuckerkrankheit (Altersdiabetes Typ II)
• Bluthochdruck
• Übergewicht
• Ungesunde Ernährung
• Bewegungsmangel
• Psychosoziale Stressoren
Viele dieser Faktoren werden aber durch die ADT gefördert, wie hohe Cholesterinwerte (Smith 2002), Risiko von Diabetes, Gewichtszunahme und damit einhergehend Bluthochdruck sowie Stress durch die Tumorerkrankung und -behandlung.
Die American Heart Association empfiehlt das ABCDE System, um kardiovaskuläre Risiken zu reduzieren (Bhatia 2016):
A) Awareness und Aspirin: Bewusstsein für kardiovaskuläre Risiken beim Patienten erreichen, prophylaktisch eine 75 bis 100 mg Tablette Aspirin pro Tag einnehmen.
B) Blutdruck: dieser sollte unter 140/90 mm Hg liegen. Zur Senkung des Blutdrucks sollen ACE-Hemmer, wie Captopril, Enalapril usw., verwendet werden.
C) Cholesterin und Cigaretten: zu hohe Cholesterin-Werte können durch eine Diät oder mit Statinen in den Referenzbereich gebracht werden. Das Rauchen sollte wegen der vielfältigen, schädlichen Wirkungen eingestellt werden.
D) Diabetes und Diät: der Blutzucker-Wert sollte überwacht werden und durch Diät oder Metformin eine Diabetes-Erkrankung vermieden werden. Die Ernährung sollte auf mehr Früchte, Gemüse und Vollwertbrot umgestellt werden. Mit der Nahrung sollten mehr als 600 IU Vitamin D und weniger als 1200 mg Kalzium pro Tag aufgenommen werden.
E) Exercise (Sport): 150 Minuten moderater Sport sollte in der Woche durchgeführt werden. Ungeübte Patienten sollten anfangs mit weniger Minuten beginnen.
Diabetes ist eine Gruppe von Stoffwechselstörungen des Kohlenhydratstoffwechsels. Sie entstehen durch einen Mangel an Insulin oder einer abgeschwächten Wirksamkeit des Insulins (Insulinresistenz). Die daraus resultierende chronische Überzuckerung führt zu Schäden am Nervensystem und am Blutgefäßsystem.
Die ADT steigert das Körperfett in der Bauchregion, das als Risikofaktor für Diabetes gilt. Außerdem reduziert sie innerhalb von zwölf Wochen die Insulinresistenz und damit ebenfalls das Risiko für Diabetes (Keating 2006). Einen Zusammenhang zwischen Diabetes und ADT belegt derzeit nur eine retrospektive Studie. Danach hatten Patienten mit einer ADT 42% häufiger Diabetes als die Kontrollgruppe (Keating 2006).
9 Verkleinerung von Hoden und Penis
Eine längere ADT führt zu einer Verkleinerung der Hoden auf etwa Haselnussgröße. Das ist bei 93% der Patienten der Fall (Walker 2013). Dies führt zu bleiben Schäden, die auch die Produktion von Spermien erheblich schädigen (Hadžiselimović 1987). Die antihormonelle Therapie behindert die Bildung gesunder Spermien daher sehr stark und die Fruchtbarkeit geht normalerweise verloren.
Auch der Penis schrumpft (Higano 2003). In der Studie von Park wurde die eregierte Länge vor und nach der ADT gemessen. Vor der Therapie waren es im Mittel 10,76 cm. Nach 24 Monaten ADT war die Penislänge im Mittel auf 8,05 cm zurückgegangen (Park 2011). Nach 15 Monaten ging die Länge nicht weiter zurück.
Grundsätzlich vergrößern sich die Hoden und der Penis teilweise wieder, wenn die ADT beendet wird. Nach langer Dauer kann es aber sein, dass sich nur ein Hoden wieder erholt, was optisch zu einer asymetrischen Erscheinung führt.
Meist wurden die Patienten vor einer ADT mit einer Prostataoperation oder Bestrahlung therapiert. Dies führte ebenfalls zu einer Reduktion der Penislänge. Die ADT reduziert die Penislänge weiter.
1 Einleitung
2 Medikamente zur Durchführung einer Hormontherapie
3 Wann ist eine Hormontherapie anzuwenden?
4 Hitzewallungen
5 Einschränkungen der Sexualität
6 Muskelschwund und Verringerung der physischen Leistungsfähigkeit
7 Gewichtszunahme und metabolisches Syndrom
8 Kardiovaskuläre Risiken und Diabetes
9 Verkleinerung von Hoden und Penis
10 Brustwachstum/Gynäkomastie
11 Verlust der Körperbehaarung
12 Gelenkschmerzen
13 Knochenschwund und -brüche, Osteoporose
14 Blutarmut/Anämie
15 Fatigue – chronische Müdigkeit
16 Psychische Beschwerden
17 Kognitive Veränderungen
18 Trockene Augen
19 Erholung des Testosteronspiegels nach einer Hormontherapie
20 Hormontherapie mit Antiandrogenen
21 Östrogene zur Linderung der Nebenwirkungen
22 Pharmakologie der Präparate zur Hormontherapie
a) Zellbiologische Grundlagen
b) Orchiektomie
c) GnRH Analoga
d) GnRH Antagonisten
e) Antiandrogene
f) Hemmer der Testosteron-Biosynthese
g) Neue Androgenrezeptorhemmer
h) Östrogene
23 Schlußbetrachtung
24 Quellenverzeichnis
1 Einleitung
Die Hormontherapie ist eine sehr effektive Therapie gegen das Wachstum des Prostatakrebses. Fast alle Patienten, die nicht durch eine Operation oder Bestrahlung den Tumor beseitigen konnten, müssen irgendwann eine Hormontherapie machen. Diese Therapie wird dann für die verbleibende Lebenszeit angewendet. Oft wird auch bei einer Bestrahlung eine Hormontherapie von zwei bis drei Jahren durchgeführt.
Eine Hormontherapie ist mit vielen Nebenwirkungen verbunden. Diese treten nicht alle bei jedem Patienten auf und in der Regel auch mit individuell unterschiedlicher Intensität. An manche Nebenwirkungen gewöhnen sich die Patienten auch und manche belasten dessen soziales Umfeld mehr als den Patienten selbst.
Der Arzt wird empfehlen, mit einer Hormontherapie zu beginnen, wenn er dies aus Sicht der Krebsbekämpfung für richtig erachtet. Viele Ärzte sprechen mit dem Patienten nicht über Nebenwirkungen. Sollte der Arzt ihm alle Nebenwirkungen eingehend erläutern, würden die meisten Patienten große Bedenken haben mit einer Hormontherapie zu beginnen. Viele Patienten sprechen später die Nebenwirkungen beim Arzt nicht an oder wissen auch nicht, dass diese durch die Hormontherapie verursacht werden. Manche Ärzte bestätigen dann nur, dass es sich um eine bekannte Nebenwirkung handelt. Der Arzt konzentriert sich auf die Wirkung der Hormontherapie, die durch die Entwicklung des PSA Wertes verfolgt wird und wird dem Patienten oft keine Empfehlungen geben, wie dieser mit den Nebenwirkungen umgehen kann. Entsprechend erwähnt der Beipackzettel der eingesetzten Medikamente nur welche Nebenwirkungen auftreten können, aber nicht, was der Patient dagegen tun könnte. Da die Hormontherapie über viele Jahre angewendet wird, kann dies zu einer große Belastung für den Patienten führen.
Wenn ein neues Medikament zugelassen werden soll, so bedarf dies großer und teurer Studien, sogenannter Phase III Studien. In Bezug auf die Nebenwirkungen der Medikamente für eine Hormontherapie liegen keine entsprechenden, großen Studien vor. Daher basieren die in dieser Arbeit verwendeten Studien auf kleineren Teilnehmerzahlen und haben daher nicht die hohe Evidenzkategorie wie große Phase III Studien. Dies muss man bei der Bewertung der Studienergebnisse berücksichtigen. Diese Studien liefern keine endgültigen Beweise, sind aber deutlich hilfreicher als keine Studien. Manchmal liegen auch Studien mit widersprechenden Ergebnissen vor. Im Rahmen dieser Arbeit konnte aber keine vergleichende Bewertung dieser Studien durchgeführt werden.
Es wird im folgenden ein Überblick über die verschiedenen Nebenwirkungen gegeben, die bei einer Hormontherapie auftreten können und die Möglichkeiten zur Linderung oder Vermeidung dieser Nebenwirkungen aufgezeigt. Ziel ist es den betroffenen Patienten, die eine Hormontherapie machen müssen, damit zu helfen.
2 Medikamente zur Durchführung einer Hormontherapie
Eine Hormontherapie kann mit verschiedenen Medikamenten durchgeführt werden. Fast immer sind dies sogenannte GnRH-Analoga (Leuprorelin, Goserelin, Triptorelin oder Buserelin) oder GnRH-Antagonisten (z.B. Degarelix). Außerdem können die Hoden operativ entfernt werden, das ist die sogenannte Orchiektomie. Man bezeichnet die Hormontherapie auch als ADT, diese Abkürzung steht für Androgendeprivationstherapie oder Androgenentzugstherapie. In dieser Arbeit wird die Androgenentzugstherapie mit GnRH-Analoga, GnRH-Antagonisten oder Orchiektomie als ADT bezeichnet und es werden die von diesen Mitteln verursachten Nebenwirkungen behandelt. Daneben gibt es noch Antiandrogene, vor allem Bicalutamid, die andere Nebenwirkungen zeigen und daher in einem gesonderten Kapitel behandelt werden. Die Therapie mit Antiandrogenen wird in diesem Text nicht als ADT bezeichnet. Wird dagegen von Hormontherapie gesprochen, so ist beides, eine ADT und eine Therapie mit Antiandrogenen gemeint.
Die Prostatakrebszellen besitzen Androgen-Rezeptoren die das Testosteron im Körper eines Mannes binden. Dieses Testosteron benötigt die Tumorzelle für ihr weiteres Wachstum. Wenn man den Testosteronspiegel im Körper durch eine ADT senkt, so können die Tumorzellen kein Testosteron aufnehmen und das Wachstum dieser Zellen wird gestoppt. Manche Zellen sterben dadurch auch ab. Andere Tumorzellen sind jedoch resistent und wachsen trotzdem weiter, auch ohne oder mit nur sehr wenig Testosteron.
Eine ADT wird heute weit überwiegend medikamentös durchgeführt, das operative Entfernen der Hoden, die Orchiektomie, wird nur noch selten angewandt. Man kann diese Operation nicht mehr rückgängig machen, wenn starke Nebenwirkungen auftreten sollten. Es sei denn, man führt das Testosteron durch Medikamente wieder zu.
Am häufigsten werden GnRH-Agonisten eingesetzt. Dies sind Spritzen, die es in Ein-, Drei oder Sechs-Monats-Depots gibt. Diese GnRH-Agonisten gibt es in verschiedenen Wirkstoffen, die unter verschiedenen Handelsnamen angeboten werden:
Leuprorelin (Enantone®, Trenantone®, Eligard®)
Goserelin (Zoladex®)
Triptorelin (Decapeptyl®, Pamorelin®)
Buserelin (Profact®, Metrelef®, Suprecor®, Suprefact®)
Am bekanntesten ist der Wirkstoff Leuprorelin. Davon enthält Eligard® doppelt so viel wie die anderen beiden Medikamente Enantone® und Trenantone®.
Daneben gibt es GnRH-Antagonisten, von denen derzeit nur Firmagon® mit dem Wirkstoff Degarelix eine praktische Bedeutung hat.
Die im folgenden betrachteten Nebenwirkungen werden durch Orchiektomie, GnRH-Analoga und GnRH-Antagonisten verursacht. Diese Mittel senken den Testosteronspiegel im Körper ab. Es gibt daneben auch Antiandrogene, die als Tabletten eingenommen werden und eine ganz andere Wirkungsweise haben, so dass diese Nebenwirkungen nicht oder in erheblich geringerem Umfang auftreten. Die Ärzte gehen allgemein davon aus, dass diese Antiandrogene keine so effektive Wirkung gegen den Tumor haben wie die erwähnten GnRH-Agonisten und GnRH-Antagonisten.
3 Wann ist eine Hormontherapie anzuwenden?
Die Nebenwirkungen eine ADT lassen sich natürlich am einfachsten vermeiden, in dem keine Hormontherapie durchgeführt wird. Man sollte daher jeweils genau prüfen, ob wirklich eine Hormontherapie in der aktuellen Situation erforderlich ist. Es gibt verschiedene Krankheitsituationen, in denen eine Hormontherapie eingesetzt wird. Diese sind:
a) Umfangreiche Metastasen werden bereits bei der Diagnose festgestellt
In diesem Fall gehen die Leitlinien davon aus, dass der Krankheitsverlauf durch eine Operation oder Bestrahlung nicht mehr kurativ behandelt werden kann und empfehlen mit einer Hormontherapie zu beginnen. Diese wird dann lebenslang fortgeführt. Neuere Studien zeigen allerdings, dass der Krankheitsverlauf auch in dieser Situation durch eine Operation oder Bestrahlung positiv beeinflusst werden kann (Choudhury 2019)(Parker 2018)(Knipper 2019). Auf die Hormontherapie kann in diesem Fall aber trotzdem nicht verzichtet werden.
b) Als begleitende Therapie bei einer Bestrahlung
Wenn sich der Patient, meist bei fortgeschrittenem Alter, für eine Strahlentherapie der Prostata entscheidet, so zeigen Studien, dass der Erfolg dieser Strahlentherapie deutlich verbessert wird, wenn gleichzeitig mit einer ADT begonnen wird. Teilweise wird damit auch schon vor der Bestrahlung begonnen. Umstritten ist, wie lange die ADT in diesem Fall durchzuführen ist. Die grundlegende Studie dazu (Bolla 2009) empfiehlt eine Dauer von 36 Monaten, also drei Jahre. In dieser Studie wurde auch festgestellt, dass sechs Monate ADT keine entsprechende Wirkung hatten. Eine ADT über drei Jahre ist für einen Patienten eine erhebliche Belastung und manche der eingetretenen Nebenwirkungen, wie erektile Dysfunktion, bilden sich oft nach dem Ende der ADT nicht mehr zurück. Kritiker dieser Studie wenden ein, dass zum Zeitpunkt dieser Studie mit niedrigeren Strahlendosen als heute gearbeitet wurde und daher jetzt möglicherweise eine kürzere Dauer der begleitenden ADT möglich sei. Es gibt jetzt eine neuere, Phase-III Studie (Nabid 2018), die feststellte, dass 18 Monate begleitende ADT die gleiche Wirkung wie eine ADT über 36 Monate hat. Bei neueren Bestrahlungstechniken, die mit höheren Strahlendosen arbeiten wie die SBRT Bestrahlung, konnte kein Vorteil für eine begleitende ADT festgestellt werden. Auch bei der Brachytherapie zeigte sich ein längeres Überleben bei nur 6 Monaten ADT gegenüber einer längeren ADT (Stone 2018).
c) Als begleitende Therapie bei einer Salvage-Bestrahlung
Wenn nach einer Prostata-Operation der PSA Wert ansteigt, so wird oft eine Bestrahlung der Prostata durchgeführt, um dort möglicherweise vorhandene Tumorreste zu beseitigen. In diesem Fall sehen die Leitlinien keine begleitende Hormontherapie vor. In Studien wurde jedoch eine begleitende ADT von sechs Monaten (Carrie 2019) oder eine Hormontherapie mit Bicalutamid von 24 Monaten (Shipley 2017) mit gutem Erfolg durchgeführt. Vor allem bei Patienten mit höherem Risiko kann daher eine entsprechende Hormontherapie sinnvoll sein. Die Studie von Shipley wurde vor kurzem neu ausgewertet (Spratt 2019). Dabei wurde deutlich, dass die begleitende Hormontherapie nur bei Patienten mit hohem Risiko einen Vorteil zeigte. Als Patienten mit hohem Risiko wurden Betroffene mit eine PSA Wert von größer 1,5 ng/ml vor Beginn der Bestrahlung eingestuft.
d) Bei einem biochemischen Rezidiv
In vielen Fällen steigt nach einer Bestrahlung oder einer Salvage-Bestrahlung nach Operation der PSA Wert wieder an. In der Regel ist der Betroffene und sein soziales Umfeld darüber sehr besorgt. Die überwiegende Mehrheit der Urologen wird daraufhin mit einer ADT beginnen. Der PSA Wert fällt daraufhin stark, der Patient ist zufrieden und der Arzt ebenfalls. Die Frage ist allerdings, ob angesichts der Nebenwirkungen einer ADT dieses Vorgehen in dieser Situation sinnvoll ist. Vorliegende Studien konnten durch eine Senkung des PSA Wertes kein längeres Überleben nachweisen. Zwei kleinere Studien (Messing 2006)(Duchesne 2016, TOAD Studie) können auf Grund viel zu niedriger Teilnehmerzahlen keine validen Aussagen dazu machen. So zeigte eine gemeinsame Auswertung der TOAD und der ELAAT Studien keinen Vorteil für einen frühen Beginn der ADT (Loblaw 2018). Die Leitlinien empfehlen daher, den Anstieg des PSA Wertes nicht mit einer ADT zu bekämpfen. Diese Empfehlung der Leitline bleibt jedoch weitgehend unbeachtet. So wurde in einer deutschen Studie festgestellt, dass 70% der Patienten, die mit einer ADT begannen, noch keine Metastasen zeigten (Hupe 2018).
Die Leitlinie erwähnt, man solle bei einem steigenden PSA Wert in dieser Situation mit einer Hormontherapie beginnen bei (Leitlinie Prostatakarzinom, Erläuterung zu Punkt 6.16):
• einer PSA-Verdopplungszeit < 3 Monate;
• symptomatischer lokaler Progression;
• nachgewiesener Fernmetastasierung.
Man geht wohl davon aus, dass bei einer PSA-Verdopplungszeit kleiner als drei Monaten von vorhandenen Metastasen auszugehen ist. Unter symptomatischer lokaler Progression ist das Auftreten von Schmerzen durch Metastasen gemeint, mit Fernmetastasierung Metastasen außerhalb des Beckenbereichs. Diese Metastasen sollten aber mit einem CT oder Knochenszintigramm festgestellt werden und nicht mit einem PSMA PET/CT, das viel früher als die von der Leitlinie zugrunde gelegten Studien Metastasen nachweisen kann.
Wenn der Betroffene von dem PSA Anstieg sehr beunruhigt ist, kann man auch eine intermittierende Hormontherapie mit Bicalutamid durchführen, um den PSA Wert zu senken. Dieses Mittel hat nur geringe Nebenwirkungen und kann im sechsmonatigen Wechsel eingesetzt werden. Wenn Bicalutamid keine Wirkung mehr hat, können ein GnRH-Analogon oder andere Medikamente wie Flutamid eingesetzt werden.
e) Hormontherapie nach einer Operation
Bei anderen Tumorarten, z.B. Darmkrebs, wird nach der Operation eine Chemotherapie durchgeführt, um verbliebene Tumorzellen dadurch abzutöten. Damit vergleichbar kann man auch nach einer Prostata-Operation eine sechsmonatige ADT durchführen. Wie in einer großen Studie gezeigt wurde, führt dies auch bei Patienten mit hohem Risiko zu einem sehr guten Krankheitsverlauf über zehn Jahre nach der Operation (Dorff 2011, Hussain 2018a).
4 Hitzewallungen
Die ADT senkt den Testosteronspiegel und in der Folge davon den Östrogenspiegel. Das Senken des Östrogenspiegels bewirkt beim Mann Hitzewallungen wie sie auch von Frauen in den Wechseljahren bekannt sind (Russell 2017)(Taylor 2016). Diese Hitzewallungen treten bei etwa 60% der Männer während einer ADT auf (Walker 2013). Sie führen zu Schwindel, Herzklopfen und ausgeprägten Schlafstörungen. Allein diese an sich harmlose Nebenwirkung veranlasst einen großen Teil der Patienten die ADT abzubrechen (Allan 2014).
(Bild aus Frydenberg 2019)
Das abgesenkte Östrogen senkt den Temperatursollwert im präoptischen Bereich des vorderen Hypothalamus (Allan 2014). Die Änderungen der Temperatur der Haut wird von spezialisierten Nervenzellen registriert und an das Rückenmark gemeldet. Die Signale werden von dort aus ins Stammhirn weitergeleitet, und zwar an die Nervenzellen in einer Stammhirnregion namens Nukleus parabrachialis. Dies aktiviert wiederum die erwähnte präoptische Region (Nakamura 2008). Wurde dort der Temperatursollwert durch den Östrogenmangel gesenkt, so beginnt man zu schwitzen obwohl die Außentemperatur dies nicht erforderlich machen würde. Dieser Temperatursollwert ist nun individuell unterschiedlich stark gestört, so dass die Patienten unterschiedlich starke Beschwerden haben.
Bei Patienten, die diese Zusammenhänge kennen, lösen diese Beschwerden keine Besorgnis aus. Luftdurchlässige Kleidung aus Baumwolle, niedrige Temperaturen im Schlafzimmer und die Vermeidung bekannter Faktoren, die eine Hitzewallung auslösen können, ermöglichen den Patienten diese Beschwerden zu bewältigen. Als solche Faktoren werden genannt: erhöhte Umgebungstemperaturen, Stress, Angstzustände, scharfe Lebensmittel, Kaffee und Alkohol. Als Hausmittel gegen Hitzewallungen wird auch Salbeitee empfohlen (Janzer 2009). Als Alternative zu Salbeitee gibt es auch Tabletten mit Salbeiblätter-Trockenextrakt, die unter dem Namen Sweatosan angebotenen werden.
Frauen und teilweise auch Männer verwenden pflanzliche Mittel gegen Hitzewallungen. Dies sind die Wirkstoffe der Traubensilberkerze, die unter dem Namen Remifen und Remifen plus angeboten werden. Außerdem sibirischer Rhabarber, der unter dem Namen femiLoges im Handel ist. Darüber hinaus gibt es diverse Kombinationspräparate mit verschiedenen weiteren Pflanzenstoffen. Man bezeichnet diese teilweise als Phytoöstrogene, da sie eine strukturelle Ähnlichkeit mit den Östrogenen besitzen. Diese Ähnlichkeit ermöglicht offenbar eine Bindung an Östrogenrezeptoren.
Es gibt weitere Möglichkeiten, diese Hitzewallungen zu bekämpfen. Bei Frauen wird eine Östrogen-Ersatztherapie mit Östradiol-Pflastern angeboten. Da die Hitzewallungen auch beim Mann durch einen niedrigen Östrogenspiegel verursacht werden, wirken diese Pflaster auch bei Männern (Gerber 2000).
Man kann auch Medikamente nehmen, die allerdings mit Nebenwirkungen verbunden sind. So können Antidepressiva der SNRI oder SSRI Klassen wie Gabapentin(Neurontin®) und Venlafaxin(Effexor®) oder auch Clonidin eingesetzt werden (Barbieri 2013) (Laufer 1982) (Loprinzi 1994) (Loprinzi 2009) (Boekhout 2008). Außerdem lassen sich Cyproteronacetat(Androcur®) oder eine Spritze Medroxyprogesteronacetat(MPA) (Provesa®) gegen Hitzewallungen einsetzen (Irani 2009).
Die Prostatakrebsleitlinie erwähnt zur Linderung von Hitzewallungen Cyproteronacetat „ in einer Dosierung von 50 mg 2 x 1 Tbl. oder 300 mg i.m. alle zwei Wochen“. Außerdem werden Östrogene und Progesteron sowie Clonidin oder Antidepressiva erwähnt. (Leitlinie Prostatakarzinom, Erläuterung zu Punkt 6.16)
Schließlich kann auch Akupunktur eingesetzt werden, um die Hitzewallungen zu reduzieren (Beer 2010)(Frisk 2014). Damit konnten bei 41% der Patienten die Hitzewallungen um mehr als 50 % reduziert werden (Beer 2010). Empfohlen wird eine Behandlung zweimal die Woche während der ersten vier Wochen, danach einmal die Woche für sechs weitere Wochen. Folgende Punkte sollen dabei genadelt werden:
bilateral: Gallenblasen Gb 34, Blasen Bl 15, Bl 23, Bl 32,
unilateral: Dumai GV/Du 20, Herz He 7, Kreislauf Ks 6, Leber Le 2 und Milz Mi 6.
Die Punkte Bl 23 und Bl 32 erhalten eine Niedrig-Frequenz Elektrostimulation (2 Hz)
(Beer 2010). Die angegebenen Organe beziehen sich auf die Mediane, auf denen die Punkte liegen.
Bei all diesen Mitteln muss man berücksichtigen, dass ein Placebo bei etwa 25% der Patienten zu einer Besserung der Hitzewallungen um über 50% führt (Kaplan 2014). Dies entsprach in einer Studie der Wirkung von niedrig dosiertem Gabapentin (Loprinzi 2009).
5 Einschränkungen der Sexualität
Durch die ADT kommt es bei fast allen Patienten zu Erektionsstörungen, also einer erektilen Dysfunktion. Das heißt, es ist keine Erektion des Penis mehr möglich.
(Bild aus van Oort 2019)
Vielfach ist zusätzlich die Potenz der Patienten bereits vor Beginn der ADT altersbedingt oder durch eine Operation oder Bestrahlung geschwächt. Ebenfalls schwächt die Gewichtszunahme während einer ADT die Potenz (Hatzimouratidis 2007). Darüber hinaus lässt die Libido, also das Interesse an Sexualität, durch die ADT stark nach. Diese Nebenwirkungen müssen auch mit der Partnerin des Patienten besprochen werden, da die Partnerschaft davon sehr beeinträchtigt werden kann. Über 80% der Patienten stellen ihre sexuellen Aktivitäten während einer ADT ein (Walker 2013).
Jeder Mann hat nachts, meist unbemerkt, Erektionen. Diese finden nach Beginn der ADT auf Grund der Absenkung des Testosterons nicht mehr statt. Durch die mangelnde Libido reduziert der Patient ebenfalls die Zahl der Erektionen. Dies führt nach ungefähr sechs Monaten zu einer Penisatropie, die Schwellkörper schrumpfen und eine Erektion ist nicht mehr möglich, da das Abfließen des Blutes aus den Schwellkörpern nicht mehr verhindert werden kann (Aoun 2015). Diese Penisatropie beginnt sich schon nach einigen Wochen zu entwickeln. Daher sind ein großer Teil der Patienten auch nach dem Ende der ADT dauerhaft impotent. Dem kann nur entgegengewirkt werden, wenn der Patient trotz mangelnder Libido regelmäßig für Erektionen sorgt! Eine Impotenz nach dem Ende der ADT wird in vielen Fällen die Partnerschaft weiter belasten. Sie hat oft gravierende Auswirkungen auf die Psyche. Es kann zur Vereinsamung aufgrund von Scham, auf eine Einstellung sexueller Aktivitäten und einem Verlust des Selbstwertgefühls kommen.
Ein Mann kann auch ohne Erektion durch entsprechende Stimulation einen Orgasmus haben. Auch die Frau benötigt keine Penetration, um zu einem Orgasmus zu kommen. Viele Paare haben daher gemeinsamen Sex in dem sie sich entsprechend darauf eingestellt haben. Darüber hinaus lässt sich eine erektile Dysfunktion durch Medikamente, die die Erektion verstärken oder andere Maßnahmen teilweise beheben. Geeignete Medikamente sind z.B. Sildenafil (Viagra®) oder Tadalafil (Cialis®), die mittlerweile als Generika verfügbar sind. Der Testosteron-Entzug während einer ADT soll allerdings die Wirkung dieser Medikamente reduzieren (White 2015) (Alhathal 2012). Dies gilt insbesondere wenn bereits eine Penisatropie eingetreten ist.
Alternativ gibt es auch den Wirkstoff Alprostadil, der vom Patienten selbst injiziert werden muss. Dieser ist auch dann wirksam, wenn die Erektionsstörungen durch eine Schädigung der Nerven im Rahmen einer Prostataoperation hervorgerufen wurden. Dieser Wirkstoff kann als Fertigspritze, Harnröhrenstäbchen (MUSE®) oder Gel verabreicht werden. Die Spritze hat etwa die Größe einer Insulinspritze und damit wird das Mittel direkt in den Schwellkörper des Penis injiziert. Man nennt dies auch eine Schwellkörper-Autoinjektions-Therapie (SKAT). Das Gel wird dagegen mit einem Applikator in die Harnröhre gedrückt. Die erste Anwendung und Einweisung erfolgt in der Regel durch den Urologen, der erst danach ein Rezept ausstellen sollte.
Eine Erektion lässt sich auch mit einer Vakuumpumpe herbeiführen. Anschließend wird ein Gummiring über die Penisbasis gestülpt, der das Abfließen des Blutes verhindert. Nach einiger Übung ist das erfolgreich einsetzbar.
Schließlich gibt es noch Schwellkörperprothesen, die im Rahmen einer Operation in den Penis implantiert werden. Diese Operation kann recht schmerzhaft sein. Alle diese Mittel setzen allerdings voraus, dass trotz ADT ausreichend Libido für sexuelle Aktivitäten verblieben ist.
6 Muskelschwund und Verringerung der physischen Leistungsfähigkeit
Durch das Absenken des Testosteronspiegels kommt es zu einer Reduktion der Muskelmasse (Sarkopenie). Nach 12 Monaten sind beispielsweise einer Studie von Smith zufolge im Mittel 3,8 % der Muskelmasse zurückgegangen (Smith 2004). Dies führt zu einer verminderten Leistungsfähigkeit, die sich bei den Patienten meist deutlich bemerkbar macht (Storer 2012). Treppensteigen, bergauf gehen usw. fällt deutlich schwerer. Im Bodybuilding Bereich wird oft Testosteron zugeführt, um die Muskelmasse zu erhöhen. Entsprechend vermindert sich die Muskelmasse, wenn das Testosteron durch eine ADT gesenkt wird.
Dem Muskelschwund kann nur durch regelmäßiges Krafttraining entgegengewirkt werden (Galvão 2006). Frauen, können trotz niedrigem Testosteronspiegel durch Krafttraining Muskeln aufbauen. Krafttraining bedeutet Gewichtheben, Kniebeugen, Klimmzüge, Liegestützen oder Übungen an entsprechenden Geräten, die am besten in einem Fitnesszentrum unter Anleitung eines Trainers durchgeführt werden. Krafttraining verbessert das Befinden der Patienten deutlich (Segal 2003).
7 Gewichtszunahme und metabolisches Syndrom
Nach dem Beginn der ADT tritt bei den meisten Patienten eine Gewichtszunahme ein. Diese ist nicht durch die Testosteronabsenkung sondern durch die resultierende Östrogenabsenkung bedingt (Finkelstein 2013).
(Bild aus Meerleer 2016)
Die Gewichtszunahme beträgt im Mittel 1,8%, dies sind bei einem Gewicht von 90 kg also 1,6 kg. Wie bereits erwähnt, geht jedoch die Muskelmasse zurück (sarcopenic obesity). Der dadurch bedingte Gewichtsverlust wird durch einen Zuwachs an Körperfett überkompensiert. Das Körperfett erhöht sich um 11%, also ganz erheblich (Smith 2004). Andere Studien berichten von unterschiedlichen Werten. Der Zuwachs an Körperfett erhöht die kardiovaskulären Risiken und kann zu einem metabolischen Syndrom führen (Smith 2001a). Die Symptome für ein metabolische Syndrom beginnen sich bereits innerhalb von 12 bis 24 Wochen nach Beginn der ADT zu entwickeln (Østergren 2018)(Mitzuzuka 2016).
Unter dem Begriff „Metabolisches Syndrom“ werden verschiedene Krankheiten und Risikofaktoren für Herz-/Kreislauferkrankungen zusammengefasst, die sich in der Regel durch eine Überernährung entwickeln. Folgende Symptome bzw. Krankheitsbilder treten beim Metabolischen Syndrom meist gemeinsam auf (Nguyen 2015):
• starkes Übergewicht mit meist bauchbetonter Fetteinlagerung (Adipositas)
• Bluthochdruck
• erhöhter Blutzuckerspiegel (gestörter Zuckerstoffwechsel in Form einer
• Insulinunempfindlichkeit bzw. -Resistenz), eine Hauptursache für Diabetes
• gestörter Fettstoffwechsel, Hypertriglyzeridämie und erniedrigtes HDL-Cholesterin
Das metabolische Syndrom wird neben dem Rauchen als der entscheidende Risikofaktor für Erkrankungen der arteriellen Gefäße, insbesondere die koronare Herzkrankheit, angesehen. Männer mit einem metabolischen Syndrom sterben doppelt so häufig an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall wie gesunde Männer. Das Risiko eine Diabetes mellitus zu entwickeln ist fünfmal höher (International Diabetes Federation).
Es gibt verschiedene Definitionen für das Metabolische Syndrom. Am häufigsten wird für die Diagnose wohl die Definition des National Cholesterol Education Program (NCEP-ATP-III) verwendet. Danach müssen mindestens drei der unten angeführten Kriterien erfüllt sein (Grundy 2005):
Abdominelle (Bauch betreffende) Adipositas (Männer ≥ 102 cm Taillenumfang)
Erhöhte Triglyzerid-Konzentration (≥ 150 mg/dl)
Erniedrigtes HDL-Cholesterin (Männer ≤ 40 mg/dl)
Erhöhter Blutdruck (≥130/85 mmHg)
Erhöhte Nüchternglukose (≥ 110 mg/dl) (Blutabnahme vor dem Frühstück)
Durch die ADT werden diese Risikofaktoren für Herz-/Kreislauferkrankungen erhöht. Das oben erwähnte, zusätzliche Gewicht lagert sich als Fett vor allem im Bauchbereich an. Vielfach wurde auch während einer ADT ein erhöhter Blutdruck festgestellt (Higano 2003)(Smith 2001a).
Männer, die eine ADT durchführen, entwickeln eine geringere Insulinempfindlichkeit und damit eine höhere Insulinresistenz (Smith 2006) (Higano 2003). Es wird daher empfohlen, die ADT mit Metformin zu kombinieren (Nguyen 2015). Ob dies auch bei durch ADT induzierten Insulinresistenz zutrifft, ist umstritten (Mahalingam 2018). Die Frage, welche Wirkung die Einnahme von Metformin hat, um dieses Risiko zu reduzieren und gleichzeitig den Tumor zu bekämpfen, wird derzeit im Rahmen der STAMPEDE Studie untersucht (Gilbert 2018).
Schließlich wird auch der Fettstoffwechsel durch die ADT verändert. So erhöht sich jeweils im Mittel der Cholesterinspiegel um 9 %, das High Density Lipoprotein Cholesterin, kurz HDL-C, um 11,3 % und das Low Density Lipoprotein Cholesterin, kurz LDL-C, um 7,3 %. Darüber hinaus erhöhten sich die Triglyceride um 26,5 % (Higano 2003). Diese erhöhten Blutwerte bzw. Fettstoffwechselstörungen sind Kennzeichen für ein metabolisches Syndrom. Es ist daher nachvollziehbar, dass in einer Studie bei über 50% der Patienten während einer langfristigen ADT ein metabolisches Syndrom festgestellt wurde während dies nur bei 20% der gesunden Männer der Fall war (Braga-Basaria 2006). Es ist daher sinnvoll, Patienten vor einer ADT auf diese Risiken hinzuweisen, eine Ernährungsberatung durchzuführen und während der Therapie die Faktoren für ein metabolisches Syndrom zu überwachen (Mitzuzuka).
Es gibt Medikamente um einige der Symptome des metabolischen Syndroms zu lindern. So kann das Cholesterin mit Statinen gesenkt werden, es gibt blutdrucksenkende Mittel gegen Bluthochdruck und Thrombozytenaggregationshemmer, wie z.B. Aspirin, zur Verhinderung von Blutgerinnseln. Außerdem wurde in einer Studie festgestellt, dass eine Ergänzung der ADT mit Toremifen den Cholesterinspiegel um 4,7% senkte, das LDL-C um 7,0% und Triglyceride um 17,6%. Dagegen stieg das HDL-C um 7,2% (Smith 2010). Ein zu niedriges HDL-C ist ein Risikofaktor. Sinnvoller ist allerdings eine gesunde Ernährung und sportliche Betätigung. Die aus dem metabolischen Syndrom resultierenden kardiovaskulären Risiken bei Patienten während einer ADT werden im folgenden Kapitel dargestellt.
8 Kardiovaskuläre Risiken und Diabetes
In wie weit die ADT ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen ist, konnte in Studien nicht eindeutig belegt werden. Hier eine Übersicht über die vorliegenden Studien:
In der Graphik (O'Farrell 2015) sind oben die randomisierten Studien aufgeführt (RCT) und darunter die retrospektiven und beobachtenden Studien, die generell eine niedrigere Evidenz als die randomisierten Studien haben. Wenn der blaue Punkt links oder auf der senkrechten Linie liegt, so konnte ein Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen nicht nachgewiesen werden. Dagegen wird von einem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen berichtet, wenn der blaue Punkt rechts von der senkrechten Linie liegt. Die randomisierten Studien konnten überwiegend kein Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen feststellen, die beobachtenden Studien, also die mit der niedrigeren Evidenz, dagegen schon. O'Farrell hat alle diese Studien zusammengefasst und für Patienten unter ADT ein um 21% (HR 1,21) erhöhtes, kardiovaskuläres Risiko errechnet. Ein niedrigeres Risiko errechnete er für Antiandrogene wie Bicalutamid. Hier ergab sich ein um 13% vermindertes Risiko gegenüber der Kontrollgruppe. Da sich auch bei Patienten mit Orchiektomie ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko zeigte, schließt O'Farrell daraus, dass das abgesenkte Testosteron durch die damit verbundenen metabolischen Symptome zu dem erhöhten kardiovaskulären Risiken führt. Bicalutamid wäre danach besser als Hormontherapie für Patienten mit bestehenden kardiovaskulären Risiken geeignet. Die Ergebnisse der Studie von O'Farrell werden teilweise in Zweifel gezogen (Shore 2019). In Verbindung mit weiteren Studien sah sich jedoch die amerikanische FDA veranlasst, auf den Beipackzetteln der GnRH-Analoga eine Warnung vor kardiovaskulären Risiken zu verlangen und die American Heart Association gab eine Information heraus, in der vor kardiovaskulären Risiken während einer ADT gewarnt wird (Levine 2010).
Unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen versteht man Herzinfarkt, Herzstillstand, Herzversagen, Schlaganfall, Herzmuskelstörungen, Angina pectoris, Herzrhythmusstörungen und Erkrankung der Herzkranzgefäße (Haque 2017). Der Grund für diese vermuteten kardiovaskulären Risiken konnte bisher nicht mit Sicherheit ermittelt werden. Man nimmt an, dass sich durch die GnRH Analoga die Ablagerungen (arteriosklerotische Plaques) in den Arterien lösen. Werden diese mit dem Blut in kleinere Gefäße gespült, können sie diese verstopfen. Dies kann eine Herz-Kreislauf-Erkrankung auslösen (Roe 2016). Besonders betroffen von diesem Risiko sind Patienten, die vor Beginn der ADT bereits Herz-Kreislauf-Erkrankungen hatten (Haque 2017). Dies ist offenbar die Mehrheit der Prostatakrebspatienten. In einer Studie wurde festgestellt, dass 51% der Patienten diese Vorerkrankungen hatten und zusätzlich 9% Diabetiker waren (Daskivich 2013).
Dies ist in sofern relevant, da Prostatakrebspatienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen generell ein höheres Risiko haben aus anderen Gründen als Prostatakrebs zu versterben. In einer Studie waren Patienten ohne Vorerkrankungen nur in 16% der Fälle, dagegen Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen in 49% der Fälle innerhalb von 10 Jahren aus anderen Gründen als Prostatakrebs verstorben (Chamie 2001, Figure 1). Kardiovaskuläre Erkrankungen stellen also ein erhebliches Risiko zu versterben dar, auch ohne ADT.
Einige Studien berichten, dass eine Therapie mit dem GnRH-Antagonisten Degarelix(Firmagon®) ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben soll. In der Studie von Margel wurde dies bei Patienten gezeigt, bei denen vor Beginn der ADT Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgetreten waren (Margel 2019). Bei 33,3 % dieser Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen, die mit einem GnRH Analogon behandelt wurden, traten Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf, während dies nur bei 4,8 % dieser Patienten der Fall war, die mit Degarelix behandelt wurden. Sicherlich wären bei Patienten, die vor der ADT keine bestehenden kardiovaskulären Risiken hatten, insgesamt niedrigere Prozentwerte ermittelt worden. Es wird gerade eine große Studie mit dem Namen PRONOUNCE durchgeführt, die klären soll, ob Degarelix bei Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen wirklich zu weniger kardiovaskulären Problemen führt als ein GnRH Analogon (Slovin 2018).
Man sollte daher während einer ADT die Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzieren. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nennt folgende Risikofaktoren:
• Rauchen
• Hohe Cholesterinwerte
• Zuckerkrankheit (Altersdiabetes Typ II)
• Bluthochdruck
• Übergewicht
• Ungesunde Ernährung
• Bewegungsmangel
• Psychosoziale Stressoren
Viele dieser Faktoren werden aber durch die ADT gefördert, wie hohe Cholesterinwerte (Smith 2002), Risiko von Diabetes, Gewichtszunahme und damit einhergehend Bluthochdruck sowie Stress durch die Tumorerkrankung und -behandlung.
Die American Heart Association empfiehlt das ABCDE System, um kardiovaskuläre Risiken zu reduzieren (Bhatia 2016):
A) Awareness und Aspirin: Bewusstsein für kardiovaskuläre Risiken beim Patienten erreichen, prophylaktisch eine 75 bis 100 mg Tablette Aspirin pro Tag einnehmen.
B) Blutdruck: dieser sollte unter 140/90 mm Hg liegen. Zur Senkung des Blutdrucks sollen ACE-Hemmer, wie Captopril, Enalapril usw., verwendet werden.
C) Cholesterin und Cigaretten: zu hohe Cholesterin-Werte können durch eine Diät oder mit Statinen in den Referenzbereich gebracht werden. Das Rauchen sollte wegen der vielfältigen, schädlichen Wirkungen eingestellt werden.
D) Diabetes und Diät: der Blutzucker-Wert sollte überwacht werden und durch Diät oder Metformin eine Diabetes-Erkrankung vermieden werden. Die Ernährung sollte auf mehr Früchte, Gemüse und Vollwertbrot umgestellt werden. Mit der Nahrung sollten mehr als 600 IU Vitamin D und weniger als 1200 mg Kalzium pro Tag aufgenommen werden.
E) Exercise (Sport): 150 Minuten moderater Sport sollte in der Woche durchgeführt werden. Ungeübte Patienten sollten anfangs mit weniger Minuten beginnen.
Diabetes ist eine Gruppe von Stoffwechselstörungen des Kohlenhydratstoffwechsels. Sie entstehen durch einen Mangel an Insulin oder einer abgeschwächten Wirksamkeit des Insulins (Insulinresistenz). Die daraus resultierende chronische Überzuckerung führt zu Schäden am Nervensystem und am Blutgefäßsystem.
Die ADT steigert das Körperfett in der Bauchregion, das als Risikofaktor für Diabetes gilt. Außerdem reduziert sie innerhalb von zwölf Wochen die Insulinresistenz und damit ebenfalls das Risiko für Diabetes (Keating 2006). Einen Zusammenhang zwischen Diabetes und ADT belegt derzeit nur eine retrospektive Studie. Danach hatten Patienten mit einer ADT 42% häufiger Diabetes als die Kontrollgruppe (Keating 2006).
9 Verkleinerung von Hoden und Penis
Eine längere ADT führt zu einer Verkleinerung der Hoden auf etwa Haselnussgröße. Das ist bei 93% der Patienten der Fall (Walker 2013). Dies führt zu bleiben Schäden, die auch die Produktion von Spermien erheblich schädigen (Hadžiselimović 1987). Die antihormonelle Therapie behindert die Bildung gesunder Spermien daher sehr stark und die Fruchtbarkeit geht normalerweise verloren.
Auch der Penis schrumpft (Higano 2003). In der Studie von Park wurde die eregierte Länge vor und nach der ADT gemessen. Vor der Therapie waren es im Mittel 10,76 cm. Nach 24 Monaten ADT war die Penislänge im Mittel auf 8,05 cm zurückgegangen (Park 2011). Nach 15 Monaten ging die Länge nicht weiter zurück.
Grundsätzlich vergrößern sich die Hoden und der Penis teilweise wieder, wenn die ADT beendet wird. Nach langer Dauer kann es aber sein, dass sich nur ein Hoden wieder erholt, was optisch zu einer asymetrischen Erscheinung führt.
Meist wurden die Patienten vor einer ADT mit einer Prostataoperation oder Bestrahlung therapiert. Dies führte ebenfalls zu einer Reduktion der Penislänge. Die ADT reduziert die Penislänge weiter.
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