DNA-Zytometrie-basierte Therapie
Hallo Knut,
danke für diesen Beitrag
und die darin enthaltenen wichtigen Informationen zur DNA-Zytometrie.
Ich möchte noch den unter Punkt 6 angeführten Artikel hinzufügen.
DNA-Zytometrie-basierte, stadien- und aggressivitäts-
gerechte Therapie
Von Walter Ludwig Strohmaier und Andreas Gschwendtner
Prostatakrebs ist in der gesamten westlichen Welt der
am häufigsten diagnostizierte Krebs bei Männern. In
Deutschland wurden 2005 rund 48.000 Neuerkran-
kungen festgestellt (Robert Koch-Institut, Berlin). Be-
troffen sind vor allem Männer ab dem fünfzigsten
Lebensjahr. Die Problematik der Diagnose Prostata-
krebs zeigen Zahlen von Scardino u.a. auf: Rund
40 Prozent aller Männer entwickeln im Laufe ihres
Lebens Prostatakrebs, eine bedeutsame klinische Erkrankung
entwickeln aber nur 10 Prozent und nur
3 Prozent sterben daran (Scardino u.a. 1992).
So kommt es, dass in der Mortalitätsstatistik bösarti-
ger Erkrankungen bei Männern das Prostatakarzinom
mit 12.000 Todesfällen pro Jahr erst an dritter Stelle
rangiert (Statistisches Bundesamt). Anders formuliert
bedeutet dies, dass in Deutschland nur etwa 25 Pro-
zent aller Männer, bei denen Prostatakrebs festge-
stellt wurde, auch an ihrem Tumor sterben (48.000
Neuerkrankungen gegen 12.000 Todesfälle pro Jahr).
Wahrscheinlich ist die Zahl der Todesfälle sogar noch
überschätzt, da auf Todesbescheinigungen fälschli-
cherweise oft die Krebsdiagnose als Todesursache
angegeben wird, obwohl die Patienten nachweislich
tumorfrei waren (beim Prostatakrebs ca. 30 Prozent,
Hölzel u.a. 2002).
Diese Diskrepanz zeigt das Dilemma der Früherken-
nung und Behandlung des Prostatakrebses: Prostata-
karzinom ist nicht gleich Prostatakarzinom, das heißt,
die Tumoren sind bezüglich ihrer Aggressivität außer-
ordentlich unterschiedlich. Julius Hackethal hat diese
Tatsache bereits in den siebziger Jahren des letzten
Jahrhunderts mit den Begriffen „Haustierkrebs“ und
„Raubtierkrebs“ zum Ausdruck bringen wollen. Aus
dieser Problematik leiten sich letztlich zwei Fragen ab:
1. Wann muss ich welches Prostatakarzinom behan-
deln und 2. macht die Früherkennung Sinn?
Früherkennung
Seit 1971 ist für Männer ab dem 45. Lebensjahr die
jährliche Früherkennungsuntersuchung auf Prostata-
krebs durch Tastuntersuchung in Deutschland gesetz-
lich verankert. In der Praxis wird dieses Angebot aber
nur von knapp 15 Prozent angenommen. Mit der Tast-
untersuchung lassen sich aber nur wenige Tumoren in
einem noch heilbaren Stadium diagnostizieren: bei
positivem Tastbefund haben bereits 40 bis 70 Prozent
der Karzinome die Organgrenzen überschritten (Bör-
germann, Rübben 2006).
Mit der Einführung des PSA-Tests (PSA = prostata-
spezifisches Antigen) in den späten achtziger Jahren
des letzten Jahrhunderts hat sich die Früherken-
nungssituation beim Prostatakrebs komplett verän-
dert. Der PSA-Test ist bislang aber nicht eine Leistung
der gesetzlichen Krankenversicherungen im Rahmen
der Krebsfrüherkennung. Durch diesen einfachen
Bluttest können zwar – je nach Schwellenwert – 75 bis
85 Prozent der entdeckten Karzinome in einem heil-
baren Stadium erkannt werden (Carter 1999). Ande-
rerseits beträgt die Krebsfindungsrate – wiederum je
nach Schwellenwert – nur 25 bis 30 Prozent (Thomp-
son 2003). Das bedeutet in der täglichen Praxis eine
große Zahl unnötiger PSA-Bestimmungen, Prostata-
biopsien und Behandlungen.
Die Effektivität der Früherkennungsuntersuchung auf
Prostatakrebs ist zurzeit noch nicht bewiesen. Um
diese Frage zu beantworten, laufen momentan 2 gro-
ße Studien: die „European Randomized Screening for
Prostate Cancer“ (ERSPC)-Studie und die „Prostate,
Lung, Colorectal and Ovary“ (PLCO)-Studie in den
USA. Definitive Ergebnisse sind aber nicht vor 2008
bis 2010 zu erwarten.
Dennoch lassen sich aus den Erkenntnissen der
vergangenen Jahre Folgerungen ziehen, wie man
die Früherkennung des Prostatakrebses sinnvol-
ler gestalten kann: Feste jährliche Intervalle sind
nicht erforderlich. Bei niedrigen PSA-Ausgangswer-
ten (< 2 ng/ml) können sicher zweijährliche, mögli-
cherweise auch noch längere Intervalle ohne signifi-
kante Risikozunahme empfohlen werden (Börger-
mann, Rübben; Ross). Vorab-Auswertungen des hol-
ländischen Armes der ERPSC-Studie zeigen, dass
vierjährige Kontrollintervalle bei primär unauffälligem
Erstbefund ausreichend sind, um Tumoren noch in
heilbaren Stadien zu erfassen (van der Crujsen-Koe-
ter u. a.).
Wird diese Früherkennung regelmäßig wahrgenom-
men, bietet sich mit der Verlaufsbeobachtung der
PSA-Werte (so genannte PSA-velocity) ein weiterer
Marker an. Bei Prostatakrebs steigt der PSA-Wert
erheblich schneller an als bei gutartiger Vergröße-
rung. Als Schwellenwert für Krebsverdacht kann ein
Anstieg von 0,5 ng/ml/Jahr Anwendung finden (Bör-
germann, Rübben). Ferner muss die Prostatagröße in
die Bewertung einbezogen werden, da der PSA-Wert
auch stark von ihr abhängt (Flaig u.a. 2007).
Durch eine derartige individuell ausgerichtete Früher-
kennung lassen sich Kosten und zum Teil auch kom-
plikationsbehaftete Untersuchungen sparen.
Wann welche Therapie?
Da viele Prostatakrebse nicht zum Tode des Betroffe-
nen führen, müssen sie auch nicht in jedem Falle
behandelt werden. Neuere Daten legen nahe, dass
bis zu 30 Prozent der Patienten, die wegen eines
Prostatakarzinoms radikal prostatektomiert wurden,
an einem klinisch unbedeutenden Krebs („Haustierkrebs“)
litten (Johansson 2004).
Da alle Behandlungsverfahren, die bei Prostatakrebs
zum Einsatz kommen, Nebenwirkungen bzw. Folge-
erscheinungen haben, die die Lebensqualität zum Teil
erheblich beeinträchtigen können (z.B. Inkontinenz,
Sexualfunktionsstörungen), ist eine Übertherapie da-
her bedeutsam (Albers und Jakse 2005; Steineck u.a.
2002).
Risikomarker
Für eine risikoadaptierte Behandlung ist es daher von
allergrößter Bedeutung zu erkennen, ob ein Prostata-
krebs aggressiv ist oder nicht. Dafür stehen verschie-
dene Parameter zur Verfügung: Abgesehen von den
in der Forschung befindlichen Größen wie Onkogene,
Tumorsuppressorgene, Mikrogefäßdichte stehen für
die Praxis Tumorvolumen, Differenzierungsgrad bzw.
Gleason-Score die DNA-Zytometrie (Bichler 2006;
Bonkhoff 2006; Epstein 2004).
Leider lässt sich im Einzelfall mit den meisten der
genannten Größen nicht mit ausreichender Sicherheit
die Prognose des Prostatakrebses vorhersagen. Cha-
kravarti und Zhai (2003) haben in einer ausgedehnten
Literaturrecherche molekulare und genetische Mar-
ker hinsichtlich ihrer Aussagekraft für die Prognose
geprüft. Der Gleason-Score, der am histologischen
Präparat ermittelt wird, erlaubt zwar eine prognosti-
sche Aussage hinsichtlich der Lebenserwartung (bei
niedrigem Gleason-Score 2–4 ist das Risiko, an Pro-
statakrebs innerhalb von 15 Jahren zu sterben, sehr
gering [Albertson u.a.]), die meisten Gleason-Score-
Bestimmungen, die von den Pathologen durchgeführt
werden, liegen aber in einem „Graubereich“ von 5–6.
Außerdem ist die Reproduzierbarkeit dieser Methode
gering (Rousselet u.a.).
DNA-Zytometrie
Einzig die DNA-Zytometrie wurde als viel verspre-
chender Marker eingestuft, der in extensiven biologi-
schen und klinischen Studien seinen Stellenwert als
Prognosefaktor gezeigt hat. Insbesondere durch die
Arbeiten von Tribukait (1993, 2006) konnte gezeigt
werden, dass mit der DNA-Zytometrie die prognosti-
sche Einschätzung deutlich verbessert werden kann.
Zusätzlich erlaubt sie auch eine Beurteilung, ob ein
fortgeschrittener Krebs auf bestimmte Medikamente
(z.B. Hormonentzugstherapie) anspricht oder nicht.
Beides ist eine Voraussetzung für die im Einzelfall zu
treffende, risikoadaptierte Therapieentscheidung.
Dies hat auch die WHO anerkannt und empfohlen,
dass neue Behandlungsmethoden für den Prostatakrebs
nur unter Mitführung einer DNA-Zytometrie ge-
prüft werden sollen (Schröder u.a. 1994).
Die DNA-Zytometrie hat bislang allerdings nicht den
Stellenwert erlangt, der ihr auf Grund der obigen
Ausführungen zukommen sollte. Dabei ist sicherlich
zu berücksichtigen, dass nicht ausschließlich medizi-
nische Argumente eine Rolle spielen bei der Verbrei-
tung von Untersuchungs- und Behandlungsmetho-
den. Fachliche Interessen und Vergütungsaspekte
sind dabei oftmals auch entscheidend.
Methodik DNA-Zytometrie
Es ist hinlänglich erwiesen, dass die Ploidiebestimmung
mittels DNA-Zytometrie als ein objektives Ver-
fahren zum Malignitätsgrading des Prostatakarzi-
noms verwendet werden kann (Bichler K.H. 1996).
Das Verfahren basiert auf folgendem Prinzip:
Die Bild-zytometrische DNA-Analyse ist eine mikro-
skopische Technik zur Bestimmung des DNA-Gehal-
tes von Zellkernen. Der Gesamt-DNA-Gehalt eines
Zellkernes einer Tumorzelle kann als Marker für den
Nachweis chromosomaler Aberrationen im Genom
der erkrankten Zelle verwendet werden ( Böcking A.
u. a. 1994). Maligne Tumoren sind genetisch instabil
und weisen daher häufig schwere chromosomale Stö-
rungen auf. Je schwerer diese genetischen Verände-
rungen sind, desto aggressiver verhält sich der bösar-
tige Tumor. Zellen mit abnormer Zusammensetzung
des Chromosomensatzes werden in der DNA-Zyto-
metrie als DNA-aneuploid bezeichnet. Ein hohes Maß
an Bild-zytometrisch nachweisbarer DNA-Aneuploi-
die ist daher ein Indikator für ein gesteigertes mali-
gnes Potenzial von Tumorzellen.
Hochgradig DNA-aneuploide Prostatakarzinome ha-
ben ein aggressives Wachstumsverhalten und eine
schlechte Prognose; sie sprechen nicht auf eine Hormontherapie
an. Diploide Tumoren dagegen verhalten
sich nicht aggressiv und haben eine gute Prognose;
sie lassen ein gutes Ansprechen auf eine Hormonthe-
rapie erwarten. Eigene Untersuchungen belegen,
dass dieses biologische Verhalten nicht nur für fortge-
schrittene Prostatakarzinome gilt, sondern bereits bei
sehr kleinen Prostatakarzinomen zutrifft Horninger
u.a. 2004). Dies bedeutet, dass auch die kleinen
Tumoren, die heute mithilfe der Früherkennung er-
fasst werden, mittels DNA-Zytometrie in Bezug auf ihr
biologisches Wachstumsverhalten sicher beurteilt
werden können.
Für die Ploidiebestimmung werden Zellvereinze-
lungspräparate von formalin-fixiertem und in Paraffin
eingebetteten Prostatastanzzylindern angefertigt und
nach Feulgen gefärbt. Das Präparat wird unter dem
Mikroskop analysiert, und es werden jene Zellen vom
Beobachter ausgewählt, die für die DNA-Analyse von
Interesse sind.
Die von einer Videokamera aufgenommenen Bilder
werden digitalisiert und von einem Computer mittels
Grauwertanalyse ausgewertet. Nach Messung von
300 (interaktiv) bis zu 3.000 (automatisiert) Tumorzell-
kernen wird das Messergebnis als Frequenzhisto-
gramm der optischen Dichte ausgegeben und inter-
pretiert. Die heute gängige Histogramminterpretation
beruht auf der Stammlinieninterpretation nach Prof.
Böcking.
Die DNA-Zytometrie hat gegenüber dem Gleason-
Score den großen Vorteil, besser reproduzierbare und
damit objektive Ergebnisse zu liefern. Die dafür not-
wendige Technik ist zudem heute durch den Preisver-
fall auf dem Computer- und Kamerasektor relativ
preisgünstig. Die verfügbare Software erlaubt eine
fast vollständige Automatisierung.
Die notwendigen Maßnahmen zur Probenaufbereitung
lassen sich in so gut wie jedem Pathologischen
oder Zytologischen Institut bewältigen. Messung und
Auswertung sind leicht standardisierbar (Haroske u.a.
2001). Die Gestehungskosten sind dabei im Vergleich
von z.B. genetischen Untersuchungen minimal. Dies
ist in Zeiten eines steigenden Kostendrucks im medi-
zinischen System von besonderer Bedeutung.
Voraussetzung ist allerdings, dass Untersuchungs-
material aus der Vorsteherdrüse repräsentativ gewon-
nen werden kann. Die dafür notwendige Biopsie muss
standardisiert durchgeführt werden, um dies sicher-
zustellen.
Fazit
Ob eine Früherkennung des Prostatakrebses generell
die Sterblichkeit an diesem Tumor senken kann, ist
bislang noch nicht erwiesen. Die bisherigen Erkennt-
nisse zeigen aber, dass insbesondere bei Männern
zwischen 45 und 65 Jahren Früherkennung sinnvoll
sein kann, da die Lebenserwartung hoch und durch
Früherkennung Tumoren in heilbaren Stadien ent-
deckt werden können.
Die Früherkennung muss „maßgeschneidert“ sein.
Sie sollte die Bestimmung des PSA-Wertes, die Tast-
untersuchung und Größenbestimmung (Ultraschall)
der Prostata enthalten (Al-Azab u. a. 2007). Dies setzt
eine hohe Erfahrung des Untersuchers voraus. Nur
dadurch kann der PSA-Wert sinnvoll eingeschätzt
werden. Jährliche Untersuchungsintervalle sind bei
unauffälligem Befund nicht erforderlich, hier reichen
zwei-, wahrscheinlich sogar vierjährige Abstände aus.
Die Diagnostik bei Verdacht auf Prostatakrebs sollte
unbedingt die Durchführung einer DNA-Zytometrie
beinhalten. Sie sollte in die Therapieempfehlung ein-
bezogen werden, da sie der verlässlichste Prognose-
marker ist, den wir momentan zur Verfügung haben.
Auf diese Weise lassen sich unnötige Behandlungs-
maßnahmen mit teilweise schweren Folgeerschei-
nungen vermeiden, aber auch Risikosituationen er-
kennen, in denen unmittelbar gehandelt werden
muss. Die Vergütung der genannten Maßnahmen
muss – im Gegensatz zu den derzeitigen Bedingun-
gen – auch kostendeckend sein, um eine allgemeine
Akzeptanz bei den Leistungserbringern zu finden.
Ein solches Gesamtkonzept lässt dennoch erwarten,
sinnvoll Kosten im Gesundheitswesen zu sparen. Die-
se Überlegungen müssen unbedingt auch Eingang in
die aktuelle Diskussion um Prostatakrebszentren
(ähnlich wie Brustkrebszentren) finden. Die Kriterien,
die derzeit als Voraussetzung für die Zertifizierung
solcher Zentren geplant sind, lassen ansonsten erwarten,
Prostatakrebs um jeden Preis zu diagnosti-
zieren und möglichst „radikal“ zu therapieren.
Gruß Dieter
Hallo Knut,
danke für diesen Beitrag
und die darin enthaltenen wichtigen Informationen zur DNA-Zytometrie.
Ich möchte noch den unter Punkt 6 angeführten Artikel hinzufügen.
DNA-Zytometrie-basierte, stadien- und aggressivitäts-
gerechte Therapie
Von Walter Ludwig Strohmaier und Andreas Gschwendtner
Prostatakrebs ist in der gesamten westlichen Welt der
am häufigsten diagnostizierte Krebs bei Männern. In
Deutschland wurden 2005 rund 48.000 Neuerkran-
kungen festgestellt (Robert Koch-Institut, Berlin). Be-
troffen sind vor allem Männer ab dem fünfzigsten
Lebensjahr. Die Problematik der Diagnose Prostata-
krebs zeigen Zahlen von Scardino u.a. auf: Rund
40 Prozent aller Männer entwickeln im Laufe ihres
Lebens Prostatakrebs, eine bedeutsame klinische Erkrankung
entwickeln aber nur 10 Prozent und nur
3 Prozent sterben daran (Scardino u.a. 1992).
So kommt es, dass in der Mortalitätsstatistik bösarti-
ger Erkrankungen bei Männern das Prostatakarzinom
mit 12.000 Todesfällen pro Jahr erst an dritter Stelle
rangiert (Statistisches Bundesamt). Anders formuliert
bedeutet dies, dass in Deutschland nur etwa 25 Pro-
zent aller Männer, bei denen Prostatakrebs festge-
stellt wurde, auch an ihrem Tumor sterben (48.000
Neuerkrankungen gegen 12.000 Todesfälle pro Jahr).
Wahrscheinlich ist die Zahl der Todesfälle sogar noch
überschätzt, da auf Todesbescheinigungen fälschli-
cherweise oft die Krebsdiagnose als Todesursache
angegeben wird, obwohl die Patienten nachweislich
tumorfrei waren (beim Prostatakrebs ca. 30 Prozent,
Hölzel u.a. 2002).
Diese Diskrepanz zeigt das Dilemma der Früherken-
nung und Behandlung des Prostatakrebses: Prostata-
karzinom ist nicht gleich Prostatakarzinom, das heißt,
die Tumoren sind bezüglich ihrer Aggressivität außer-
ordentlich unterschiedlich. Julius Hackethal hat diese
Tatsache bereits in den siebziger Jahren des letzten
Jahrhunderts mit den Begriffen „Haustierkrebs“ und
„Raubtierkrebs“ zum Ausdruck bringen wollen. Aus
dieser Problematik leiten sich letztlich zwei Fragen ab:
1. Wann muss ich welches Prostatakarzinom behan-
deln und 2. macht die Früherkennung Sinn?
Früherkennung
Seit 1971 ist für Männer ab dem 45. Lebensjahr die
jährliche Früherkennungsuntersuchung auf Prostata-
krebs durch Tastuntersuchung in Deutschland gesetz-
lich verankert. In der Praxis wird dieses Angebot aber
nur von knapp 15 Prozent angenommen. Mit der Tast-
untersuchung lassen sich aber nur wenige Tumoren in
einem noch heilbaren Stadium diagnostizieren: bei
positivem Tastbefund haben bereits 40 bis 70 Prozent
der Karzinome die Organgrenzen überschritten (Bör-
germann, Rübben 2006).
Mit der Einführung des PSA-Tests (PSA = prostata-
spezifisches Antigen) in den späten achtziger Jahren
des letzten Jahrhunderts hat sich die Früherken-
nungssituation beim Prostatakrebs komplett verän-
dert. Der PSA-Test ist bislang aber nicht eine Leistung
der gesetzlichen Krankenversicherungen im Rahmen
der Krebsfrüherkennung. Durch diesen einfachen
Bluttest können zwar – je nach Schwellenwert – 75 bis
85 Prozent der entdeckten Karzinome in einem heil-
baren Stadium erkannt werden (Carter 1999). Ande-
rerseits beträgt die Krebsfindungsrate – wiederum je
nach Schwellenwert – nur 25 bis 30 Prozent (Thomp-
son 2003). Das bedeutet in der täglichen Praxis eine
große Zahl unnötiger PSA-Bestimmungen, Prostata-
biopsien und Behandlungen.
Die Effektivität der Früherkennungsuntersuchung auf
Prostatakrebs ist zurzeit noch nicht bewiesen. Um
diese Frage zu beantworten, laufen momentan 2 gro-
ße Studien: die „European Randomized Screening for
Prostate Cancer“ (ERSPC)-Studie und die „Prostate,
Lung, Colorectal and Ovary“ (PLCO)-Studie in den
USA. Definitive Ergebnisse sind aber nicht vor 2008
bis 2010 zu erwarten.
Dennoch lassen sich aus den Erkenntnissen der
vergangenen Jahre Folgerungen ziehen, wie man
die Früherkennung des Prostatakrebses sinnvol-
ler gestalten kann: Feste jährliche Intervalle sind
nicht erforderlich. Bei niedrigen PSA-Ausgangswer-
ten (< 2 ng/ml) können sicher zweijährliche, mögli-
cherweise auch noch längere Intervalle ohne signifi-
kante Risikozunahme empfohlen werden (Börger-
mann, Rübben; Ross). Vorab-Auswertungen des hol-
ländischen Armes der ERPSC-Studie zeigen, dass
vierjährige Kontrollintervalle bei primär unauffälligem
Erstbefund ausreichend sind, um Tumoren noch in
heilbaren Stadien zu erfassen (van der Crujsen-Koe-
ter u. a.).
Wird diese Früherkennung regelmäßig wahrgenom-
men, bietet sich mit der Verlaufsbeobachtung der
PSA-Werte (so genannte PSA-velocity) ein weiterer
Marker an. Bei Prostatakrebs steigt der PSA-Wert
erheblich schneller an als bei gutartiger Vergröße-
rung. Als Schwellenwert für Krebsverdacht kann ein
Anstieg von 0,5 ng/ml/Jahr Anwendung finden (Bör-
germann, Rübben). Ferner muss die Prostatagröße in
die Bewertung einbezogen werden, da der PSA-Wert
auch stark von ihr abhängt (Flaig u.a. 2007).
Durch eine derartige individuell ausgerichtete Früher-
kennung lassen sich Kosten und zum Teil auch kom-
plikationsbehaftete Untersuchungen sparen.
Wann welche Therapie?
Da viele Prostatakrebse nicht zum Tode des Betroffe-
nen führen, müssen sie auch nicht in jedem Falle
behandelt werden. Neuere Daten legen nahe, dass
bis zu 30 Prozent der Patienten, die wegen eines
Prostatakarzinoms radikal prostatektomiert wurden,
an einem klinisch unbedeutenden Krebs („Haustierkrebs“)
litten (Johansson 2004).
Da alle Behandlungsverfahren, die bei Prostatakrebs
zum Einsatz kommen, Nebenwirkungen bzw. Folge-
erscheinungen haben, die die Lebensqualität zum Teil
erheblich beeinträchtigen können (z.B. Inkontinenz,
Sexualfunktionsstörungen), ist eine Übertherapie da-
her bedeutsam (Albers und Jakse 2005; Steineck u.a.
2002).
Risikomarker
Für eine risikoadaptierte Behandlung ist es daher von
allergrößter Bedeutung zu erkennen, ob ein Prostata-
krebs aggressiv ist oder nicht. Dafür stehen verschie-
dene Parameter zur Verfügung: Abgesehen von den
in der Forschung befindlichen Größen wie Onkogene,
Tumorsuppressorgene, Mikrogefäßdichte stehen für
die Praxis Tumorvolumen, Differenzierungsgrad bzw.
Gleason-Score die DNA-Zytometrie (Bichler 2006;
Bonkhoff 2006; Epstein 2004).
Leider lässt sich im Einzelfall mit den meisten der
genannten Größen nicht mit ausreichender Sicherheit
die Prognose des Prostatakrebses vorhersagen. Cha-
kravarti und Zhai (2003) haben in einer ausgedehnten
Literaturrecherche molekulare und genetische Mar-
ker hinsichtlich ihrer Aussagekraft für die Prognose
geprüft. Der Gleason-Score, der am histologischen
Präparat ermittelt wird, erlaubt zwar eine prognosti-
sche Aussage hinsichtlich der Lebenserwartung (bei
niedrigem Gleason-Score 2–4 ist das Risiko, an Pro-
statakrebs innerhalb von 15 Jahren zu sterben, sehr
gering [Albertson u.a.]), die meisten Gleason-Score-
Bestimmungen, die von den Pathologen durchgeführt
werden, liegen aber in einem „Graubereich“ von 5–6.
Außerdem ist die Reproduzierbarkeit dieser Methode
gering (Rousselet u.a.).
DNA-Zytometrie
Einzig die DNA-Zytometrie wurde als viel verspre-
chender Marker eingestuft, der in extensiven biologi-
schen und klinischen Studien seinen Stellenwert als
Prognosefaktor gezeigt hat. Insbesondere durch die
Arbeiten von Tribukait (1993, 2006) konnte gezeigt
werden, dass mit der DNA-Zytometrie die prognosti-
sche Einschätzung deutlich verbessert werden kann.
Zusätzlich erlaubt sie auch eine Beurteilung, ob ein
fortgeschrittener Krebs auf bestimmte Medikamente
(z.B. Hormonentzugstherapie) anspricht oder nicht.
Beides ist eine Voraussetzung für die im Einzelfall zu
treffende, risikoadaptierte Therapieentscheidung.
Dies hat auch die WHO anerkannt und empfohlen,
dass neue Behandlungsmethoden für den Prostatakrebs
nur unter Mitführung einer DNA-Zytometrie ge-
prüft werden sollen (Schröder u.a. 1994).
Die DNA-Zytometrie hat bislang allerdings nicht den
Stellenwert erlangt, der ihr auf Grund der obigen
Ausführungen zukommen sollte. Dabei ist sicherlich
zu berücksichtigen, dass nicht ausschließlich medizi-
nische Argumente eine Rolle spielen bei der Verbrei-
tung von Untersuchungs- und Behandlungsmetho-
den. Fachliche Interessen und Vergütungsaspekte
sind dabei oftmals auch entscheidend.
Methodik DNA-Zytometrie
Es ist hinlänglich erwiesen, dass die Ploidiebestimmung
mittels DNA-Zytometrie als ein objektives Ver-
fahren zum Malignitätsgrading des Prostatakarzi-
noms verwendet werden kann (Bichler K.H. 1996).
Das Verfahren basiert auf folgendem Prinzip:
Die Bild-zytometrische DNA-Analyse ist eine mikro-
skopische Technik zur Bestimmung des DNA-Gehal-
tes von Zellkernen. Der Gesamt-DNA-Gehalt eines
Zellkernes einer Tumorzelle kann als Marker für den
Nachweis chromosomaler Aberrationen im Genom
der erkrankten Zelle verwendet werden ( Böcking A.
u. a. 1994). Maligne Tumoren sind genetisch instabil
und weisen daher häufig schwere chromosomale Stö-
rungen auf. Je schwerer diese genetischen Verände-
rungen sind, desto aggressiver verhält sich der bösar-
tige Tumor. Zellen mit abnormer Zusammensetzung
des Chromosomensatzes werden in der DNA-Zyto-
metrie als DNA-aneuploid bezeichnet. Ein hohes Maß
an Bild-zytometrisch nachweisbarer DNA-Aneuploi-
die ist daher ein Indikator für ein gesteigertes mali-
gnes Potenzial von Tumorzellen.
Hochgradig DNA-aneuploide Prostatakarzinome ha-
ben ein aggressives Wachstumsverhalten und eine
schlechte Prognose; sie sprechen nicht auf eine Hormontherapie
an. Diploide Tumoren dagegen verhalten
sich nicht aggressiv und haben eine gute Prognose;
sie lassen ein gutes Ansprechen auf eine Hormonthe-
rapie erwarten. Eigene Untersuchungen belegen,
dass dieses biologische Verhalten nicht nur für fortge-
schrittene Prostatakarzinome gilt, sondern bereits bei
sehr kleinen Prostatakarzinomen zutrifft Horninger
u.a. 2004). Dies bedeutet, dass auch die kleinen
Tumoren, die heute mithilfe der Früherkennung er-
fasst werden, mittels DNA-Zytometrie in Bezug auf ihr
biologisches Wachstumsverhalten sicher beurteilt
werden können.
Für die Ploidiebestimmung werden Zellvereinze-
lungspräparate von formalin-fixiertem und in Paraffin
eingebetteten Prostatastanzzylindern angefertigt und
nach Feulgen gefärbt. Das Präparat wird unter dem
Mikroskop analysiert, und es werden jene Zellen vom
Beobachter ausgewählt, die für die DNA-Analyse von
Interesse sind.
Die von einer Videokamera aufgenommenen Bilder
werden digitalisiert und von einem Computer mittels
Grauwertanalyse ausgewertet. Nach Messung von
300 (interaktiv) bis zu 3.000 (automatisiert) Tumorzell-
kernen wird das Messergebnis als Frequenzhisto-
gramm der optischen Dichte ausgegeben und inter-
pretiert. Die heute gängige Histogramminterpretation
beruht auf der Stammlinieninterpretation nach Prof.
Böcking.
Die DNA-Zytometrie hat gegenüber dem Gleason-
Score den großen Vorteil, besser reproduzierbare und
damit objektive Ergebnisse zu liefern. Die dafür not-
wendige Technik ist zudem heute durch den Preisver-
fall auf dem Computer- und Kamerasektor relativ
preisgünstig. Die verfügbare Software erlaubt eine
fast vollständige Automatisierung.
Die notwendigen Maßnahmen zur Probenaufbereitung
lassen sich in so gut wie jedem Pathologischen
oder Zytologischen Institut bewältigen. Messung und
Auswertung sind leicht standardisierbar (Haroske u.a.
2001). Die Gestehungskosten sind dabei im Vergleich
von z.B. genetischen Untersuchungen minimal. Dies
ist in Zeiten eines steigenden Kostendrucks im medi-
zinischen System von besonderer Bedeutung.
Voraussetzung ist allerdings, dass Untersuchungs-
material aus der Vorsteherdrüse repräsentativ gewon-
nen werden kann. Die dafür notwendige Biopsie muss
standardisiert durchgeführt werden, um dies sicher-
zustellen.
Fazit
Ob eine Früherkennung des Prostatakrebses generell
die Sterblichkeit an diesem Tumor senken kann, ist
bislang noch nicht erwiesen. Die bisherigen Erkennt-
nisse zeigen aber, dass insbesondere bei Männern
zwischen 45 und 65 Jahren Früherkennung sinnvoll
sein kann, da die Lebenserwartung hoch und durch
Früherkennung Tumoren in heilbaren Stadien ent-
deckt werden können.
Die Früherkennung muss „maßgeschneidert“ sein.
Sie sollte die Bestimmung des PSA-Wertes, die Tast-
untersuchung und Größenbestimmung (Ultraschall)
der Prostata enthalten (Al-Azab u. a. 2007). Dies setzt
eine hohe Erfahrung des Untersuchers voraus. Nur
dadurch kann der PSA-Wert sinnvoll eingeschätzt
werden. Jährliche Untersuchungsintervalle sind bei
unauffälligem Befund nicht erforderlich, hier reichen
zwei-, wahrscheinlich sogar vierjährige Abstände aus.
Die Diagnostik bei Verdacht auf Prostatakrebs sollte
unbedingt die Durchführung einer DNA-Zytometrie
beinhalten. Sie sollte in die Therapieempfehlung ein-
bezogen werden, da sie der verlässlichste Prognose-
marker ist, den wir momentan zur Verfügung haben.
Auf diese Weise lassen sich unnötige Behandlungs-
maßnahmen mit teilweise schweren Folgeerschei-
nungen vermeiden, aber auch Risikosituationen er-
kennen, in denen unmittelbar gehandelt werden
muss. Die Vergütung der genannten Maßnahmen
muss – im Gegensatz zu den derzeitigen Bedingun-
gen – auch kostendeckend sein, um eine allgemeine
Akzeptanz bei den Leistungserbringern zu finden.
Ein solches Gesamtkonzept lässt dennoch erwarten,
sinnvoll Kosten im Gesundheitswesen zu sparen. Die-
se Überlegungen müssen unbedingt auch Eingang in
die aktuelle Diskussion um Prostatakrebszentren
(ähnlich wie Brustkrebszentren) finden. Die Kriterien,
die derzeit als Voraussetzung für die Zertifizierung
solcher Zentren geplant sind, lassen ansonsten erwarten,
Prostatakrebs um jeden Preis zu diagnosti-
zieren und möglichst „radikal“ zu therapieren.
Gruß Dieter
Kommentar