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Mein Mann ist gestorben

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    #46
    …. Es kommt meistens anders als man denkt……

    Und ich sollte langsam kapieren, dass ich mich auf nichts einstellen sollte, was meine Gefühle rund um die Trauer betreffen, keine Erwartungen haben. Ich hatte gestern den härtesten Tag seit Werners Tod.

    Bereits am Morgen in Wien begann ich zu weinen und ich bin früh aufgestanden um die Wohnung piccobello zu hinterlassen. Ich war früh am Flughafen und das war gut so, weil mein Name auf der Passagierliste nicht aufschien und wo immer ich alleine für mich saß, weinte ich vor mich hin.

    Viele Menschen, und dazu zähle ich, sehen hässlich aus wenn sie weinen, also ich meine diese erbarmungswürdige Hässlichkeit. Mein Mund wird zu einem seltsamen “Achter” geformt, die Wangen ziehen sich hoch, Augen werden zu Schlitze, innerhalb von Sekunden werde ich rot und verquollen. Ich gehöre zu denen, die richtig Rotz und Wasser heulen. Nicht so Werner. Wie bei einem Kind zitterten Lippen und Kinn ganz leicht und aus seinen Augen, die schön blau blieben, rannen ein paar Tränen. Mein Herz ist ihm dann immer noch mehr zugeflogen und ich hätte mich in diesem Moment für ihn vierteilen lassen.
    Seit einiger Zeit kann ich es jedoch auch ganz gut, das leise vor mich Hinweinen, ohne zu schniefen, zu schneuzen, ich erschrecke keinen, niemand merkt es. Und so habe ich praktisch den ganzen Tag geweint und in der Wohnung hier angekommen war es heftiger, schmerzhafter, als ich es mir in den sommerlichen Vorängsten je hätte vorstellen können.

    In der Nacht vor meiner Abreise habe ich so gut wie nicht geschlafen. Aber das war nicht schlimm, ich hatte die ganze Zeit Bilder von Werner im Kopf. Es war immer “Werner in Bewegung”. Er hatte ja gewisse pantomimische Fähigkeiten und besonders witzig sah es aus, wenn er z.B. bei einer Ballettübertragung sich vom Kühlschrank was zum Essen holte und mit den Bewegungen, der Fußstellung einer Ballerina zurückkam. Bei einer Größe von 1,90 mit Füßen so groß, dass er von seinen Schuhen sagte, sie sähen aus wie Elbkähne. Wie er den langen Flur zum Klo und zurück zum Fernseher rennt (als er noch rennen konnte) um nichts zu versäumen, mir mit fuchtelnden Handbewegungen zu verstehen gibt er habe jetzt keine Zeit, wie er im Rückenzentrum flott auf der niedrigsten Stufe radelt, am liebsten aber auf dem Gummiball liegt. Ich sehe ihn gebeugt, mit dem Gehwagen, wie er versucht aufrechte Haltung einzunehmen wenn jemand mit ihm spricht. Ich liebe ihn.

    Den ganzen Tag waren meine Gedanken wie ein Sack voll wild gewordener Hummeln. Keinen konnte ich zu Ende denken, keinen festhalten. Als wäre meine Trauer, meine Verzweiflung nicht schon genug, kam buchstäblich “alles” dazu was mich beschäftigt und obendrauf noch Dinge die wirklich in der Vergangenheit liegen. Ich dachte ich verliere den Verstand.

    Ich bin erst um 02.00 völlig erschöpft zu Bett gegangen und habe erstaunlich gut geschlafen, wusste beim Aufwachen sofort wo ich bin. Alleine bin ich ja jetzt überall. Es ist heute ein anderer Tag, und ich werde jetzt ein paar Fenster putzen.

    Liebe Grüße und gute Wünsche
    Briele

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      #47
      Gestern war der Todestag meiner Mama. Der vierzehnte. Drei Tage bevor sie starb ist sie beinahe gestorben. Dieses Erlebnis, vor allem jedoch ein Gespräch mit ihr am nächsten Tag war - ja, wie soll ich sagen, beeindruckend, wichtig, schön, wie ein Geschenk, ich weiß auch nicht - . Auf jeden Fall habe ich es dutzende Male weiter erzählt, weil es tröstend ist und ich will es nun auch hier tun.

      Mein Bruder und ich saßen an ihrem Krankenhausbett. Man sah an ihrem Gesicht, dass sie sterben wird. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich etliche Tote gesehen gehabt (im Bergdorf waren sie früher drei Tage lang daheim aufgebahrt), ich war aber noch nie bei einem Menschen gewesen der stirbt.

      In den drei Jahren ihrer Erkrankung hatte ich erst mein Bitten und Flehen auf das Gesundwerden ausgerichtet, dann dachte ich, es möge bitte das geschehen was für sie das Beste ist und in diesen letzten Wochen flehte ich förmlich um Erlösung. Sie wollte sterben, ich war bereit, eigentlich warteten wir seit vier Wochen gemeinsam auf den Tod.
      Sie hatte keine Angst, ich hatte mich ergeben.

      Aber nun stand ich fassungslos vor der Dramatik und fand es ungerecht, dass sie so schwer stirbt. Ich haderte. Es war das entsetzliche Röcheln, die halb geöffneten Augen und es half auch nicht, dass ich gelesen hatte, dies würde dem Kranken nicht weh tun. Wer kann das schon so sagen.

      Auf jeden Fall rappelte sie sich plötzlich wieder auf, wurde rosig, der Blick klar, sie sprach mit uns und bestand darauf dass wir gehen.

      Am nächsten Tag sprachen wir darüber. Sie sagte, sie habe uns von der Ferne wahr genommen, sie habe keine Angst gehabt, keine Schmerzen, nichts, habe gedacht nun sei es soweit und eigentlich wäre sie nun enttäuscht. Ich sagte zu ihr, Mama, du hast so entsetzlich geröchelt, war das schlimm? Und sie war erstaunt, meinte, das habe sie gar nicht wahr genommen, an keiner Stelle hätte sie das Gefühl gehabt zu wenig Luft zu bekommen.

      Ich habe dann meine Wange an die ihre gelehnt, gesagt, Mama, ich habe dich so schrecklich gerne und sie sagte, ich dich auch und daran wird sich auch nie etwas ändern, das bleibt so, das mußt du dir merken.

      Briele

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        #48
        Heute hatte ich ein seltsames, fast schon witziges Erlebnis: ein paar Häuser weiter sind alte Menschen mit Behinderung untergebracht. Einer sitzt viel auf den Stufen vor unserem Haus und erklärt seinem Teddybär die Welt. Eine Frau kennt jeder bei Namen, es ist Carola, die viel hin und her marschiert. In den 18 Jahren, in denen wir hier leben habe ich von ihr nur einen Satz gehört, an mich, an jeden anderen gerichtet: ”ich bin Carola, hast du vielleicht eine Mark/Euro für mich?”.
        Heute kam sie mir entgegen und ich dachte, (was man nicht denken sollte) die lebt und lebt und mein Werner ist nicht mehr da.
        Als wir auf gleicher Höhe waren, ich erwartete die Eurofrage, sagte sie: “weg iss weg, nich?”

        Am Abend fuhr ich mit dem Bus heim, es war bereits dunkel. Es ist nichts Aufregendes, es ist belanglos, aber ich bin das erste Mal in Hamburg bei Dunkelheit heimgekommen und Werner ist nicht da. Entweder sind wir am Abend gemeinsam fort gewesen, oder einer von uns war daheim, auf jeden Fall habe ich noch nie von unten auf die dunklen Fenster geblickt. Ich werde in Zukunft ein Licht brennen lassen. Es wird ab nun öfter vorkommen und es wird selbstverständlich werden, wie das Heimkommen im Bergdorf oder in Wien.

        Kleine, unwichtige Dinge, über die ich früher nicht lange nach gedacht hätte, beschäftigen mich jetzt länger, gehen tiefer. Über Positives, Gelungenes freue ich mich mehr als früher, was schief läuft, kleine Schrecknisse stecke ich schlechter weg. Alles ein wenig übersteigert.

        Eine meiner Großmütter war sehr katholisch, sie hat mir die abendliche
        “Gewissenserforschung” immer wieder nahe gelegt. Da geht es ja hauptsächlich darum tief nachzudenken wobei man gefehlt hat, was man falsch gemacht, vielleicht sogar gesündigt hat. Zum Glück hat meine Mama das bald mitbekommen und gesagt ich soll vor dem Schlafen nachdenken was mir Gutes widerfahren ist, dafür danken und schon auch nachdenken was ich am nächsten Tag vielleicht besser machen könnte.
        Mir wurde erst jetzt wieder einmal bewusst, dass ich das wirklich mein ganzes Leben lang, wie ein Kind, vor dem Einschlafen mache. Und es gab keinen Tag, nicht einmal in schwierigsten Zeiten, an dem nicht etwas Gutes passiert ist. Vielleicht bin ich ja doch ein Glückskind.

        Als ich hier über den Verlust meines “Tagebuches” klagte, haben mehrere von Euch hilfreiche Tipps gegeben, die ich selbst leider nicht umsetzen konnte. Falls noch jemand mitliest, ich habe es wieder! Ein Freund in Wien hat es herbei gezaubert und nun ist es zweimal abgespeichert.

        Es geht mir gut.
        Liebe Grüße und gute Wünsche
        Briele

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          #49
          Zitat von Briele Beitrag anzeigen
          Falls noch jemand mitliest, ich habe es wieder! Ein Freund in Wien hat es herbei gezaubert und nun ist es zweimal abgespeichert.
          Das freut mich zu lesen!

          Ralf

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            #50
            Liebe Briele,

            so gehen doch noch Wünsche in Erfüllung, - nicht alle. Aber auch das hat seinen Sinn. Deshalb höre nie auf, Wünsche zu äußern.

            Alles Liebe
            Heribert

            Vollständige PK-Historie seit 2005 bei
            myProstate.eu
            Menschen sind Engel mit nur einem Flügel.
            Sie müssen sich umarmen um fliegen zu können.



            (Luciano de Crescenzo)

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              #51
              Ich war in einem “Trauercafé”. Wir waren vier Frauen, ich fand sie nett, aber ich habe mich nicht wohl gefühlt, also ich war sehr zurückgenommen, habe wenig gesagt, weil Werner und ich wohl mehr Glück hatten und es da ja keinem hilft wenn ich dagegen halte. Es waren eher bittere Erzählungen über wenig engagierte Ärzte, desinteressiertes Pflegepersonal, nutzlosen Therapien, Kämpfe mit Behörden. Angehörige und Freunde die kein Interesse mehr zeigen, nicht mehr über den Verstorbenen sprechen, Enttäuschung auf allen Ebenen. Am meisten hat mich erstaunt, dass sie manchmal richtig Wut und Zorn auf den verstorbenen Ehemann verspüren weil er sie alleine gelassen hat.

              Sie taten mir richtig leid und beim Heimweg dachte ich, nun will ich aber zufrieden sein, dass ich einfach nur ganz schlicht traurig bin und sonst nichts.

              Die Trauer, sie kommt und geht wie in Wellen, sanft, wild. Aber sie geht eben auch. Bis auf den langen Reisetag von Wien nach Hamburg, da gab es kein Durchatmen, keine Pause, das hat mich erschreckt.

              Sie ist facettenreich, oft meine ich nun alles zu kennen, “nur” mehr mit Wiederholungen rechnen zu müssen, dann gibt es wieder eine neue Erfahrung mit ihr. Ich empfinde sie wie ein wildes Tier, das mich ohne Vorwarnung anspringt, sich an mir fest beisst. Sie ist ein Klops in meiner Brust, den ich herauswürgen möchte. Manchmal denke ich, nun haben wir uns arrangiert, du kriegst schon den Teil der dir zusteht, aber überlass doch mir den Rhythmus, das Tempo. Das tut sie aber nicht.
              Ich habe nicht viel zu sagen, wehre mich auch nicht, weil ich weiß, dass es eh keinen Sinn hat.

              Meine Trauer und ich, wir kennen einander schon länger, ich hab sie nicht lieb, aber sie gehört zu mir und manchmal bin ich fast so weit mich mit ihr anzufreunden. Es gab und gibt Zeiten, in denen denke ich, wenn schon alles dahin geht, dann soll es halt so sein, daß wenigstens sie Bestand hat.

              Vor Jahren habe ich im Fernsehen einen Bericht über das Sterben, den Tod, die Trauer gesehen. Menschen verschiedener Altersgruppen wurden dazu befragt, auch ein kleines Mädchen, deren Oma gestorben war. Es gab unter anderem die Frage was den einzelnen hilft und da meinte das Mädchen, wenn es ganz toll traurig wird, dann versucht es an etwas anderes zu denken, und dies sei z.B. an Erdbeeren.

              Wir, die Erwachsenen, sagen, man darf nichts verdrängen, man soll nicht meinen etwas abkürzen zu können. Wahrscheinlich stimmt das, aber wie in allem, schadet es vermutlich nicht eine gesunde “Mitte” zu finden. Und so habe ich es doch ein wenig in der Hand, ob ich mich jedes Mal in das Jammerloch hineinplumpsen lasse, oder manchmal dagegen steuere.

              Es gibt ja auch die sanfte, zärtliche Trauer in die man sich fast hinein schmiegen kann, in der die Tränen anders fließen, anders sind.

              Am allertraurigsten bin ich, wenn ich an das Traurigsein meines Mannes denke. Und er war oft traurig in den letzten Monaten. Darüber, daß er bald sterben wird müssen, über meine Traurigkeit, über die Probleme die auf mich zukommen werden und die er nicht im Vorfeld abwenden kann, vor allem aber, dass es mit seiner Mutter schlimm war, sie ihm so Unrecht getan hat. Das hat ihm am Ende seines Leben schrecklich weh getan und mir hat es das Herz zerrissen, dass ich da kaum etwas auffangen, abfedern kann. Ich wusste, dass dies einfach nicht möglich ist, nicht in meiner Macht steht, aber ich hätte es ihm so gerne abgenommen. Wie man ja gerne seine Liebsten beschützen, vor Bösem bewahren möchte und dabei meistens so erschütternd hilflos ist. Es macht mich nach wie vor unsagbar traurig und in dieses Gefühl mischen sich andere ungute Gefühle: mein Unvermögen ihm zu helfen, Wut auf die Mutter und andere Beteiligte.

              Lange dachte ich immer, dass eher Eltern unter dem Verhalten von Kindern leiden, aber mittlerweile kenne ich etliche Geschichten in denen es umgekehrt ist. Und Eltern hatten immerhin vorher ein Leben ohne ihre Kinder, während Kinder immer die Eltern im Genick haben, selbst wenn diese mausetot sind.

              Ich hatte meinem Mann öfter vorgeschlagen ein (Versöhnungs)-Ritual zu machen, ein Gespräch mit einem Psychologen, was weiß ich, aber das wollte er nicht. Nach seinem Tod habe ich überlegt ob ich ein harmonisierendes Ritual machen könnte und hatte dazu die eine und andere Idee. Aber dann dachte ich, dass nun alle Beteiligten tot sind und sollte es nach dem Tod etwas geben, dann sind die Kümmernisse dieser Welt sicher nicht mehr von Belang. Denk ich mir zumindest.

              Das “Trauercafé“ besuche ich vielleicht noch einmal. Aber ich habe ja hier meine Ecke über die ich echt froh bin und danke Euch, dass ich hier sein darf.
              Briele
              __________________________________________________ ____

              Lieber RalfDm,
              Lieber Heribert,
              Danke, dass Ihr Euch mit mir über das wieder gefundene Tagebuch freut!
              Heribert, das ist wohl wahr, man soll nie mit dem Wünschen aufhören und dabei nicht vergessen, dass es oft gut ist, wenn sich mancher nicht erfüllt.
              Alles Gute für Euch und liebe Grüße
              Briele

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                #52
                Liebe Briele,
                wieder ein so schöner, gefühlvoller Beitrag von Dir wo Du uns als Mitleser sehr gut in Deiner Trauer und Gedankenwelt teilhaben lässt.
                Ich glaube, dass Du den für Dich richtigen Weg eingeschlagen hast, diese schwere Zeit auf eine besondere Art zu bewältigen.
                Lass uns bitte weiterhin mit dabei sein. Mit lieben Grüßen, Carlos

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                  #53
                  Carpe diem!

                  Liebe Briele

                  Du hast einmal auf meine eine Grusszeile
                  "let the good times roll!"
                  Bezug genommen.
                  Ray Charles liess dieser Empfehlung vorausgehen:
                  "When you're dead, you're done"

                  Nun, diese trockene Zeile bezieht sich ganz offensichtlich auf jene,
                  denen das Rollen in guten Zeiten nicht mehr gegeben ist,
                  weil sie nicht mehr unter uns weilen.

                  Für uns Hinterbliebene ist die Erinnerung und die Trauer das einzige,
                  was uns von den Gestorbenen bleibt. Es mag ja nicht so 'rollend'
                  sein, sich zu erinnern und zu trauern, aber das ist von grosser
                  Wichtigkeit für unsere eigenen guten Zeiten. Das Verdrängen derer,
                  die mit uns waren, aus dem eigenen Leben würde zugleich einen
                  grossen Teil unseres eigenen Lebens verleugnen, vernichten.
                  Die Trauer um Deinen Mann ist die Voraussetzung für gute Zeiten,
                  in denen die ruhige Erinnerung dereinst die Trauer überwiegen wird.
                  Lass also der Trauer weiterhin Raum, lass sie 'rollen'!

                  Eines Tages wird es auch für uns (noch) Lebende gelten:
                  "When you're dead, you're done!"

                  Was dann bleibt, sind Erinnerungen an uns, vielleicht auch Trauer.
                  Bis dahin:

                  Carpe diem!
                  Konrad
                  Meine Beiträge schreibe ich als CRPCa-betroffener Laie.

                  [1] Mein PSA-Verlauf graphisch auf myprostate.eu
                  [2] Meine PK-Historie auf Myprostate.eu
                  [3] PSA-Verlaufsanalyse 2003-2013 nach Glättli (Was ist PSA-Alert?)
                  [4] PSMA-PET/CT vom 04.07.2012: Paraaortale Lymphmetastase
                  [5] PSMA-PET von 08.2016 vor PSMA-RLT, danach 03.2017, sowie 05.2017

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                    #54
                    Des Buddhisten Freudengesang

                    Hallo Trauernde!

                    ist vielleicht auch mal an der Zeit, einen Blick über den Zaun zu werfen:

                    Bei den (Kleines Fahrzeug=Hinayana)-Buddhisten freut man sich angesichts des Todes eines Mitmenschen, der ja (glaubehalber, von außen betrachtet) inzwischen "bessere" Zustände erreicht hat, was immer das auch bedeuten mag..

                    In diesem Sinne,
                    nicht nur trauern, sondern auch mal freuen, daß man NOCH lebt [grinsend] und rollt [grinsender]!

                    Guten Abend allerseits,
                    Tedham Porterhouse
                    p.s.
                    Danke für die Blumen, Konrad
                    "Komm mit mir ins Land der Psyche; etwas Besseres als den Tod findest Du allemal."
                    Gerd Unterstenhöfer

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                      #55
                      Zitat von Briele
                      Am meisten hat mich erstaunt, dass sie manchmal richtig Wut und Zorn auf den verstorbenen Ehemann verspüren weil er sie alleine gelassen hat.
                      Liebe Briele,

                      für diese Frauen habe ich absolut kein Verständnis und empfinde solche Bekenntnisse eher als sehr egoistisch. Anstatt sich zu freuen, dass er mal da war, sich nun zu beklagen, dass er sie verlassen hat. Welch eine lieblose Auffassung.

                      Zitat von Briele
                      Das “Trauercafé“ besuche ich vielleicht noch einmal.
                      Liebe Briele,

                      mein Rat wäre, solche Orte des Gedankenaustausches eher zu meiden und dort Gespräche zu suchen, wo man mehr zufällig auch einen trauernden Menschen trifft, unabhängig davon, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt. Wichtig ist ohnehin dabei, dass man letztendlich auch Ablenkung durch Gespräche über ganz andere Themen als Trauer erfährt.

                      Alles Gute für Dich.

                      "Der Mensch bewegt sich nicht weniger, weil er alt wird. Er wird alt, weil er sich weniger bewegt. Also beweg dich!"
                      (Gustav-Adolf Schur)

                      P.S.: Das Zitat, liebe Briele, ist natürlich nicht auf Dich gemünzt!

                      Gruß Harald

                      Kommentar


                        #56
                        Ganz herzlichen Dank für Eure “Briefe”.

                        @lieber Carlos,
                        Ich danke Dir und allen anderen für das Lesen. Daß mir das Schreiben gut tut wusste ich, nun merke ich, dass es mich freut wenn jemand mitliest.
                        Es freut mich, weil eigentlich recht wenige Menschen meinen Werner kannten und mir es irgendwie gut tut, wenn durch mein Schreiben, Euer Lesen, er für einen Augenblick auf eine seltsame Art natürlich nicht existiert, aber doch “da” ist.
                        Manchmal frage ich mich schon was er zu diesem thread sagen würde.
                        Wenn er (auf hanseatische Art) vielleicht den einen und anderen Absatz als verzichtbar, weil sehr persönlich, sehen würde, so würde er am Ende doch sagen …. Wenn es dir gut tut, dann mach nur…..
                        Liebe Grüße und alles Gute Briele

                        @lieber Konrad,
                        Wie schon geschrieben, die Zeilen von Ray Charles sprechen mich sehr an. Ich habe sie ja für mich mit Ausrufzeichen versehen, also mit kleinem Warn-Ausrufzeichen, damit ich beizeiten daran denke das Rollen nicht zu vergessen. Das hast Du schön geschrieben: … lass also der Trauer weiterhin Raum, lass sie rollen….
                        Das mach ich! Und ich kaufe, pflücke, sehe Blumen, auch die Deinen!
                        Alles Liebe und Gute für Dich Briele

                        @lieber Tedham Porterhouse
                        Bei meinen Toten war und ist es mir wirklich ein Trost, dass es ihnen entweder besser geht, oder gar nichts geht, was ja nicht die schlechteste Variante wäre. Wir müssen alle sterben und ich habe Momente, in denen dachte und denke ich, du hast nur sterben müssen, ich muß mit dem Kummer weiterleben. Aber wenn ich bei Werner, bei meinen Eltern am Kranken- Sterbelager saß und lag, wenn ein Teil von mir dachte am liebsten möchte ich mitsterben, so gab es doch stets eine Stimme die sagte, dies ist nun nicht dein Schicksal.
                        Vielleicht rolle ich noch nicht ganz, aber ich eiere - immerhin.
                        Liebe Grüße, gute Wünsche, Briele.

                        @lieber Harald,
                        Huhu - das Zitat am Ende Deines Beitrages passt schon für mich!
                        Harald, ich habe nach gedacht über die Wut, den Zorn der Frauen aus dem Trauercafe. Gelesen hatte ich schon mehrfach darüber. Vielleicht - es ist dies nur eine Überlegung von mir - fällt es leichter die Trauer zu ertragen wenn man andere intensive Gefühle zulässt. In der ersten Zeit hat ja nahezu jeder wilde Selbstvorwürfe, damit beschäftigt man sich schon sehr und vielleicht hat man sie, weil sonst die Trauer noch schrecklicher wäre. Ich hatte z.B. nach Werners Tod ziemlichen Ärger mit der Botschaft, nach Mamas Tod ebenfalls mit einer Behörde und beide Male haben mich Empörung, Wut, Zorn nicht nur ganz schön auf Trab gehalten, es waren einfach noch andere Gefühle neben dem Schmerz. Ablenkung würde man sich nicht erlauben, Gefühle, die ablenken eher. Aber vielleicht sind diese Überlegungen auch Larifari.
                        Alles Liebe und Gute, Briele

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                          #57
                          Rollen

                          Zitat von Briele Beitrag anzeigen
                          @lieber Konrad,
                          Wie schon geschrieben, die Zeilen von Ray Charles sprechen mich sehr an. Ich habe sie ja für mich mit Ausrufzeichen versehen, also mit kleinem Warn-Ausrufzeichen, damit ich beizeiten daran denke das Rollen nicht zu vergessen. Das hast Du schön geschrieben: … lass also der Trauer weiterhin Raum, lass sie rollen….
                          Das mach ich! Und ich kaufe, pflücke, sehe Blumen, auch die Deinen!
                          Liebe Briele
                          In dieser schneereichen Herbstzeit hab ich keine frischen Blumen mehr für Dich,
                          aber ein paar Vogelbeeren hab ich zwar nicht abgeschnitten, aber doch immerhin
                          per Foto haltbar gemacht für den Versand:



                          Wir werden ja nun auch alle älter rund um diese Krebsgeschichten. Da ist auch
                          die leuchtende Farbe von Beeren im Abendlicht anstelle von Blumen erlaubt.

                          Nicht nur eiern, sondern ganz mächtig rollen tut Ray Charles bei seinem Vortrag:


                          Ich hoffe, auch Dein Werner hätte Freude gehabt an diesem Vortrag.

                          Carpe diem!
                          Konrad
                          Meine Beiträge schreibe ich als CRPCa-betroffener Laie.

                          [1] Mein PSA-Verlauf graphisch auf myprostate.eu
                          [2] Meine PK-Historie auf Myprostate.eu
                          [3] PSA-Verlaufsanalyse 2003-2013 nach Glättli (Was ist PSA-Alert?)
                          [4] PSMA-PET/CT vom 04.07.2012: Paraaortale Lymphmetastase
                          [5] PSMA-PET von 08.2016 vor PSMA-RLT, danach 03.2017, sowie 05.2017

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                            #58
                            Nach fast eineinhalb Jahren Pause war ich gestern wieder das erste Mal bei meinem Italienischkurs. Nun könnte man denken, dass dies etwas ist, was nicht unbedingt mit Werner in Verbindung gebracht werden kann, aber so ist es nicht, alles was mich betrifft ist anscheinend mit ihm verbunden.

                            Schon beim Aufstehen kam mir der Gedanke wie ich immer versuchte im Badezimmer ganz leise zu sein um ihn nicht zu wecken, weil sein Schlafzimmer nebenan war. Beim Frühstück habe ich ihm manchmal ein Cartoon gezeichnet, es waren bescheidene Zeichnungen, aber er mochte sie und hat sie gesammelt. Bevor ich ging brachte ich ihm eine Tasse Tee und eine Umarmung ans Bett und er sagte immer, geh anschließend auf jeden Fall mit den anderen Kaffee trinken, mir geht es gut. Wenn ich heimkam hatte ich für ihn ein Törtchen mit, oder von dem edlen Schlachter Roastbeef, hauchdünn und teuer wie Blattgold. All dies war mir im Kopf und blieb dort bis zur nächsten Sache.

                            Das nächste war das Pflegebett. Es wurde heute abgeholt, gnädigerweise wurde mir erst gestern Abend bewusst, dass ich es vermissen werde.
                            Nach seinem Tod war am Morgen mein erster Gang in sein Schlafzimmer gewesen, beim Zubettgehen sah ich nochmals rein, es war eine merkwürdige Art von umsichtiger Kontrolle, als müsste ich nach ihm sehen, auf ihn aufpassen. Das hat sich gegeben.

                            Ich habe mich jedoch öfter auf das Bett gesetzt und heute früh noch ein Mal. Im letzten Jahr seines Lebens sind wir da oft gemeinsam gesessen. Aneinander gelehnt. Er hat immer gerne meine Hände gehalten und wenn ich mich ganz fest konzentriere, dann gelingt es mir hin und wieder seine warmen zu spüren, die die meinen umschliessen. Wir haben manchmal gesprochen, manchmal geschwiegen, einige Male geweint. Es waren die innigsten Begegnungen die ich mit meinem Mann hatte, in emotionaler, spiritueller und manchmal denke ich, sogar in körperlicher Hinsicht.

                            Im Sommer hatte ich seine Namen oft nicht geschrieen, aber doch mit einer lauten Stimme gerufen, da bin ich manchmal vor mir erschrocken.
                            Nun merke ich, dass ich sie leise, fast flüsternd sage. Weil ich die Lippen dabei kaum bewege, kann ich es auch auf der Straße tun, wenn Menschen um mich sind. Aber das innere Echo ist gewaltig.
                            Briele
                            __________________________________________________ ___

                            @Hvielemi
                            Lieber Konrad,
                            Herzlichen Dank für Deine Zeilen, das Foto und für das Video. Ich habe dann im Internet weitere Videos gefunden und angesehen.
                            Beim Foto wurde mir wieder einmal bewusst, dass ich nun schon mehr als 10 Jahre im Winter nicht mehr in meinem Bergdorf war. Obwohl ich zu jenen zehn Österreichern zähle, die nicht Skifahren, mag ich den Winter gerne. Es ist dann noch leiser und es gibt nur drei Farben wenn man ein paar Schritte aus dem Dorfleben hinausgeht: weiß, blau und (fast-bis-ganz) schwarz, nachts den Sternenhimmel, die Nächte sind ja meist klar.

                            Liebe Grüße von der Briele, trying to roll and trying to have a look on the bright side of life.

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                              #59
                              Ich lass doch kein Licht brennen wenn ich die Wohnung verlasse und weiß, dass ich bei Dunkelheit heimkommen werde. Es ist eine unsinniger Versuch von Selbsttäuschung, ist doch in jeder Sekunde klar, dass keiner da ist, niemand mich erwartet, sich auf mich freut. Und dann, bald wird es um 16.00 dunkel.

                              Als Werner im Mai starb, habe ich einige Male gesagt bekommen, es sei für mich besser, daß es nicht in der dunklen Jahreszeit “passiert” ist. Keine Ahnung ob da was dran ist. Ich bin eher ein Wintermensch, vor die Wahl gestellt ist mir Kälte lieber als Hitze. Also ich denke die Jahreszeit, das Wetter, wird keinen Einfluss auf mein Trauergemüt haben. Aber manchmal kommt es anders als man denkt und dass die Weihnachtszeit ein harter Brocken wird, das ist zu erwarten.

                              Ich sortiere Werners Kleidung. Es ist Wahnsinn wie viel er hatte, mehr als ich, vor allem von besserer Qualität, manches ist ungetragen. Zu meiner Freude kann ich die allerbesten Sachen an zwei Männer verschenken die ich kenne, die zweite Wahl nimmt eine caritative Einrichtung, den Rest entsorge ich, die allerälteste Winterjacke, die er am liebsten getragen hat, hänge ich in meinen Kleiderschrank. Es ist schon gewöhnungsbedürftig, einen Schrank zu öffnen und darin baumeln leere Kleiderbügel.

                              Beim Ansehen, Zusammenfalten der schönen Textilien kam mir der Gedanke, dass er mehr aus sich machen hätte können was sein Äußeres betraf. Aber mir war er immer recht so wie er war. Dann spann ich weiter, dass er auch mehr aus seinen Begabungen, seinem Wissen, Möglichkeiten, sogar aus seinem Geld hätte machen können. Wollte er nicht, konnte er nicht, war es gut so für ihn wie es war? Mein Mann, doch ein unbekanntes Wesen? Obwohl er um einiges älter war als ich, waren wir ja beide nicht mehr jung als wir zusammen kamen und so hat klugerweise jeder den anderen sein lassen wie er war und ist. Er hat mir einige Male gesagt wie froh er sei, dass ich ihn nicht umkrempeln will. Aber nun saß ich da, inmitten seiner Sachen mit Fragen die mir zu seinen Lebzeiten nicht gekommen waren. Wäre er mit einer anderen Frau besser gefahren, glücklicher gewesen, hätte er eine gebraucht die ihn ein bißchen pusht? Manchmal braucht man ja zu seinem Glück einen Tritt in den Hintern.

                              Besorgt werde ich gefragt ob das Beschäftigen mit seiner Kleidung sehr schlimm sei und ich bin selbst überrascht, dass dies nicht der Fall ist. Viel schlimmer wird es dann bei den Büchern, den Schallplatten werden. Ich werde nicht 3000 oder mehr Bücher im Bergdorf unterbringen können und wollen. Im Sommer hatte ich diesbezüglich eine Idee und als ich mich mit meinem Bruder besprach meinte er leise. “eine Werner Gedenkstätte”? Er hat es lieb, teilnahmsvoll gesagt und mir ist sofort klar geworden, dass ich das nicht will.

                              Ich denke an meine Mama, die in den letzten Jahren ihres Lebens vor Dingen stand die ihr wichtig waren und dann meinte, was wohl einmal aus all diesen Sachen wird. Weder sie noch ich hätten uns vorstellen können, dass 14 Jahre nach ihrem Tod noch immer alles so steht wie es war. Viele Jahre war ich froh, dass einfach alles so bleiben kann wie es ist, das jährliche Putzen empfinde ich wie eine Meditation. Aber seit zwei, drei Jahren, sind es nur mehr “Sachen” geworden.

                              Nun, diese Bedingungen habe ich nach Werners Tod nicht. Ich werde zügiger entscheiden müssen. Ich nehme nicht nur von Menschen, ich nehme auch von Orten, sogar von Dingen schwer Abschied. Es ist eine richtige Herausforderung, aber ich will nichts nachweinen was mir nicht auch nachweinen kann. Aber es ist nicht zu fassen, dass einem jeder blödsinnige Fetzen fast ewig überlebt.

                              Liebe Grüße Briele

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                                #60
                                Abschied begreifen

                                Beim Ansehen, Zusammenfalten der schönen Textilien kam mir der Gedanke
                                Den Abschied begreifen...

                                Ich denke, liebe Briele, deine schriftlichen Ausführungen sind wichtiger als manch Ratgeber in Buchform.

                                Du hast eine erstaunliche - aber bei deiner Intelligenz erwartbare Entwicklung hinter dir.

                                Ich wünsche dir weiterhin Irxenschmalz.

                                Winfried

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